Die Quelle

Gerichtscafé
Gerichtscafé(c) Clemens Fabry/ Die Presse
  • Drucken

Wenn Gerichtsreporter auf ein Urteil warten, wird das Gerichtscafé zum Brennpunkt von Spekulationen, Verfahrenskritik und Insiderinformationen.

So unterschiedlich die Anklagen auch sein mögen, eines verbindet die größeren Prozesse der jüngeren Geschichte, die am Wiener Straflandesgericht verhandelt worden sind. Die Urteilsverkündungen fallen in eine Zeit, in der gemeinhin im Gericht nicht mehr gearbeitet wird.

So war das auch im zweiten Prozess gegen den ehemaligen Innenminister und ÖVP-EU-Parlamentsabgeordneten Ernst Strasser. Die Urteilsverkündung verlagert sich in den Abend. Auch wenn es von der Richterin naturgemäß keine Angabe gibt, wann das Urteil verkündet wird, ist es den Berichterstattern schon früh bewusst, dass es ein langer Abend werden wird – das Gerichtscafé hat seine Sperrstunde von 15.30 auf 20.30 Uhr verlegt. Nicht zuletzt wurde bekannt, dass Richterin und Schöffen ein Abendessen vorbestellt haben.

Das Gerichtscafé wird aber nicht nur deshalb oft zum Quell wichtiger Informationen. Das Café ist der einzige Ort, an dem man die Wartezeiten halbwegs sinnvoll verbringen kann. Nicht etwa, weil das Lokal aufgrund seiner Fensterlosigkeit und der Tatsache, dass das Essen immer noch besser als in Stein ist, so einladend wäre. Nein: Es ist vor allem eine wichtige Quelle für allerlei Gerüchte.

Doyennen und Doyens der Gerichtsberichterstattung geben jungen Kollegen und Kolleginnen Ezzes, nicht ohne die Jüngeren auch spüren zu lassen, was man als alter Hase nicht noch alles wüsste, aber leider nicht besprechen kann. Es gibt auch kaum einen anderen Ort, an dem sich das justzielle Innenleben samt seinen Teilnehmern und deren unterschiedlichen Interessen derart verdichten wie im Gerichtscafé – insbesondere in dem sich durch übelste Luftqualität auszeichnenden Raucherzimmer.

Wo sonst kommen sich auf zehn Quadratmetern Journalisten, Staatsanwälte, Strafverteidiger, Kriminelle und Angeklagte derart nahe? Für Journalisten bietet dieser Ort tiefe Einblicke in die Gefühlswelten jener Menschen, für die es am Gericht um nichts weniger als die Freiheit geht. Da sieht man als Journalist auch über katastrophale Handy- und Internetverbindungen hinweg, wenn ehemalige Knastinsassen und V-Männer erklären, was wirklich läuft. Man bekommt ein Gefühl des Unmittelbaren, wie man es sonst nicht oft erleben kann in der Berichterstattung. Man staunt auch über die teils nonchalante Tonalität, in der sich Juristinnen und Juristen über menschliche Schicksale unterhalten. Auch das, was sich Staatsanwälte über scharfe oder milde Richter erzählen, schnappt man gern auf – denn man hat das Gefühl, derartige Insiderinformationen offiziell wohl nie zu Gehör zu bekommen.

Dass man in Wahrheit vielleicht genau deshalb diese Kantinengespräche mitbekommt, um das veröffentlichte Meinungsbild in eine bestimmte Richtung zu beeinflussen, kann im Gefühl, ganz nah dran zu sein, leicht verloren gehen. Im Gerichtscafé wird der Paragrafendschungel zum greifbaren, nachvollziehbaren Fall.

Im Gerichtscafé führen auch nicht selten Staranwälte mit den Anklägern Schmäh, wie sie es im Gerichtssaal nie tun würden. Und selbst Schöffen haben im Gerichtscafé auch schon einmal ihre Meinung zu laufenden Verfahren kundgetan, was dann in der Folge zu tränenreichen Verfahrensausschlüssen geführt hat.


Das zynische Tippspiel. Die einzige Gruppe, die sich nie im Gerichtscafé blicken lässt, sind die Richterinnen und Richter des Straflandesgerichts. Dafür ist ihre Verfahrensführung umso öfter Thema im Gerichtscafé. Ohne es genau abzusprechen bilden sich im Gerichtscafé auch die Linien in der Berichterstattung, hier ist es, wo sich Journalisten beim Warten auf die Urteile indirekt absprechen.

Am Tag des Wartens auf das Strasser-Urteil wird besonders viel geraucht – denn obwohl keine Geschworenen beraten,sondern nur eine Richterin mit ihren zwei Schöffen, steigt die Spannung kontinuierlich. Pech für Strasser-Anwalt Thomas Kralik, dass er Raucher ist und so der wartenden Journalistenmeute nicht entkommen kann.

Die versammelte Journaille versucht sich – erfolglos – im Entlocken irgendwelcher inoffizieller Details über den angeklagten Ex-Innenminister. Die Enthemmteren sind nach zwei Stunden Wartezeit schon von Toast und Cola auf Bier und Würstel beim Bestellen übergegangen. Im Unterschied zu anderen Angeklagten – wie dem ehemaligen FPÖ-Mastermind Gernot Rumpold – lässt sich Strasser vor der Urteilsverkündung nicht im Café blicken. So muss er nicht das muntere Tippspiel über das bevorstehende Urteil im Gerichtscafé ertragen, in dem über Gefängnis, Fußfessel oder Freiheit spekuliert wird.

Strassers Anwalt beteiligt sich zwar nicht an diesem Spiel, hört aber amüsiert bis interessiert zu. Auch wenn er im Gerichtssaal die Vorverurteilung seines Mandanten durch die Medien kritisiert, ist sein Verhältnis zu den Berichterstattern keineswegs schlecht. Am Ende des sich mittlerweile über Jahre hinziehenden Verfahrens hat Kralik zwar immer noch keine Interna verraten, dafür sind andere mittlerweile gesprächiger.

Beim Urteilratespiel liegen dann alle mehr oder weniger gleichermaßen daneben. Dreieinhalb Jahre unbedingte Haft für Ernst Strasser hatte niemand auf der Rechnung – fast alle Prozessbeobachter hatten ein milderes Urteil erwartet.

Das zynische Tippspiel ist übrigens recht vorausschauend – so wird schon einmal vorab über die Haftanstalt gemutmaßt und über die tatsächliche Haftdauer – für den Fall, dass das Urteil hält. Die Haftanstalten Simmering oder Wels stehen übrigens hoch im Kurs – großes Mitleid oder gar Empathie für das Schicksal von Angeklagten zeigt der Gerichtsreporter üblicherweise nicht.

Zur Person

Matthias Schrom, Jahrgang 1973, ist Reporter für die „Zeit im Bild“ und stellvertretender Ressortleiter Chronik. Davor war er Reporter, Moderator und Chef vom Dienst bei Ö3, ORF Tirol, ORF Wien und Antenne Tirol.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.