Erzbischof von Beirut: "Es gab noch keine Aufklärung in der arabischen Welt"

LEBANON PALM SUNDAY
LEBANON PALM SUNDAY(c) EPA (WAEL HAMZEH)
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Der maronitische Erzbischof von Beirut, Boulus Matar, über die Zukunft der Christen im Nahen Osten, die Flüchtlingstragödie im Libanon und Österreichs Asylpolitik.

DiePresse.com: In Syrien fürchten viele Christen den Fall des Assad-Regimes. Wie sieht die christliche Gemeinschaft im Libanon den Krieg im Nachbarland?

Boulos Matar: Wir sind in dieser Frage gespalten. Ein Teil unterstützt die Opposition, der andere Assad. Aber auch die Unterstützer Assads wissen, dass er ein Diktator ist - unter dem übrigens auch der Libanon gelitten hat. Sie sagen: Assad ist ein böser Mensch, aber was kommt danach? Wenn die Fundamentalisten an die Macht kommen, wird es noch schlimmer. Zwischen "schlecht und schlechter" wählen sie "schlecht". Andere sagen: Nein, wir brauchen die Revolution, den arabischen Frühling. Meine Meinung dazu ist: Es braucht Zeit, eine Demokratie aufzubauen - und zunächst vor allem eine demokratische Kultur.

Die von ihnen erwähnten fundamentalistischen Tendenzen gibt es nicht nur in Syrien sondern auch in anderen arabischen Ländern. Aus dem Irak ist bereits die Hälfte der Christen geflohen. Hat die Christenheit überhaupt eine Zukunft im Nahen Osten?

Ja. Wir leben seit 1400 Jahren dort. Wir haben ein Problem mit Fundamentalisten, nicht mit gewöhnlichen Moslems. Und dieses Phänomen des Fundamentalismus kann auch wieder verschwinden. Wir müssen also geduldig sein, friedlich Widerstand leisten und mit den Moslems gemeinsam eine neue Zukunft aufbauen. Wir können nicht einfach fliehen. Der Anfang der Christenheit liegt in diesen Ländern. Wir haben eine Mission.

War der arabische Frühling das Schlimmste, was den Christen im Nahen Osten passieren konnte?

Nein, aber das braucht Zeit. Die arabische Welt ist damit nicht vertraut. mit Demokratie.Es gibt dort keine Opposition. Das würden die Herrschenden nicht tolerieren. In der arabischen Welt gab es auch noch keine Aufklärung. Seit dem Kollaps des Osmanischen Reich hat es in fast 100 Jahren kein einziges Land geschafft, eine gute Verfassung zu schaffen. Es gab nur Revolution und Diktatoren.

Sie sagen, es hat in 100 Jahren mit der Demokratie nicht geklappt. Warum soll es dann jetzt gelingen?

Die Welt verändert sich und es gibt keine Wahl - entweder mehr Freiheit oder zurück ins Mittelalter. In Europa hattet ihr doch auch Könige und dann kam die Aufklärung, die französische Revolution und dann wieder Napoleon. Die Demokratie in Europa wurde also auch nicht in 30 Jahren geschaffen. Vor einem demokratische politischen System müssen wir aber eine demokratische Kultur schaffen. Es braucht ein neues Bildungssystem, Meinungsfreiheit, freie Universitäten.

Auch wenn es zynisch klingt: Aber waren die Christen mit den eher säkularen Despoten nicht besser bedient als sie es möglicherweise in einer arabischen Demokratie wären?

Nein, denn du kannst in einer Diktatur nicht frei sein. Du kannst überleben, vielleicht sogar sicher sein. Aber das alles sind nicht die wichtigsten Werte im Leben. Vielleicht ist der Libanon ein Vorbild für die Zukunft der arabischen Welt. Es gibt bei uns eine Art Demokratie und Meinungsfreiheit.

Stichwort Libanon: Die libanesische Schiiten-Miliz Hisbollah kämpft an der Seite Assads, libanesische Sunniten unterstützen die Aufständischen. Wir der Libanon schon bald völlig vom Syrien-Krieg aufgesogen?

