Audis E-Rakete: Ein Zukunftsauto ohne Zukunft

Der R8 e-tron landet nicht in den Schauräumen der Händler.
Der R8 e-tron landet nicht in den Schauräumen der Händler.(c) Audi
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Irre Beschleunigung ohne Lärm und Abgase - doch Audi lässt seinen Elektrosportwagen R8 e-tron bleiben. Stattdessen startet im nächsten Jahr der A3 Sportback als Plug-in-Hybrid. von Timo Völker

Es kommt nicht oft vor, dass der Fachpresse ein Auto vorgestellt wird, das als Nächstes nicht in die Schauräume der Händler, sondern in die Schrottpresse wandert. Genau das ist aber das bedauerliche Schicksal des Audi R8 e-tron.

Die Vorbereitungen für einen Start des elektrischen angetriebenen Supercars auf dem Markt waren weit gediehen. Zehn voll funktionsfähige Vorserienmodelle hatte der Hersteller gebaut. Der Forschungs- und Entwicklungsaufwand war empfindlich. Gibt es allerdings wirklich einen Markt für superteure, superschnelle Elektroautos? Der Tesla Roadster aus den USA hat als Pionier dieses Liliputsegment begründet, man verkauft freilich handverlesen.

Den Stecker gezogen

Demnächst leistet sich auch Mercedes einen Beitrag namens SLS E-Cell: Ein paar Stück des 400.000 Euro teuren Batterieautos, in erster Linie wohl Image-Vehikel, werden schon irgendwelche reichen Sammler finden. Bei Audi dagegen wurde in letzter Sekunde der Stecker gezogen.

Die Entscheidung hat vermutlich der neue Entwicklungsvorstand der Marke, Wolfgang Dürheimer, gefällt. Vollbluttechniker und Automensch durch und durch, war Dürheimer zuletzt Kurzzeitchef bei Bentley und Bugatti, nach Jahren bei BMW und vor allem Porsche. Wir mutmaßen hier nur, aber womöglich hatte Dürheimer ähnliche Gedanken wie wir, als wir kürzlich das Stromreservoir, die Batterie des Audi R8 e-tron in voller Pracht begutachten durften: ein gewaltiger T-förmiger Kasten, 577 Kilogramm schwer, bestehend aus 530 Lithium-Ionen-Zellen, in denen 48,6 kWh Energie gespeichert werden können (entspricht etwa sechs Litern Benzin).

Das kann es nicht sein, war jedenfalls der Gedanke, der uns durch den Kopf ging.

Dabei ist das Projekt R8 e-tron durchaus zu würdigen, der Nutzen für die Nachwelt erscheint plausibel. Abgesehen von der Erkenntnis, dass sich das Auto der Zukunft nicht mit heutigen Mitteln realisieren lässt, haben die Ingenieure ganze Arbeit geleistet.

So ist der R8 e-tron gewissermaßen ein Fake von Audis Sportwagen R8 – mit dem hat er tatsächlich nur die äußere Erscheinung gemein. Eine Handvoll Teile stammt aus dem Seriensportwagen, der ganze Rest wurde völlig neu entwickelt. Unter anderem die Karosserie, die mit 199 Kilogramm um 23 kg weniger wiegt als die des konventionellen Autos. Zusätzlich zu Aluminium kommen bei der Rohkarosserie CFK-Teile zum Einsatz, die Außenhaut ist zur Gänze aus glasfaserverstärktem Kunststoff (CFK) gefertigt.

Die vier Schraubenfedern des Autos sind aus Glasfaser gefertigt und liegen mit jeweils 1,3 kg verblüffend leicht in der Hand – aus Stahl wären sie um 40 Prozent schwerer. Die Bremsen an den Kohlefaser-Keramik-Scheiben der Hinterachse werden elektrisch betätigt (by wire), das spart ein paar Dekagramm und ist sogar zulassungsfähig. Gesamtgewicht: 1780 kg. Gut 150 kg mehr, als der R8 mit 4,2-Liter-V8 auf die Waage bringt.

Alles, was an Kühlluft benötigt wird, strömt über den Kühlergrill ein und durch eine Hutze auf der Fronthaube gleich wieder aus. Ölkühler sind keine an Bord, Ansaugluft wird nicht benötigt, der Unterboden ist völlig glatt: Der resultierende cW-Wert von 0,27 wäre für einen konventionellen Sportwagen nicht machbar.

