Entführung am helllichten Tag

Die Tochter eines Linzer Millionärs wird entführt. Ihr Ehemann überrascht die Täter und wird dabei niedergeschlagen.

Ein Schneesturm fegte durch die Straße, als Denk den Wagen vor der pompösen Villa auf dem Römerberg abstellte. Frustriert starrte er in das Gestöber. Nach wie vor hatte der Winter das Land fest im Griff. Der Frühling wollte einfach nicht auf Touren kommen. Doch damit nicht genug. Die jährliche Grippewelle hatte in dieser Woche ihren Höhepunkt erreicht, und das halbe Präsidium lag mit Fieber im Bett, weshalb er für diesen Samstag Bereitschaftsdienst ausgefasst hatte. Er gab sich einen Ruck, stieg aus und rannte zum Eingangsportal, wo ein Beamter Schutz gefunden und Stellung bezogen hatte.

Im Flur erwartete ihn bereits sein Assistent. „Handelt es sich wirklich um eine Entführung?“ Mayer nickte und zeigte auf einen Raum links von ihnen. Dort lag ein Mann auf einer Couch. Der Arzt legte ihm gerade einen Kopfverband an. „Das ist der Ehegatte des Entführungsopfers. Georg Rosch. Offenbar hat er die Täter überrascht und wurde niedergeschlagen.“

Denk bat den Arzt zu sich. „Ist Herr Rosch vernehmungsfähig?“ „Er hat eine riesige Beule am Hinterkopf und macht einen verwirrten Eindruck. Höchstwahrscheinlich die Folge einer Gehirnerschütterung. Geben Sie ihm noch ein wenig Zeit, dann können Sie ihn kurz befragen.“

Aus dem Salon am Ende des Gangs waren laute Stimmen zu vernehmen. „Und wer ist das?“, wollte Denk wissen. „Die Eltern des Entführungsopfers.“ Denk betrat den Salon und stellte sich vor. Eine Frau stürzte sich auf ihn. „Herr Inspektor, ich flehe Sie an, bringen Sie mir meine Tochter heil zurück! Schuld an allem ist mein Mann.“ Denk schaute sie erstaunt an.

„Was wollen Sie damit sagen?“ Ihr Mann trat näher und reichte ihm die Hand. „Gestatten, Rüdiger Eberswald! Meine Frau meint das nicht so.“ „Und ob ich das so meine! Hättest du die Drohung ernst genommen, wäre das alles nicht passiert.“

Erst jetzt wurde Denk bewusst, wen er vor sich hatte. Rüdiger Eberswald war einer der reichsten Männer von Linz. Und auch Georg und Lisa Rosch waren ihm ein Begriff, waren sie doch regelmäßig in den Klatschspalten der Regenbogenpresse vertreten. „Sie sind also bedroht worden?“

Der Mann nickte betroffen und übergab ihm drei Kuverts. Denk streifte Einweghandschuhe über und öffnete vorsichtig die Briefe. „Wir fordern eine Million Euro. Sollten Sie nicht bezahlen, wird in zwei Wochen etwas Furchtbares geschehen“, war in dem ersten Schreiben zu lesen. In den beiden anderen Briefen stand der gleiche Text, nur war „in zwei Wochen“ in dem einen durch „in einer Woche“ und in dem dritten durch „in zwei Tagen“ ersetzt worden.

„Warum sind Sie nicht zur Polizei gegangen?“ „Weil er die Briefe auf die leichte Schulter genommen hat“, warf ihm seine Frau vor. „Ich habe die Drohung sehr wohl ernst genommen“, verteidigte sich Herr Eberswald, „und alle möglichen Vorkehrungen zu unserem Schutz getroffen. So habe ich nach Einlangen des zweiten Briefs eine neue Alarmanlage in unserem Haus einbauen lassen und zudem veranlasst, dass Männer meines Werkschutzes unser Grundstück bewachen. Ich habe doch nicht wissen können, dass diese Verbrecher sich an Lisa vergreifen.“

