Swisscom: "Mir fällt es schwer, zur Ruhe zu kommen"

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In der Schweiz starb Swisscom-Chef Carsten Schloter durch Suizid. Er deutete in Interviews an, wie verzweifelt seine Lage gewesen sein muss. Doch vielen, die sich in einer Krise befinden, kann geholfen werden.

Die Schweiz ist geschockt. Carsten Schloter, der Chef des nationalen Telekomkonzerns Swisscom, ist tot. Die Polizei geht von Suizid aus. Schloter galt als Vorzeigemanager. Der 49-Jährige war bei seinen Mitarbeitern beliebt, auch die Konkurrenten achteten ihn. Schloter führte beispielsweise ein, dass sich bei Swisscom alle Mitarbeiter duzen. Auch wirtschaftlich ist der Konzern erfolgreich unterwegs.

Doch Schloter gab in den vergangenen Monaten Interviews, die zeigen, wie verzweifelt er gewesen sein muss. Auf die Hinweise dürfte aber niemand empathisch reagiert haben. Gegenüber der „Medienwoche“ sagte er: „Was bedeutet es, souverän zu sein? Wenn souverän bedeutet, relaxed zu sein, dann war ich das wahrscheinlich noch nie.“ Er habe, so Schloter zur Zeitung, immer ein enormes Maß an innerer Spannung.

Ein anderes Mal fragte ein Journalist, was seine größte Niederlage gewesen sei. Der Manager antwortete: „Sehen Sie, ich habe drei kleine Kinder. Ich lebe getrennt, sehe die Kinder alle zwei Wochen. Und das vermittelt mir immer wieder Schuldgefühle. Ich habe das Gefühl, hier habe ich etwas nicht richtig gemacht.“


Ständige Erreichbarkeit. Im Gespräch mit der „Schweiz am Sonntag“ meinte er, dass die modernen Kommunikationsmittel Schattenseiten haben: „Das Gefährlichste ist, wenn man in einen Modus der permanenten Aktivität verfällt. Wenn man auf seinem Smartphone dauernd nachschaut, ob neue Mails reingekommen sind.“ Das führe dazu, dass man zu keiner Ruhe mehr findet. Jeder habe aber auch eine Verantwortung für sich selbst– „und soll sein Handy auch mal abschalten“. Die Journalisten fragten nach: „Können Sie das?“ Schloters Antwort: Es falle ihm schwer, „zur Ruhe zu kommen, das Tempo herunterzunehmen“.

Im Zusammenhang mit der Scheidung stellte sich der Manager selbst die Frage: „Wie viele Zeitfenster an sieben Tagen und 24 Stunden gibt es noch, während derer man frei ist von jeder beruflichen und privaten Verpflichtung?“ Irgendwann komme ein Punkt, an dem man das Gefühl habe, nur noch von einer Verpflichtung zur nächsten zu rennen. „Das schnürt Ihnen die Kehle zu. Unter einem solchen Eindruck, dass es weniger Verpflichtungen sein könnten, stehe ich immer noch“, so Schloter.


Krisen können behandelt werden. Schweizer Medien nahmen das traurige Ereignis zum Anlass, um über die Belastungen von Führungskräften zu diskutieren. Und wie kann Menschen in einer Krise geholfen werden? „Schloter fehlte wohl der Zugang zu Hilfe. Das können nahestehende Personen oder professionelle Stellen sein“, sagte der Psychiater und Psychoanalytiker Sebastian Haas der Zeitung „Blick“. Seine Botschaft lautete: „Suizidale Krisen können behandelt werden.“ Aber es sei die Tragik vieler Topmanager, dass sie psychische Probleme als Führungsschwäche und auch als menschliche Schwäche interpretieren.

Suizide von Führungskräften sind keine Seltenheit. In den vergangenen Jahren nahmen sich zahlreiche bekannte Manager das Leben– wie etwa der deutsche Milliardär Adolf Merckle. Dieser setzte seinem Leben nach hohen Verlusten in seinem Konzern ein Ende. Der Finanzchef der US-Hypothekenbank Freddie Mac, David Kellerman, wurde tot in seinem Wohnhaus aufgefunden. Dabei haben Suizide oft verschiedene Ursachen. Meist ist es ein Zusammenspiel von beruflicher Belastung und gesundheitlichen, privaten und psychischen Problemen. Trotzdem hat Carlos Watzka von der Universität Graz in einer Untersuchung nachgewiesen, dass es einen Zusammenhang von Suizidhäufigkeit und sozialem Status gibt. Seinen Angaben zufolge haben Personen mit hoher Bildung und in besonders anspruchsvollen und gut bezahlten Berufspositionen– wie Unternehmer, Manager, Wissenschaftler und Ärzte– ein deutlich höheres Risiko, durch Selbsttötung zu sterben, als Personen mit mittleren Bildungsabschlüssen und mittleren Berufsqualifikationen.

„Manager müssen oft hart daran arbeiten, um nach oben zu kommen. Sie achten nicht immer auf ihre Work-Life-Balance“, so Watzka zur „Presse“. Hinzu komme die ständige Erreichbarkeit. Aus seiner Studie geht aber auch klar hervor, dass das Suizidrisiko bei Personen mit geringem Bildungsniveau beziehungsweise in wenig qualifizierten und meist schlecht bezahlten Berufen am höchsten ist.

Bei allen Diskussionen über Stress am Arbeitsplatz darf nicht vergessen werden: Ein Job kann ein wichtiger Stabilitätsfaktor sein. Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass psychische Belastungen bei Arbeitslosen wesentlich höher sind als bei Beschäftigten.