Das über 2,3 Meter lange T-Modul mit den Batterien ist als Teil der Fahrzeugstruktur entlang des Mitteltunnels und in voller Höhe hinter den Sitzen untergebracht. Jeweils ein Elektromotor sitzt bei jedem Rad auf der Hinterachse, Leistung zusammen: 280 Kilowatt, das sind 380 PS. Ungleich dramatischer: das Drehmoment von 820 Newtonmeter.

Das Heck ist komplett geschlossen, die Durchsicht nach hinten ersetzt eine Kamera, die ihre Bilder ohne Verzerrung oder zeitliche Verzögerung auf ein hochauflösendes Display spielt, das als Innenspiegel ausgeführt ist.

Brummt wie ein Trafo-Häuschen

Werden die Systeme hochgefahren – von einem Motoranwerfen kann ja nicht gesprochen werden –, setzt ein künstlich generierter Brummton ein, der ein wenig an Trafo-Häuschen erinnert. Es soll wohl die Irritation von Stille überbrücken, die bei einem Sportwagen doch etwas fehl am Platz ist, und Lust auf ein Fahrerlebnis machen, dem ein paar herkömmliche Komponenten fehlen. So setzen wir uns fast lautlos mit einem Auto in Bewegung, in dem alles serienreif und nichts improvisiert wirkt. Was versäumt die Menschheit nun?

Der größte Thrill des R8 e-tron ist zweifellos die Beschleunigung. Schon auf dem Papier sind 4,2 Sekunden für den Null-auf-100-Sprint ein Wort. Wenn das doch eher schwere Auto einmal die ersten paar Meter hinter sich gebracht hat – das Gewicht beugt wirkungsvoll Wheelspin vor – ähnelt das Erlebnis eher dem Fliehkraftspektakel einer guten Hochschaubahn, so brutal massiert sich der Schub nach vorn, ohne jede Unterbrechung oder Abflachung des Drehmomentgewitters. Schade, dass wir schon bei etwa 130 km/h ans Bremsen und Einlenken denken mussten. Die Fahrdynamik lässt sich über allerlei Programme variieren, aber die Fahrzeugmasse lässt sich nicht wegschalten. Mangels Motorkrawall wirkt das Wimmern und Winseln der Reifen umso quälender. Gänge gibt es nicht, mit den Schaltwippen reguliert man die Intensität der Rekuperation. Lastwechselreaktionen, die man einem Verbrennungsmotor mit dem Gaspedal entlockt, ließen sich mit mehr Übung vermutlich besser hinkriegen, aber es darf bezweifelt werden, ob ein Elektroauto, so ausgefeilt es sein mag, einen konventionellen Sportwagen auszustechen vermag. Um schieren Speed ist man ja nicht verlegen, auf der Nordschleife fuhr ein Rennfahrer eine achtbare Zeit heraus. Dank Torque Vectoring – die beiden E-Motoren an den Hinterrädern können unterschiedlich fest anschieben, eine schlaue Elektronik wacht darüber – geht es sehr flott um die Kurven.

Gar kein Motorgeräusch – wenigstens surrt der e-tron nicht wie der Hernalser 43er, wenn der denn endlich daherkommt – ist wohl auch kein Idealsound für Emotionen, wie sie im sportlichen Fach gefragt sind. All das scheint Audi ähnlich gesehen zu haben und erklärt den R8 e-tron zum Experiment – freilich eines, das technisch weiterwirken soll.

Die konkrete Zukunft lautet A3 Sportback e-tron. Ein Plug-in-Hybrid für rein elektrisches Fahren (bis 50 km weit, max. 130 km/h schnell, von 0 auf 60 km/h in 4,6 Sekunden), aber ohne Reichweitenangst. Der 1,4-Liter-TSI ist bestens bekannt, für seine Rolle als Duettpartner des 75 kW starken E-Motors wurde der Turbo-Vierzylinder robuster ausgelegt. Immerhin muss er bei Bedarf – Kick-down oder leere Akkus – voll ins Geschehen eingreifen, ob aufgewärmt oder nicht. Den Aufwand (der Motor musste etwas versetzt werden, um die E-Komponenten unterzubringen) sieht man dem A3 nicht an, einziger Tribut sind 100 Liter weniger Kofferraum. Die Installation einer Wallbox, Verträge mit Ökostromlieferanten – das soll beim Audi-Händler alles aus einer Hand kommen. Ab Herbst 2014 um etwa 38.000 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2013)

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