Architektur: Dekorwut und Baustopp

(c) Clemens Fabry
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Thema 1914/2014: Stilistisch breit zeigt sich die Architektur um 1914. Die zwei konträren Positionen der Architekten Adolf Loos und Josef Hoffmann prägen die Wiener Moderne. Und die Leistungen spätgründerzeitlicher Baukunst können nicht ohne die verheerenden Zustände hinter den Zinskasernfassaden betrachtet werden.

Nur wenigen Bauten räumte Friedrich Achleitner in seinem Basiswerk zur österreichischen Architektur des 20. Jahrhunderts so viel Platz ein, wie der Villa Skywa Primavesi. Mit diesem Bau in der Hietzinger Gloriettegasse hätte die Wiener Architektur und Wohnkultur kurz vor dem Ersten Weltkrieg ihren „absoluten Höhepunkt“ erreicht, „was den Grad der Ästhetisierung des Lebens und den Einsatz gestalterischer, handwerklicher und materialer Mittel betrifft“.

Josef Hoffmann hatte eine Variation über das Englische Landhaus in einen Park und zur Straße eine klassizistische Front mit Giebeln, Seitenrisaliten und Pfeilern gesetzt. Der Grundriss lässt erkennen, dass es – wie in den meisten Gartenvillen rundum – nicht bloß ums Wohnen, sondern um Repräsentation ging: Ein großbürgerlicher Haushalt 1914 musste ebenso viel Raum für Speisezimmer, Bibliothek und Salon wie für den privaten Rückzug bieten. Gemessen an den allgemeinen Wohnstandards dieser Zeit waren Bad, Loggia, zwei Schlafzimmer und Ankleideraum Luxus. Nicht zu sprechen von Wintergarten und Terrasse, Wirtschafts- und Gästeräumen im Ober- sowie Küche und Personalräumen im Untergeschoß.

Die historischen Verweise sollen nicht täuschen: Das Bemerkenswerte an der Villa sei der „Vorgriff in die Geschichte“, sprich die „Verwendung scheinbarer historischer Elemente und deren Transformation: So ist jedes Detail, jede Beziehung der Formen, gar nicht zu reden von der räumlichen Konzeption, neu, in der Architekturgeschichte ohne Beispiel“, stellt Achleitner Hoffmanns Werk in die erste Reihe.

Vieles entwickelt sich gleichzeitig – längst bietet sich im Wien von 1914 ein stilistisch in viele Richtungen ausdifferenziertes Bild. Die Architektur der Spätgründerzeit ist von den diversen historistischen Moden, den Einflüssen der Secession, einer aufkeimenden Moderne, von reaktionärem Bodensatz und avantgardistischeren Strömungen geprägt und überlagert.

Mitunter auch karikiert, wenn diese „Wiener Melange“, wie Achleitner sie nennt, beliebig, zu offensichtlich auf den Zweck der Behübschung abgestellt in einem Bauwerk zusammentrifft. Gründerzeitbauten aus der zweiten Bauphase nach der Ringstraße schwelgen im Neobarock, zitieren die Antike, bedienen sich des Zeichenvorrats des Biedermeiers. Nach 1892, dem Bau der Stadtbahn, der Wienflussregulierung, den Eingemeindungen hatte in einer Hochkonjunkturphase eine weitere Bauwelle eingesetzt, die nun die eingemeindeten Vororte erreichte.

„Es entstanden Arbeiterbezirke, Simmering oder Brigittenau, die noch einmal verdichtet wurden“, schildert Architekt und Theoretiker Manfred Wehdorn. Ganz Wien bestand aus Baustellen: gewerblichen Komplexen, Villen, Zinshäusern, Fabriken und nachträglichen Einbauten in die Hinterhöfe.

Antipoden. Stellvertretend für zwei konträre Positionen in der Wiener Moderne steht das Werk Hoffmanns dem von Adolf Loos gegenüber, beide nachhaltig von Otto Wagner beeinflusst. Noch bevor Hoffmann seine klassischen Bauten – unter anderem die Villenkolonie Kaasgraben – errichtete, stand die Villa Scheu von Loos (unten links) bereits. Und war ihrer Zeit voraus: dekorlos, mit glatten Mauern, dreistufig mit Flachdach ohne Überstand. Ein Beispiel für die Nutzung technischer Innovation beim Deckenaufbau und einer strengen Gleichung: Loos bestand darauf, dem Grund wieder den Anteil der verbauten Fläche – in Form von Terrassen – zurückzugeben.

Spott und Diskussionen hatten sich bereits an dem von ihm geplanten Haus am Michaelerplatz (1909-1911) entzündet: Der radikale Architekt hatte den Funktionen des Baus gegensätzliche Erscheinungsbilder zugeordnet – der Geschäftszone ein Manifest des Materials, den Wohnetagen eine schmucklose Fassade. Aus heutiger Sicht wirkt es originell, dass vom Besitzer dieses „Hauses ohne Augenbrauen“ verlangt wurde, zumindest die Fenster mit Blumenkisten zu schmücken. Doch in den 1910er-Jahren fasste halb Wien die Fassade dieses Eisenbetonskelettbaus als Provokation auf, allein schon wegen des Gegenübers: „es wurde versucht das haus in einklang mit der kaiserlichen burg, dem platz und der stadt zu bringen“, schreibt Loos lakonisch.