Krise in Griechenland. Claudius Stein, Ärztlicher Leiter des Kriseninterventionszentrums Wien, betont, dass Suizide in jenen Ländern, die besonders stark von der Wirtschaftskrise betroffen sind, wie zum Beispiel Griechenland und Italien, deutlich zugenommen haben. Er verweist auf eine Langzeitstudie, die im britischen Magazin „The Lancet“ veröffentlicht wurde. Die Autoren nahmen den Einfluss von Wirtschaftskrisen auf die Gesundheit unter die Lupe. Sie kamen zu folgendem Ergebnis: Ein Prozent mehr an Arbeitslosigkeit erhöht die Suizidrate der unter 65-Jährigen um 0,79 Prozent.

Alarmierend ist gegenwärtig die Lage in Griechenland. Dort erhöhte sich von 2009 bis 2011 die Zahl der Suizide und Suizidversuche um ein Drittel. Ähnliches passierte zuvor in Japan. Als 1998 die Asienkrise ihren Höhepunkt erreichte, gab es in Japan um 35 Prozent mehr Suizide. Doch nicht immer muss es in Wirtschaftskrisen zwangsläufig mehr Verzweiflungstaten geben. So stand etwa 2008 Island am Rande des Zusammenbruchs, doch die Suizidrate blieb stabil. Denn die Regierung in Island nahm im Gesundheits- und Sozialwesen keine überdurchschnittlich starken Kürzungen vor.

Auch Schweden und Finnland meisterten Anfang der 1990er-Jahre eine Finanzkrise. Obwohl es in beiden Ländern mehr Arbeitslose gab, ging die Zahl der Menschen, die den Freitod wählten, zurück. Dies hing mit den vorbildlichen Unterstützungsmaßnahmen für Arbeitslose zusammen.


Situation in Österreich. In Österreich ist die Anzahl der Menschen, die ihrem Leben ein Ende setzen, seit 1987 rückläufig. 2011 waren es 1286 Personen. Es wird geschätzt, dass es zehnmal so viele Suizidversuche gibt. Österreich liegt hier im europäischen Mittelfeld.

Mehr Suizide gibt es etwa in der Schweiz, Frankreich, Belgien, Finnland und in Ungarn. Auch in Österreich scheine die Krise „in suizidologischer Hinsicht Spuren zu hinterlassen. Der Rückgang der Suizidrate stagniert“, sagt Nestor Kapusta, Leiter der Suicide Research Group an der Medizinischen Universität Wien. Seinen Angaben zufolge übersteigt in Österreich die Anzahl jener Personen, die jährlich durch Suizid sterben, jene der Verkehrstoten um das Doppelte. „Dies allein macht die Notwendigkeit entsprechender Präventionsmaßnahmen deutlich“, so Kapusta. In Österreich habe es bislang zwar viele suizidpräventive Aktivitäten gegeben. Diese seien aber häufig lokal begrenzt und wenig koordiniert gewesen.

Um das zu ändern, erstellte das Gesundheitsministerium einen nationalen Suizidpräventionsplan. Demnach soll das Angebot ausgebaut werden. Spezifische Kriseninterventionszentren für alle Hilfesuchenden „existieren gegenwärtig in drei Bundesländern, nämlich in Wien, Salzburg und Oberösterreich“. Auch sei mit Ausnahme der Telefonseelsorge „keinesfalls überall eine– wie auch immer organisierte– regional verankerte Anlaufstelle mit telefonischer 24-Stunden-Erreichbarkeit gegeben“.

Der Plan verweist auf Untersuchungen zum Thema Suizid und Ökonomie, „in denen sehr detailliert nachgewiesen wird, wie gering die Kosten von Suizidprävention und Krisenintervention im Verhältnis zu den volkswirtschaftlichen Folgen vollzogener Suizide sind“.

Vorgeschlagen wird unter anderem, dass man beim Arbeitsmarktservice jedem Arbeitssuchenden neben Informationen über Bewerbungsmöglichkeiten auch „wenigstens eine Informationsbroschüre über den Umgang mit psychischen Belastungen samt Telefonnummer und Kontaktadresse einer einschlägigen Einrichtung in seiner Region“ in die Hand gibt. Dies sollte möglichst beim ersten Kontakt, aber auch wiederholt anlässlich wichtiger Stationen im Falle einer längeren „Arbeitslosenkarriere“ passieren.

Wer sich in einer Krise befindet, bekommt Hilfe– etwa bei der Telefonseelsorge, die in ganz Österreich kostenlos vom Festnetz und von allen Handynetzanbietern unter der Rufnummer 142 erreichbar ist. Dort wird kein Anrufer nach seinem Namen gefragt. Die Telefonseelsorge ist offen für alle Problembereiche und für alle Anrufer in ihrer jeweiligen Situation. Bei Bedarf erhält man auch Kontaktadressen von Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen. Für Kinder und Jugendliche gibt es die Hotline „Rat auf Draht“, wo unter der Durchwahl 147 ebenfalls rund um die Uhr Berater zur Verfügung stehen.

Hilfesuchende können sich zudem an das Kriseninterventionszentrum Wien wenden. Auf der Homepage www.kriseninterventionszentrum.at gibt es ausführliche Informationen zum Thema Suizidalität. Unter „Links“ findet man eine Liste mit Angeboten in allen Bundesländern.

Rat und Hilfe im Krisenfall

Die Psychiatrische Soforthilfe steht rund um die Uhr als Not- und Krisendienst zur Verfügung. Telefonnummer: 01/31330

Das Kriseninterventionszentrum Wien bietet Beratung und Kurztherapie zur Bewältigung akuter Krisensituationen.

Die Telefonseelsorge ist in ganz Österreich rund um die Uhr unter der Telefonnummer 142 erreichbar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2013)

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