„Das hat unser lieber Herr Schwiegersohn zu verantworten“, fauchte Frau Eberswald. Das klang nicht gerade freundlich. „Das müssen Sie mir jetzt aber erklären.“ „Ganz einfach. Georg hat das Geld unserer Tochter mit vollen Händen ausgegeben, obwohl er selbst arm wie eine Kirchenmaus ist. Kein Wunder, wenn er damit Verbrecher anlockt, weil sie glauben, es gäbe hier etwas zu holen.“

„Aber das Haus und die elegante Einrichtung“, wandte Denk ein. „Gehört alles uns“, erwiderte Eberswald. „Meine Tochter und ihr Mann waren hier nur noch geduldet. Lisa haben wir deutlich zu verstehen gegeben, dass sie erst wieder etwas bekommt, wenn sie sich von diesem Falotten trennt.“

„Haben Sie einen Verdacht, wer hinter der Entführung stecken könnte?“ „Wissen Sie, in meiner Position hat man genügend Feinde. Aber ich glaube nicht, dass einer davon zu so etwas fähig wäre.“ „Trotzdem ersuche ich Sie, meinem Assistenten die Namen mitzuteilen, damit wir die Personen überprüfen können.“

Denk verließ den Salon. „Habt ihr irgendwelche Spuren sicherstellen können?“, erkundigte er sich beim Leiter der Tatortgruppe. „Schaut schlecht aus. Die Täter sind sehr professionell vorgegangen. Interessant ist allerdings, dass es keinerlei Hinweise auf einen Einbruch gibt. Das Opfer muss seine Entführer selbst hereingelassen haben.“

Georg Rosch lag noch immer auf der Couch, als Denk eintrat. „Herr Rosch, sind Sie in der Lage, einige Fragen zu beantworten?“ Er nickte vorsichtig, trotzdem verzog er das Gesicht vor Schmerzen. „Können Sie mir schildern, was passiert ist?“

„Ich bin gegen 16 Uhr nach Hause gekommen. Als ich die Tür schließe, höre ich ein Geräusch hinter mir. Ich drehe mich um. Da steht ein vermummter Mann vor mir. Er hat einen Baseballschläger in der Hand und schlägt sofort zu. Ich werde bewusstlos. Als ich wieder zu mir komme, krieche ich auf allen vieren zum Telefon und rufe meinen Schwiegervater an.“

Er stöhnte auf. Tränen rannen über sein Gesicht. „Sie müssen mir Lisa zurückbringen. Sie ist alles, was ich habe.“ Denk beschloss, die Befragung abzubrechen. Im Vorraum wartete Rüdiger Eberswald auf ihn. „Herr Inspektor, ich ersuche Sie, sich im Hintergrund zu halten. Lisa ist mein einziges Kind. Ich bin bereit, auf die Forderungen der Entführer einzugehen. Das Wichtigste ist, dass meiner Tochter nichts geschieht.“

Denk versprach, nichts zu unternehmen, was den Argwohn der Täter hervorrufen könnte. Er beauftragte seinen Assistenten, alles für die Überwachung der Telefone vorzubereiten. Mit etwas Glück konnten sie den Anruf nachverfolgen und die Entführer aufspüren. Mayer war schon an der Tür, als ihn Denk noch einmal zurückrief. „Das mit der Telefonüberwachung können wir uns sparen. Ich bin sicher, dass es sich bei der Entführung nur um eine Inszenierung handelt.“


Woraus schließt Denk, dass die Entführung nur inszeniert wurde?

Der Autor

Ernst Schmid
ist Hauptschullehrer in Linz und hat bereits zahlreiche Gedichtbände und Kriminalromane veröffentlicht, zuletzt „Das Himmelreich geht in die Luft“ (2014, Kehrwasser-Verlag).

krimiautoren.at

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Lösung der vergangenen Woche:

Enter hat auf der Nachricht, die der Bekannte des Opfers hinterlassen hat, die Soulnummer von Curtis Mayfield gehört. Der Mann behauptet aber, zu Hause Horrorfilme angesehen zu haben. Naheliegend ist vielmehr, dass er am Tatort war und sein falsches Alibi mit dem Anruf nach der Ermordung des Taxifahrers bekräftigen wollte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2015)

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