Seine polemischen Schriften kann man als Reaktion auf die Inhaltsleere und Beliebigkeit so mancher Architektur sehen, vor allem der Tatsache, dass sich viele spätgründerzeitliche Gebäude quasi in Rüschenkleidern auf die Straße stellten, während sich hinter ihren Fassaden simple Schachteln aus Ziegelwerk verbargen. „Der konstruktive Bau trennt sich total von der Außenhaut. Bis 1914 wird dieses Auseinanderklaffen von Konstruktion und der äußeren Erscheinung immer abstruser“, erklärt Wehdorn. Durch neue Herstellungsverfahren etwa konnte der ganze Fassadenzierrat industriell (und günstiger) gefertigt werden. Man musste ihn nur mehr an die Wand kleben oder mit Eisenankern anbringen. Bloß die Grundformen vorspringender Fassadenteile wurden gemauert. Ganze Musterkataloge hat es gegeben – voller Friesbänder, Konsolen, Bauplastiken. Wer einen Putto oder Löwenkopf suchte, fand ihn in der Wienerberger Tonwarenfabrik.

Dekor sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass hinter der Fassade vieler Zinskasernen eine ganz andere Alltagswirklichkeit existierte als in der Währinger Cottage, den Hietzinger und Döblinger Nobellagen oder an und  im Einzugsbereich der Ringstraße. Nichts von dem Reichtum außen fand sich innen, nicht jedes vierstöckige Gründerzeithaus war auch für den gutbürgerlichen Hausgebrauch mit zwei, drei großzügigen Wohnungen pro Etage bestückt, sondern in viele Kleinstwohnungen mit Zimmer, Küche und Kabinett dividiert. Bassena und Toilette befanden sich am Gang. Viele Familienmitglieder teilten sich wenige Quadratmeter, um über die Runden zu kommen. Der enorme Zuzug – Wien zählte 1913 an die 2,1 Millionen Menschen – erforderte ein rasantes Wachstum der Wohnflächen, was kaum zu bewerkstelligen war.

Durch lange Gänge, stickige Lichthöfe und schmale Stiegen wurde in diesen Häusern jeder Quadratmeter kapitalisiert. Eine Bauordnung, die eine Bebauung von 85 Prozent der Parzelle erlaubte, machte sie für den Hausherren rentabel und für die Bewohner zum Desaster. „Die Arbeiter lebten so schlecht und bedauernswert, wie man das heute nicht mehr nachfühlen kann“, so Wehdorn.

Die Wohnungsnot war immens. In den größten, schlimmsten Objekten – wie in der Schimmelgasse – wohnten 1914 bis zu 1000 Menschen. Moderne Infrastruktur wäre zu diesem Zeitpunkt zwar möglich, aber kaum leistbar gewesen. Während des Kriegs sank auch die Bereitschaft der Eigentümer, Wasser und elektrisches Licht in die Wohnungen einzuleiten. Wo doch selbst der bürgerliche Haushalt nicht zwingend mit Fließwasser gesegnet war. „Auch die gut situierten Leute wohnten im Winter bei 14 bis 16 Grad“, schildert Wehdorn. Mieterschutz existierte noch nicht, die Gemeinde konnte nur wenig in den Wohnbau stecken. Doch zeichneten sich schon Vorläufer des Gemeindebaus ab, Achleitner nennt ein paar Objekte, die das „Modell des kommenden Wohnbaus“ vorwegnahmen.

Abruptes Ende. „Der Krieg kam für viele überraschend“, das zeige sich in der bis 1914 regen Bautätigkeit, so Wehdorn. Vieles blieb liegen. Manche Projekte wurden storniert, wie etwa der von Otto Wagner geplante Krankenhausbau am Währinger Gürtel. Manches wurde nach 1918 finalisiert. Bevor die Bauwirtschaft weitgehend zum Erliegen kam, wurden in Wien 1913 noch ein paar größere Objekte wie etwa das Kriegsministerium (ein Schlussstein des Ringstraßenbaus), das Konzerthaus oder das Technische Museum zumindest außen abgeschlossen. In der Wiener Innenstadt am Hof ging die Österreichische Länderbank ins Finale, am Hohen Markt wurde der Anker-Hof als Büroobjekt realisiert. Adolf Loos gestaltete die Zweigstelle der Zentralsparkasse in der Mariahilfer Straße.

Nach mehreren Baujahren wurde die Donaufelder Kirche in Floridsdorf eingeweiht. Und bedauerlicherweise gehört zu jenen Bauten, die während des Krieges expandierten, die Sargfabrik in der Altmannsdorfer Straße.

>>"Presse"-Sonderausgabe 1914/2014<<

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2014)

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