Flüchtlinge: Ein Jahrzehnt in der Asyl-Warteschleife

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Patricia Muyumba bekam nach zehn Jahren ihren positiven Asylbescheid. Für die Zukunft hat sie schon Pläne.

Plötzlich stand ein fremder Mann vor der Tür. „Geh mit ihm mit“, sagte ihr Vater. Er sei ein guter Freund der Familie. Was mit ihr passieren sollte, realisierte die damals 15-jährige Patricia Muyumba nicht: „Ich habe mich gefühlt wie ein Baby. Ich wusste nicht, was mit mir geschieht“, erzählt sie. Auch, warum sie allein das Haus verlassen musste, verstand sie nicht. Ohne Gepäck – und vor allem: ohne Familie. Eltern und Bruder blieben zurück.

Was Muyumba damals nicht wusste: Das war das bisher letzte Mal, dass sie ihre Familie sah. Der Mann fuhr mit ihr in Richtung Flughafen. Mit einem fremden Pass sollte er sie nach Österreich bringen, um Asyl ansuchen. Von welchem Mädchen der Ausweis stammte, und warum es ausgerechnet nach Wien ging – das weiß Muyumba bis heute nicht. Doch der Plan, als Flüchtling anerkannt zu werden, hat funktioniert. Nur: Es war ein mühsamer Weg. Ganze zehn Jahre dauerte es, bis Muyumba ihren positiven Asylbescheid in den Händen halten konnte. Vor wenigen Wochen war es so weit.

Fälle wie dieser sind zwar selten. Aber trotzdem gibt es sie, die langsamen und zähen Asylverfahren. Vor Kurzem wurde bekannt, dass ein Zeitungsverkäufer aus Bangladesch seit 18 Jahren auf einen Bescheid wartet. Wie lange es vom Antrag bis zur endgültigen Erledigung im Durchschnitt dauert, ist in Österreich unklar. Statistische Aufzeichnungen gibt es nicht. Und auch im Innenministerium kann man keine genauen Angaben dazu liefern. Nur so viel gibt man bekannt: 80 Prozent der Asylverfahren sind in erster Instanz innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen.

Dass Verfahren, die vor zehn Jahren eingeleitet wurden, im Extremfall länger dauern, erklärt man sich im Innenministerium folgendermaßen: „Damals gab es eine andere Behördenstruktur und auch zu wenig Personal für die damalige Antragszahl.“ In den vergangenen Jahren sei das System allerdings mit einigen rechtlichen Änderungen effizienter geworden.

Verfolgt von beiden Seiten

Muyumba selbst kann sich jedenfalls auch nicht erklären, warum sie ein ganzes Jahrzehnt auf eine rechtskräftige Beurteilung warten musste. Ihr wurde vor wenigen Wochen der Asylstatus aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit gewährt: Im Jahr 2004 verließ sie ihre Heimat, die Demokratische Republik Kongo. Ein Elternteil gehört der ethnischen Gruppe der Tutsi an. Im wütenden Bürgerkrieg wurde sie von keiner der sich bekämpfenden Seiten anerkannt – und verfolgt.

Weil allerdings nicht beide Eltern Tutsi sind, wurde ihr im Jahr 2007 der Flüchtlingsstatus verwehrt, erzählt sie. Als sie Berufung einlegte, dauerte es wiederum sieben Jahre, bis der Fall rechtskräftig abgeschlossen war.

Heute sitzt Muyumba in ihrem Zimmer im Caritas-Haus Daria in Wien-Favoriten und freut sich auf eine eigene Wohnung. Dinge wie eine Bleibe nur für sich, ein Job oder eine Reise ins Ausland waren bisher für sie unvorstellbar.
Für die Zukunft hat sie allerdings schon Pläne: Sie möchte als Altenpflegerin arbeiten, „die Ausbildung dazu habe ich schon gemacht. Aber als Asylwerberin habe ich den Beruf nicht ausüben dürfen“, sagt sie. Daher habe sie ehrenamtlich in einem Pflegeheim gearbeitet. „Wenn es möglich ist, möchte ich auch eine zweite Ausbildung zur Hebamme machen.“ Nicht arbeiten zu können sei für sie in den vergangenen Jahren die größte Herausforderung gewesen.

„Was ist das für eine Sprache?“

Zu Beginn hatte sie aber mit ganz anderen Problemen zu kämpfen: „Der Mann hat mich nach unserer Ankunft in Wien nach Traiskirchen gebracht. Er hat nur gesagt, ich soll zu den Beamten gehen und sagen, ich bitte um Asyl.“ Dann sei der Fremde wieder verschwunden.

Muyumba wusste zu dem Zeitpunkt allerdings nicht einmal, in welchem Land sie sich befindet. „Mein erster Gedanke war: Was ist das für eine Sprache? Ich hatte sie noch nie zuvor gehört.“ Auf französisch konnte sie sich schließlich mit den Beamten in Niederösterreich verständigen. Sie nahmen ihre Daten auf und brachten sie zwei Monate lang in Traiskirchen unter. Dort erklärten ihr andere Asylsuchende, wo sie sich befindet: „Wir sind in Europa, in einem Land nahe Deutschland“, hätten sie gemeint. Von Österreich hätte sie zuvor keine Ahnung gehabt. Jetzt fühle sie sich hier schon zu Hause.

LEXIKON

Asylwerber sind Menschen, die in einem fremden Land um Schutz angesucht haben und auf den Abschluss des Asylverfahrens warten. Wie lange dies in Österreich dauert, wird statistisch nicht erfasst. Laut Innenministerium werden jedenfalls 80 Prozent der Verfahren in erster Instanz innerhalb von sechs Monaten entschieden.

Anerkannte Flüchtlinge sind asylberechtigt. Sie haben also ihr Heimatland wohlbegründet verlassen. Bekommen sie in Österreich Asyl, dürfen sie hier auch arbeiten.

Arbeiten dürfen Asylwerber hingegen nur sehr eingeschränkt: Laut dem sogenannten Bartenstein-Erlass können sie – unter strengen Auflagen – als Saisonarbeiter beschäftigt werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2014)

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