Das Problem in Syrien ist ein religiöses - zwischen den (Anm.: von Schiiten unterstützten) Alawiten und den Sunniten, dass die die islamische Welt in zwei Teile gerissen hat. Dazwischen stehen die Christen als Opfer, die niemand unterstützt. Unsere Regierung im Libanon sagt zwar: Wir halten uns da raus. Aber bekanntlich halten sich nicht alle daran. Vorerst gibt es aber nur in Tripoli im Norden Probleme, weil dort Alawiten und Sunniten zusammenleben. Aber natürlich droht die Gefahr, dass wir vom Feuer um uns herum erfasst werden. Das politische System ist bereits paralysiert. Auch die Wirtschaft wartet auf das Ende des Krieges.

Der Libanon zählt vier Millionen Einwohner. Zusätzlich bevölkert ihn derzeit mehr als eine Million Flüchtlinge. Das klingt nach einer sozialen Zeitbombe.

Es ist eine Tragödie. Einige der Flüchtlinge arbeiten, aber natürlich gibt es Probleme. Wir versuchen ja zu helfen. Wir geben heuer 60.000 jungen Flüchtlinge in unseren Schulen Unterricht. Wir öffnen unsere Krankenhäuser. Aber wer zahlt das alles? Die Flüchtlinge haben kein Geld. Also brauchen wir Unterstützung.Wir können das vielleicht noch ein, zwei Jahre machen. Nicht länger. Und irgendwann wird ein Teil der Flüchtlinge wieder zurückgehen müssen.

In Österreich sollten nur 500 Flüchtlinge aufgenommen werden - und zwar ausschließlich Frauen und Christen. Die Auswahl nach Religionszugehörigkeit sorgte für einen ziemlichen Konflikt ...

... ich sage ihnen warum Österreich das so gemacht hat: Die (sunnitischen) Moslems in Syrien erhalten Unterstützung von Moslems - in der Türkei, in Ägypten, in Jordanien. Um die Schiiten kümmert sich der Iran.. Doch die Christen werden von niemandem unterstützt. Deshalb verstehe ich die Position Österreichs. Denn diese Menschen sind die schwächsten, sie haben keinen Ort, an den sie gehen können. Und zu den „nur" 500 Flüchtlingen: Wir wollen ja gar nicht, dass alle Christen Syrien verlassen. Es gab 1,5 Millionen Christen in Syrien, sollen wir die alle aus dem Land holen? Wir sollten die Hoffnung für die Zukunft wahren.

Anders gefragt: Fühlen sich die Christen im Nahen Osten vom Westen bzw. Europa im Stich gelassen?

Boulos Matar

Ich mag diese Appelle der Christenheit im Nahen Osten an Europa nicht. Wir leben ja nicht in der Zeit der Kreuzzüge. Und es geht nicht nur darum, 500 Flüchtlinge aus Syrien in Österreich aufzunehmen. Ihr Europäer müsst für die Menschenrechte eintreten. Das ist eure Pflicht. Wenn ihr für diese unteilbaren Rechte nicht in anderen Ländern eintretet, dann verliert ihr sie auch in euren eigenen Ländern. Man kann den Flüchtlingen zum Beispiel nicht einfach nur die Türe verschließen. Sie kommen ja aus der Türkei oder mit ihren Booten von Afrika, weil sie leben und etwas zu essen haben wollen. Ihr müsst ihnen dabei helfen, in ihren Heimatländern gut leben zu können - mit ihrer Kultur, ihrer Religion. Das ist eure Mission. Boulos Matar ist der maronitische Erzbischof von Beirut. Er nahm am „Colloquium Syriacum“ im Wiener Pallotti-Haus teil. Die zweitägige Veranstaltung der Ökumenischen Stiftung „Pro Oriente“ stand unter dem Titel: "Für eine Kultur der Koexistenz in pluralistischen Gesellschaften im Nahen Osten und in Indien".

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