Weihnachten: Wild und friedlich

Ein Mann wird tot in einer abgebrannten Heuhütte gefunden. Er war der uneheliche Sohn des Bauern und ein „Naturspinner“.

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Wer war der Mörder?

Anna Bergmann, Kommandantin der Polizeiinspektion in Schladming, liebte den Frieden. Fast alle Arten davon. Ganz besonders mochte sie den Weihnachtsfrieden. Hier stimmte die übergroße Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger und der Gäste der Skistadt mit ihr überein. Es gab nur ein ständiges, kleines Problem. Der Friede, warum auch immer, liebte Anna nicht besonders. Er pflegte abwesend zu sein, wenn Anna seine Anwesenheit besonders dringend haben wollte. Wie genau an diesem Donnerstag, dem 17. Dezember 2015.

Ihr Lebenspartner Bernhard Hammer, ein inzwischen prominenter Architekt und daher fast nur außerhalb des Ennstales beschäftigt, hatte seine Baustelle in München rechtzeitig verlassen können, was selten genug vorkam. Baustellen waren grundsätzlich partnerfeindlich, wusste Anna. Ihre Zwillinge Thomas und Bernhard hatten allen frühpubertären Wegreise-Verlockungen entsagt, und lagen daheim in ihren Zimmern herum. Die ältere Tochter Claudia ist deutlich reifer aus dem akademischen Gymnasium in Graz in die Weihnachtsferien zurückgekommen, eine gute Woche früher, als behördlich festgelegt, aber Claudia hat gemeint, sie sei nun alt genug, um so kleine Ausnahmen vom Gesetz selbst genehmigen zu dürfen. Sie hatte sich mit einer starken Verkühlung krank gemeldet. Anna hatte sich gehütet, irgendetwas Kritisches dazu zu sagen. Ein kurzer Augenkontakt mit der Tochter musste genügen. Es sollte nicht zur Gewohnheit werden, sagten Annas Augen. Es wird nicht zur Gewohnheit werden, antworteten Claudias Augen. Es würden ganz tolle Weihnachten werden.

Das alles endete am Donnerstag, den 17. Dezember, um zehn Uhr Vormittag. Anna stand vor einer abgebrannten Heuhütte am Waldrand auf der alten Rodungswiese beim Hinteren Ritter am westlichen Planaihang und blickte auf das professionelle Scheindurcheinander einer Tatortuntersuchung. Im Mittelpunkt lag ein toter Mann. Eine Zigarettenschachtel der Marke Memphis hatte den Brand überstanden und lag auf dem Boden, eine zweite und die Zünder fanden sich in der Innentasche der teilverbrannten Jacke. Es sah nach mühsamen Ermittlungen aus.

Der Arzt meinte, auf den ersten Blick sei das Opfer, ein Mann knapp unter dreißig, mit einer brennenden Zigarette eingeschlafen. Der Grad der Alkoholisierung würde noch geklärt werden. Der Tote habe auch einen nicht tödlichen Schlag auf den Hinterkopf bekommen. Der leitende Feuerwehrmann sagte, dass die brennende Zigarette aus der Hand des Mannes auf den Holzboden gefallen sei. Dort sei aber ziemlich sicher ein Brandbeschleuniger ausgeschüttet gewesen. Das alles bestätigte sich später.

„Das ist ja der Sepp“, schrie eine Frauenstimme aus der kleinen Zuschauerschar, überrascht und laut. „Welcher Sepp?“ fragte Anna. Es gab viele Josefs in Schladming.

„Der Sohn vom alten Bauern. Der uneheliche, genau genommen. Aber heutzutage ist das alles ein bisschen ein Durcheinander. Sogar erben dürfens.“ Eine Stunde später, nach einem Besuch beim Bauern, war die Lage klarer. Der Sepp war es. Er sei in der vorigen Woche aus Wien hergekommen, wo er Bodenkultur studiere. „In Wien hat er sich wohl auch das Saufen angewöhnt. In meinem Haus hat er nichts zu suchen gehabt.“

Nach einem wilden Krach mit dem Vater und den beiden Halbbrüdern, „anständige Söhne sind das“, sei der Sepp weg, ab ins Finstere. Warum der Sepp in der Hütte lag und nicht in sein Quartier ins nahe Rohrmoos gegangen sei, wisse er nicht, meinte der Bauer. Der verlorene Sohn war bei seiner Heimkehr höchst unerwünscht gewesen, die vermutlich häufigere Version der Heimkehr als die in der Bibel.

