Trari trara

Ein Briefträger wird am Vormittag im Stiegenhaus erschlagen. Hat ihn ein Hausbewohner umgebracht?

Es hätte ein friedlicher Vormittag werden können – ohne diesen Anruf, der Franz Enter beim Gabelfrühstück störte. Ein Briefträger war gewaltsam zu Tode gekommen. Hastig würgte der Kriminalinspektor sein Salzstangerl hinunter und spülte mit Cola nach. Prompt bestrafte ihn sein Magen mit heftigem Drücken und ließ ihn auf dem Weg zum Einsatzort einige Male sauer aufstoßen. Wenn dieser Stress so weiterging, würde er sich wohl oder übel frühpensionieren lassen müssen. Irgendein Hintertürchen zum vorzeitigen Ruhestand würde sich schon auftun. Schließlich war er Beamter. Falls ihn nicht schon vorher der Quiqui holte.

Der Hauseingang war – wie das gesamte Gründerzeitgebäude – seit Stunden von der Polizei belagert. Der Leichenwagen parkte in der Straßenbahnhaltestelle vor dem Haus, um das Mordopfer demnächst zur Obduktion in die Sensengasse zu überführen. Vis-à-vis hatten sich einige Passanten breitgemacht, die neugierig herüberglotzten. Darunter auch zwei Frauen mit Kinderwagen, die sich angeregt unterhielten und lieber auf den Abtransport einer Leiche warteten, als ihre Brut in den nahen Hamerlingpark zu schieben. Dabei würde es außer einem Aluminiumsarg ohnehin nichts zu sehen geben. Womöglich noch nicht einmal den, wenn nämlich der Fünfer in die Station einfuhr und den Schaulustigen die Sicht verstellte. Die Neugier war nun mal ein Hund.

Vor dem Aufgang ins Hochparterre streifte Enter seine Schuhe ab. Der Gatsch vom letzten Ausflug klebte noch immer an den Profilsohlen. Eigentlich hatte er diese noch putzen wollen, aber bei dem Stress kam man ja zu nichts. Die Tatortgruppe hatte die Spurensicherung so weit abgeschlossen, vergewisserte er sich. Ergo war ein bisschen Dreck nicht weiter tragisch. Die große gelbe Tasche, aus der Kuverts und Magazine ragten, stach ihm ins Auge. Die Adressen gehörten zu anderen Häusern, stellte er fest. Offenbar hatte der Briefträger die Post für dieses Haus schon in den Postkästen verteilt und die Tasche hier stehen lassen, um sie später wieder abzuholen. Vermutlich hatte er ein Einschreiben oder eine Nachnahmesendung in einem der oberen Stockwerke zustellen wollen. Nur dass man keine solchen bei der Leiche sichergestellt hatte, wusste Enter.

Der Tote lag bäuchlings auf den Stufen zwischen dem zweiten und dritten Stock. Die Gerichtsmedizinerin begrüßte Enter. Der Lage nach zu urteilen, könne der Mann die Stiege nicht hinuntergefallen sein, höchstens hinauf, meinte sie. Dann hätte er sich aber keine tödliche Verletzung am Hinterkopf zugezogen, folgerte Enter bei näherer Betrachtung. Die Ärztin stimmte ihm zu. „Er wurde mit einem harten Gegenstand erschlagen. Womit genau, kann ich noch nicht sagen. Sehen Sie diese Delle? Die wurde bestimmt nicht durch einen Sturz verursacht.“ Enter nickte.

Wo war der Brief, den der Mann hatte abliefern wollen? Der Mörder musste ihm gefolgt sein, ihn hier eingeholt, zugeschlagen und ihn beraubt haben. Oder aber die beiden hatten sich gekannt und waren gemeinsam hinaufgegangen, mutmaßte Enter. Vielleicht war der Täter unter den Hausbewohnern zu finden. Das Haustor war üblicherweise versperrt und mit einer Gegensprechanlage gesichert. Oder hatte doch ein Fremder zusammen mit dem Briefträger das Haus betreten?

