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Ein Sonderzug zum Stasi-Irrwitz

Udo Lindenberg
Udo Lindenberg(c) imago stock&people
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Groteske Akten: Das legendäre Konzert von Udo Lindenberg in Ostberlin 1983 brachte die Spitzel ins Schwitzen und kommunistische Kulturfunktionäre zur Verzweiflung.

Udo Lindenberg wollte es gleich wissen. Schon kurz nach der Wende konnte der westdeutsche Rockmusiker einsehen, was die Spitzel der kommunistischen Diktatur über ihn zusammengetragen hatten. Es war ein Schock, brachte ihn zum Weinen – aber auch zum Lachen, weil es „so grotesk, so abartig, so komisch“ war. Nun kann die Öffentlichkeit mitweinen und mitlachen.

Die Stasi-Unterlagenbehörde, die das düstere Erbe des größten ideologischen Überwachungsapparates der Geschichte verwaltet, hat Akten von Spionen und Funktionären in der DDR zu einer Broschüre kompiliert. Ihr Thema: das legendäre Konzert, das Lindenberg am 25. Oktober 1983 im Palast der Republik in Ostberlin geben durfte.

Alles andere als selbstverständlich! Denn man wusste, mit wem man sich da einließ: „Die Prüfungen in der Künstleragentur der DDR ergaben, dass Lindenberg ein mittelmäßiger Schlagersänger der BRD ist.“ Der „Rockinterpret, der jedermann mit Du anspricht“, trete „betont anarchistisch auf“ und verwende eine „vulgäre Sprache“. Sein „gesamtes Verhalten“ sei „dekadent“. Er arbeite „mit pervertierten Mitteln“ wie „unmöglichem Gehabe bei gesanglichen Darbietungen“. Überhaupt trete er „elementarste Formen“ der „Ästhetik und Anständigkeit mit Füßen“.

„Schmählied“ gegen Honni

Warum so viel linientreue Empörung? Lindenberg hatte kurz zuvor mit einem „Schmählied“ namens „Sonderzug nach Pankow“ stürmisch Zutritt zu ostdeutschen Bühnen verlangt. Doch der an Erich Honecker gerichtete Text war für die DDR-Bürokraten eine „gemeine Diffamierung“. Darin wurde der Generalsekretär des Zentralkomitees „als Oberindianer, sturer Schrat, Rocker und als Honni bezeichnet“. Diese „herabwürdigenden Aussagen“ gefährdeten „das sozialistische Zusammenleben“.

Ein Fall für die Zulassungsordnung Unterhaltungskunst, die alle Stücke verbot, die „gegen die Ansprüche der Werktätigen auf hohe künstlerische Qualität und humanistische Haltung verstoßen“. Durchgreifen hielt man für dringend nötig, weil eine „Vielzahl Studenten großes Interesse“ an dem Machwerk bekundeten. In Discos hatte es schon eine „euphorische Stimmung hervorgerufen“.

Aber jetzt: ein Auftritt, übertragen im Fernsehen! „Progressive Kräfte“, also stramme Regimeanhänger, zeigten „Verwirrung“ und „Ablehnung“. Zusammen mit Harry Belafonte diente Lindenberg als westlicher Aufputz auf der Abschlussveranstaltung einer Liedertournee für den Frieden (genauer: gegen NATO-Raketen). Sein Manager hatte geschickt verhandelt: Wenn Lindenberg nicht singen darf, kommt auch Belafonte nicht.

Also ließ sich das Regime auf das PR-Wagnis ein – und überließ doch nichts dem Zufall, der Unruhe hätte stiften können. 300 Stasi-Mitarbeiter waren im Einsatz. Auch den Sänger selbst hielt eine Truppe „unter ständiger operativer Kontrolle“. Karten wurden nur an „bewährte Jugendliche ausgegeben“. Vor dem Konzert wurden sie „zu verhaltenem Applaus aufgefordert“. Doch löste der Auftritt „eine größere Begeisterung“ aus als erwartet: Nur ein Lied mehr, und die Zuschauer wären „trotz der vorherigen Belehrung nicht mehr zu disziplinieren gewesen“.

Tritte auf dem Revier

Auch sonst lief einiges schief. Schon beim Grenzübertritt kam es zu „unkontrollierten journalistischen Aktivitäten“ der ARD. „Während dieser Handlungen verletzten Fotoreporter die Staatsgrenze um etwa 50 cm (Planquadrat Tafel 1, D 8 a).“ Viel schlimmer noch: Nach der Probe entfleuchte Lindenberg durch einen Seitenausgang und ließ sich von seinen echten Fans auf die Schultern heben. Hunderte „pseudopazifistische, religiös getarnte, feindlich-negative Kräfte“ feierten ihr Idol.

Unter den 25 Festgenommen war Nikolaus Becker, Sohn des Schriftstellers Jurek Becker. Er hatte es gewagt, Fotos zu machen. Am Revier erlebte er, wie Volkspolizisten die „Asozialen“ mit Knüppeln schlugen, mit Stiefeln traten und ihnen Haare ausrissen: „Diese Nacht hat mir meine letzten eventuell noch vorhandenen Ideale in Bezug auf diesen Staat genommen.“

Bald nach dem Konzert sagte die SED-Führung eine fürs Jahr darauf schon versprochene Lindenberg-Tournee kurzerhand ab. Das war ihr dann doch zu heiß. Udo musste bis zur Wende warten, um frei und locker vor ostdeutschen Fans singen zu können. Da war die Stasi nur noch ein Stück gruselige und mahnende Geschichte. Hinterm Horizont ging's weiter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2014)

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