Am Sonntag, den 20. Dezember, saß Anna mit ihrem Vize Hannes Trinkl im Büro der neuen Polizeiinspektion Schladming und versuchte, den Fall noch vor Weihnachten zu klären.

Ein Prospekt für eine neue Feriensiedlung auf dem Hang des Bauern zeigte gelungene Holzhäuser. 36 Stück standen gut gestreut auf dem Rodungshang. Anna fand die Architektur attraktiv, auch ihr Partner Bernhard hatte gemeint, so etwas könnte Schladming nur guttun. Der Architekt hatte ausgesagt, alle seien dafür gewesen, nur der Sepp nicht. Das sei so ein Naturspinner gewesen, kein ordentlicher Grüner.

Dann hatte das Grundbuch ausgesagt, dass der Bauer schon vor vier Jahren seinen Grundbesitz den drei Söhnen überschrieben hatte. Auch der Sepp habe den halben Pflichtteil bekommen müssen. Der Sepp habe das Ferienhausprojekt verhindern können und verhindern wollen.

Anna befahl die Söhne Anton und Friedrich Holler und Vater Heinrich Holler in die Polizeiinspektion. Vier Stunden lang wurde nur die Müdigkeit größer. Auf beiden Seiten.

Anton und Friedrich Holler bestätigten, hinter Josef Holler hergegangen zu sein, um ihn weiter zu beschimpfen. Alle seien ziemlich betrunken gewesen. Sepp sei zur Holzhütte gegangen, habe um eine Zigarette gebeten, diese auch bekommen, sie angezündet und sich hingelegt.

„Welche Zigarettensorte?“ fragte Anna. „Marlboro. Ich rauche sonst nichts“, antwortete Friedrich Holler. Dann seien sie heimgegangen. Heinrich Holler sagte aus, er sei den dreien nachgegangen, um Schlimmes zu verhindern, aber habe die drei trotz Rufens nicht gefunden. Da sei er heimgegangen. Er blickte seine Söhne befehlend und zugleich voller Angst an.

„Ja Vater, so war es“, bestätigten diese. „Danke“, sagte der Vater. So war es sicher nicht, wusste Anna. Sie wusste auch, wie es gewesen war. Es war wie eine Szene aus der Wilden Jagd der Raunächte gewesen, wenn auch eine Woche zu früh. Aber jetzt würde der Weihnachtsfriede beginnen. Sie würde das Unglück aus ihrer Familie aussperren, sagte sich Anna. Den vier Männern konnte sie auch zu Weihnachten nicht mehr helfen, dem Toten, den beiden Mördern und dem Vater, der das alles wohl gebilligt hatte. Die menschliche Tragödie war vollständig. Die Wilde Jagd hatte gesiegt.


Wie war es wirklich?

Der Autor

Günter Lehofer
war Politik-Redakteur der „Kleinen Zeitung“. In der Pension begann er, Krimis zu schreiben. Sein erster liegt nun vor: „Anna und die Südwand“, ein Schladming-Krimi. Besonders freut ihn, dass es ihm gelungen ist, eine Frau als Kommandantin einer Polizeiinspektion durchzusetzen.

Fischer

www.krimiautoren.at



Lösung der vergangenen Woche:

Der Hausherr hat selbst die Fälschung hergestellt, um mit der Versicherungssumme seine finanzielle Lage zu verbessern. Fredi ertappt ihn, weil Cervin von zwei Fahrten mit der U4 gesprochen hat, die aber genau zwischen 13 und 15 Uhr eingestellt war.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2015)

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