„Tschuldigen S', Herr Inspektor! Wie lange brauchen S' denn noch circa?“, unterbrach ihn eine Stimme. „Wer will das wissen?“, schnauzte Enter die Frau in der offenen Tür von oben herab an. „Die Hausbesorgerin. Wippl Irmi. Kann i jetzt no a Mittagessen koch'n, oder wie lang dauert's no, bis i endlich die Stieg'n aufwasch'n kann?“ „Bevor Sie sich etwas kochen, habe ich noch ein paar Fragen an Sie.“ Enter stand jetzt direkt vor der Frau, die mit verschränkten Armen die Tür blockierte.

„I hab nix g'hört oder g'sehn, bevor i den toten Herrn Hofer im Stiegenhaus g'fund'n hab.“ Die Frau war klein, aber mit einer großen Bratpfanne zum Beispiel hätte sie den Briefträger problemlos von hinten erschlagen können. „Mama, machst mir jetzt endlich was zum Essen?“, drang eine Männerstimme aus der Wohnung. „Darf ich?“ Enter trat ein, um den Sohn der Frau nach seinem Alibi zu befragen. Er sei erst seit einer halben Stunde hier, bestätigte seine Mutter. Wenn das stimmte, mussten ihn die Kollegen am Haustor gesehen haben. Enter nahm sich vor, nachzufragen. „Wer ist denn morgens um neun normalerweise sonst noch zu Hause?“, wollte er wissen.

Die Frau kratzte sich am wulstigen Nacken, ehe sie antwortete. „Der Herr Hofrat aus'm dritten Stock. Der alte Geizhals hat mir noch nie ein Trinkgeld 'geben. Dabei erzählt er überall, dass er 8000 Euro Pension kassiert. Beamter müsst ma sein.“ „Und wer sonst noch?“ – „Der Berger unter mir is neuerdings hock'nstad. Lang wird er si die Wohnung nimmer leist'n können.“ Sonst sei das Haus untertags verlassen, sagte die Wippl.

Im dritten Stock öffnete dann doch noch ein junger Mann, der angab, allein hier zu wohnen. Die Tasse mit duftendem Kaffee in seiner Hand erinnerte Enter, dass er vorhin vergessen hatte, seine Kaffeemaschine abzustellen. Auch egal. Der Mann hatte Urlaub, war erst um drei Uhr zu Bett gegangen und hatte durchgeschlafen, bis Enter eben an seine Tür geklingelt hatte. Vom Mord im Haus wollte er nichts mitbekommen haben.

Als Nächsten knöpfte sich Enter den Hofrat von nebenan vor. Diesen störte weniger, dass der Briefträger tot war, als dass man ihn offenbar seiner Pension beraubt hatte, die an diesem Tag hätte ausbezahlt werden sollen. „Warum lassen Sie sich Ihr Geld denn nicht überweisen?“, fragte Enter. „Die Banken sind doch alle Verbrecher!“, polterte der Alte los. „Und die Zinsen sind lächerlich.“

Die Größe hatte er, um das Opfer zu erschlagen. Kräftig genug wirkte er auch. Aber warum hätte er sein eigenes Geld rauben sollen? Der Arbeitslose im ersten Stock hatte es wahrscheinlich eher nötig. Nur dass der es nicht gewesen war, sondern ein anderer, war sich Enter sicher.


Wen hält Enter für den Raubmörder und warum?

Die Autorin

Claudia Rossbacher
hat in Städten von Teheran bis Osaka gelebt und als Model, Texterin und Kreativdirektorin gearbeitet. Seit 2006 schreibt sie Kurzkrimis und Kriminalromane. Ihr erster Alpenkrimi „Steirerblut“ wurde verfilmt, „Steirerkreuz“ 2014 mit dem „Buchliebling“ ausgezeichnet. Auch ihr aktuelles Werk „Steirerland“ hält sich seit Monaten in den österreichischen Bestsellerlisten.
Rafaela Pröll


Lösung der vergangenen Woche:

Doblhofer verdächtigt Maier. Nicht nur, dass er als Vorarlberger wahrscheinlich den Schweizer Dialekt verstanden hat, behauptet er, dass er bei den Toiletten (Mehrzahl!) warten musste. Im unteren WC befinden sich aber nicht mehrere Toiletten, sondern nur eine einzige Kabine.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2015)

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