1964: Der starke Mann der Herrengasse ist nervös

Franz Olah. Der Innenminister fühlt sich von sozialistischen Parteifreunden verraten und bösartig attackiert. Ein „Presse“-Interview, das zum politischen Ende des mächtigsten Mannes der SPÖ führte.

[15. September 1964] Der bleiche Mann hinter dem mit Akten beladenen Schreibtisch ist nervös. Er nippt an einem Glas Milch, beugt sich vor, presst die schmalen Lippen zusammen und fingert an den Schriftstücken, die überall herumliegen. Innenminister Olah ist in den letzten Monaten unruhiger geworden.
Wenn er lacht, ist es zumeist spöttisch, und sein hageres Gesicht mit den strengen Augen scheint asketischer geworden zu sein. Wird das Gespräch intensiv, beginnt er mit den Augen zu zucken, und sein Fuß trommelt zur Untermauerung seiner Worte pausenlos auf den Teppich.
Was Olah zu sagen hat, ist freilich auch für ihn selbst hart. Er muss wohl lange mit sich gekämpft haben, bevor er, der 40 Jahre der SPÖ angehört, die Dinge offen beim Namen nennt. Manchmal zögert er, etwa, wenn es um die Besitzverhältnisse der „Kronen Zeitung“ oder um sein Verhältnis zum Parteivorsitzenden Pittermann geht. Zumeist aber antwortet er auf alle Fragen rasch: Manchmal sprudelt aus ihm lang zurückgehaltene Empörung.
Immer wieder kritisiert er die Form, in der die innerparteilichen Auseinandersetzungen geführt werden. Er kritisiert jedoch auch die Artikel der „Kronen Zeitung“, in der seine „Paradefeinde“ attackiert werden. Spricht er von seinen Fehlern, so hebt er bedauernd die Arme: „Ich bin mir bewusst, dass ich viele Fehler habe. Ich bin vielleicht zu temperamentvoll und fasse rasch Entschlüsse.“
Wenn er die Möglichkeit erwägt, von der politischen Bühne abzutreten, dann ist es nicht ganz klar, ob seine Visionen einer Zeit ohne Macht und politischen Einfluss für ihn etwas Schreckliches oder Schönes sind. Da er aber „lernen, lesen und schreiben“ möchte, scheint er sich doch schon einigermaßen genau über eine solche Situation den Kopf zerbrochen zu haben. Seiner Frau habe er, erzählt Olah, jedenfalls versprochen, nicht bis zum 65. Lebensjahr im bisherigen Tempo zu arbeiten. Franz Olah ist 54 Jahre alt.
Von seinen Widersachern in der Sozialistischen Partei spricht der Innenminister zumeist als von den „Leuten“. Nur einmal nennt er zwei Namen: „Broda und vielleicht Holaubek“, den Justizminister also und den Wiener Polizeipräsidenten.
Auf die Frage, ob er nichts dagegen habe, dass der Inhalt des harten Gesprächs veröffentlicht werde, denkt Olah zunächst nach, und sagt dann müde: „Es ist ja schon so weit gekommen“, und schüttelt den Kopf.

Freiwillig aufs Mandat verzichtet


Vor zwei Jahren waren allerdings die Chancen des damaligen ÖGB-Präsidenten, die Führung der Partei zu übernehmen, noch groß gewesen. Durch seinen auch für die SPÖ überraschenden Abschied vom Nationalrat hatte er, dieser ehemalige Klavierbauer und früher populäre Führer der Holz- und Bauarbeiter, zwar viele Anhänger gewonnen, seine Chancen zu avancieren waren aber gesunken.
Heute nennt Olah diesen Entschluss ein „freiwilliges Handicap“. Darum will er auch jetzt wenigstens in der derzeitigen Situation keine überraschenden „einsamen Beschlüsse“ mehr fassen. Schließlich möchte er ja auch nicht „der Partei schaden“. Außerdem würden auch seine Wähler, wie er glaubt, eine solche Handlung nicht verstehen.
Will man konkrete Auskünfte über jene Affäre haben, die zum Fall Olah beigetragen haben, dann sperrt der Innenminister hastig eine mit Akten gefüllte Lade auf und zieht Mappen heraus. Er blättert, überfliegt, liest leise vor sich hin und reicht dann Beweisstücke für seine Unschuld. Sorgsam versperrt er dann die Indizien wieder.

Dossiers im Panzerschrank


Wenn er auch sagt, er könne nicht das Gegenteil der gegen ihn erhobenen Vorwürfe beweisen, schließlich sei es Sache seiner Widersacher, Tatsachen zu untermauern, so glaubt man dem Innenminister doch nicht ganz, er werde wehrlos in den Ring der politischen Auseinandersetzungen treten. „Ich werde mich schon wehren“, sagt er, ohne näher auf die Art seiner Gegenwehr einzugehen.
Fragt man ihn nach seinen Freunden, so erklärt er, er suche keine Verbündeten, er werde seinen Standpunkt allein vertreten, schließlich wiederholten sich ja die Attacken gegen ihn alle paar Monate. Wenn man den Innenminister darauf hinweist, die Zahl seiner Anhänger in den höchsten Parteigremien sei sehr klein, so lacht er etwas traurig: „Glauben Sie wirklich?“

Georg Nowotny war Innenpolitik-Redakteur der „Presse“ und beendete seine Laufbahn bei der „Krone“.

("Die Presse", 165 Jahre Jubiläumsausgabe, 29.06.2013)

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