Holgers Hangover

"Möglicherweise hat diese ›Dame‹ auch noch kompromittierende Fotos von mir gemacht..."

Oberinspektor Otto Doblhofer studierte einen Obduktionsbericht, als es leise an seiner Bürotür klopfte. Auf sein „Herein“ wurde die Tür langsam geöffnet, ein Mann steckte seinen Kopf ins Zimmer und fragte schüchtern: „Otto, hast du ein paar Minütelchen Zeit für mich?“ „Ja, Holger!“, rief Doblhofer, als er den Mann erkannte. „Mit dir hätte ich am allerwenigsten gerechnet! Komm herein.“ „Stör' ich eh nicht?“, fragte Holger. „Und bist du eh allein?“

„Siehst du sonst noch jemanden außer mir hier im Zimmer?“, entgegnete Doblhofer, dem Holgers Verhalten höchst seltsam vorkam. Holger, sonst ein selbstbewusster Beamter im Außenministerium, war wie verwandelt – kleinlaut, duckmäuserisch, unterwürfig. „Was ist denn los mit dir?“, fragte er daher. „Hast du zu ausgiebig Fasching gefeiert?“ „Mit einer aus dem Ruder gelaufenen Faschingsfete hat es tatsächlich zu tun“, antwortete Holger. „Du, Otto, bleibt unser Gespräch eh unter uns? Nicht, dass es Iris erfährt...“ Iris war seine Frau und die Schwester von Doblhofers Gattin.

„Wieso? Bist du fremdgegangen?“ Holger zuckte zusammen. „Ich weiß es nicht. Möglich.“ „Üblicherweise weiß man so etwas“, hielt ihm Doblhofer vor. „Nicht, wenn man am Aschermittwoch in der Früh in einem Hotelzimmer mit einem Kondom am Du-weißt-schon aufwacht und sich nicht an die vergangene Nacht erinnern kann“, erwiderte Holger gequält. „O weh“, rief Doblhofer. „Das erinnert mich an ,Hangover‘, diesen Film, in dem vier Freunde Junggesellenabschied feiern und nach einer ereignisreichen Nacht mit einem Baby und einem Tiger in einem Hotelzimmer erwachen, sich aber an nichts erinnern können.“

„Ich kenne den Film“, unterbrach ihn Holger. „Und so ähnlich erging's mir am Aschermittwoch. Zwar ohne Baby und Tiger, aber mein ganzes Geld war weg. Mein Geld und meine Erinnerung.“ „Aha. In welchem Hotel?“ „Im Hotel Rudolf am Gürtel.“ Doblhofer lachte auf. „Das ist ein Stundenhotel. Mit wem hast du dich denn dort einquartiert?“ Holger berichtete Doblhofer, dass die Beamten seiner Abteilung im Ministerium nach Dienst den Faschingsdienstag gefeiert hatten, verkleidet und mit viel Alkohol. „Du verkleidet?“, warf Doblhofer ein. „Ja. Als Cowboy.“ Gegen ein Uhr früh hatte Holger dann noch allein eine Bar am Gürtel aufgesucht und war dort ins Gespräch mit einer attraktiven Blondine gekommen war, an deren genaues Aussehen er sich jetzt aber nicht mehr erinnern konnte. „Und dabei hab' ich Idiot mit meinen Geldscheinen herumgewachelt.“ Holger hatte dort weiter Alkohol konsumiert und war dann offenbar mit der Blondine in das Hotel gezogen. „Und dort hat sie mir K.-o.-Tropfen in meinen Drink getan, weil ich mich an nichts mehr erinnern kann. Jedenfalls wachte ich gegen neun Uhr in der Früh diesem Zimmer auf – nackt und ohne einen einzigen Euro. Und nein, ich weiß nicht, ob ich Sex mit ihr hatte. Das ist auch nicht unbedingt mein Problem.“

„Sondern?“ „Möglicherweise hat diese ,Dame‘ kompromittierende Fotos von mir gemacht und hat nun vor, mich damit zu erpressen. Wer weiß, was ich ihr alles in meinem Suff erzählt habe? Meine Karriere ist in Gefahr!“ „Na, dann wollen wir mal schauen, was wir da machen können“, sagte Doblhofer, schnappte Holger und fuhr mit ihm zu dem Hotel. Nun sind Portiere von Stundenhotels höchst diskrete Menschen, und auch dieser erinnerte sich zwar an Holger, da er in seiner Kostümierung eine ziemlich auffällige Figur abgegeben hatte, und an eine blonde „Dame“ in seiner Begleitung, aber er behauptete, die Dame nicht näher zu kennen und konnte oder wollte sie auch nicht eingehender beschreiben.

„Dann müssen wir in diese Bar“, sagte Doblhofer. Als er, vor dieser angekommen, „Du wartest hier heraußen“ sagte, war Holger spürbar erleichtert. „He, der Dobl-Otto!“, wurde er von der Bardame freudig begrüßt. „Du hast dich aber auch schon lang nicht mehr bei uns anschauen lassen.“ „Hallo, Vicky“, sagte Doblhofer zu der Frau. „Ja, ich bin jetzt in einer anderen Abteilung. Du, sag mal, eure Blonde...“ „Ja? Meinst du die Rita?“ „Wie viele Blonde habt ihr denn?“ „Eh nur die Rita.“

„Na, dann mein' ich die Rita. Her mit ihr!“ Rita kam. Blond, schlank, vollbusig. „Am Dienstagabend“, sagte er zu der Frau, „Faschingsdienstag, da haben Sie einen meiner Freunde ausgenommen.“ „Ich?“, spielte Rita den Unschuldsengel. „Wer soll denn das gewesen sein? Und ausnehmen – ich nehm' doch keine Männer aus. Ich nehm' sie vielleicht mit ins Séparée, wenn sie mich lieb bitten, aber ich nehm' sie doch nicht aus!“

„Da war nichts mit Séparée“, widersprach Doblhofer. „Mein Freund hat nicht nur ein bisschen zu viel getrunken, sondern auch deutlich zu viel mit seinen Geldscheinen herumgewedelt. Da haben Sie sich gedacht, Sie nehmen ihm alles ab, und weil das hier nicht geht, sind Sie mit ihm in ein Hotel, ins Rudolf...“ „Aber, Herr Inspektor, ich doch nicht!“, wehrte Rita ab. „Ich habe die ganze Nacht dieses Lokal nicht verlassen! Und ich war noch nie in einem Stundenhotel!“ Doblhofer fuhr fort: „Dort haben Sie ihm K.-o-Tropfen eingeflößt, und als er eingeschlafen ist, haben Sie ihm sein Faschingskostüm ausgezogen und sich mit seinem Geld aus dem Staub gemacht.“

Rita vergaß nun ihre Freundlichkeit. Mit veränderter Stimme sagte sie: „Und wie willst du mir das beweisen, du Klugscheißer? Gibt's vielleicht ein Foto einer Überwachungskamera vom Rudolf, das mich mit deinem besoffenen Cowboy zeigt? Solange du keine handfesten Beweise hast, kannst du mich mal...“ Es folgten ein paar Schimpfworte, die Doblhofer nicht bewusst wahrnahm, denn er wandte sich an die Bardame: „Vicky, du und die Polizei, da gab's immer ein gutes Einvernehmen. Wenn du willst, dass das so bleibt, sag der feschen Rita, sie soll das Geld herausrücken, das sie meinem Freund abgenommen hat, und falls sie Fotos gemacht hat, soll sie sie löschen, dann verzichte ich auf eine Anzeige. Sonst komm' ich morgen in offizieller Mission wieder.“ „Aber, Otto, Rita sagt doch, dass sie es nicht war!“ „Ja, das behauptet sie. Sie hat sich allerdings verraten.“

Wodurch?


Lösung der vergangenen Woche:

Paula ist sicher, dass Judith, die Frau in Rot, dem silbernen Jüngling ein Durchfallmittel ins Wasser gemischt hat. Sie hatte nicht nur ein Motiv und die Gelegenheit, sie wusste auch, dass er, als er aus dem Saal lief, dringend auf die Toilette musste.

Der Autor

Harald Mini lebt in Linz und arbeitet als Richter. Neben juristischer Fachliteratur schreibt er u.a. Satiren („Männer beim Friseur“ und „Goldhauben für Sibirien“) und Krimis (u.a. zwei ORF-„Tatort“-Krimis) und erfindet Kinderspiele. Soeben ist im Leykam-Verlag seine Thrillersatire „Innominati“ erschienen.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.03.2014)

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