99ideen: „Marihuana macht nicht süchtig“

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JAROLIM(c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
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Abschaffung von „lebenslang“, Deals mit Staatsanwälten und Legalisierung von Cannabis: SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim irritiert mit seinen Ideen die Partei.

Die Presse: In Österreich entstand in den vergangenen Monaten eine Debatte über überfüllte Gefängnisse. Sie haben im Vorjahr einige Vorschläge dazu gemacht, die Ihre Partei irritiert haben, z. B. die Abschaffung der Strafdrohung „lebenslang“.

Hannes Jarolim: Ich habe gewusst, dass diese Ideen in der SPÖ nicht mehrheitsfähig sind. Insofern war das keine Überraschung.

Aber wäre die Abschaffung überhaupt effektiv? Es gibt kein „lebenslang“ in Österreich, man kommt ohnehin auf Bewährung frei. Die Ausnahme ist der Maßnahmenvollzug für psychisch kranke Täter. Den haben Sie aber damals ausgeklammert.

Da es kein „lebenslang“ gibt, ist es den Menschen zumutbar, diese Wahrheit auch auszusprechen. Eine Gesellschaft sollte akzeptieren, dass es möglich ist, dass sich Menschen in der Haft ändern. Manchen geht ein Licht auf. Wer weiter gefährlich bleibt, soll sowieso weiter angehalten werden.

Menschen, die nicht psychisch krank sind, sollen quasi bis auf Widerruf in Haft bleiben, wenn sie sich nicht „bessern“? Das wäre ja Maßnahmenvollzug für alle.

Das Urteil müsste natürlich vorsehen, dass man bei der Entlassung eine Gefährlichkeitsprognose machen kann. Es ginge dabei auch nur um Fälle, in denen jemand in der Haft ernsthaft psychisch auffällig wird. Wenn man weiß, dass einer gefährlich ist, soll man ihn nicht auf die Gesellschaft loslassen.

Einige Experten meinen, dass psychisch kranke, vor allem unzurechnungsfähige Täter sowieso kein Fall für die Justiz sind, sondern einer für das Gesundheitswesen. Sehen Sie das auch so?

Auf jeden Fall. Die Justiz kann keine Spitäler substituieren.

Ihr Parteikollege, der Noch-Gesundheitsminister, sieht das anders.

Vermutlich aus Budgetgründen, aber die Ressorts könnten die Kosten teilen.

Apropos Strafrecht und Medizin: Der Beschluss der Tiroler SPÖ, Cannabis zu legalisieren, müsste Ihnen gefallen. Sie wollen das ja auch.

Marihuana macht nicht süchtig – im Gegensatz zu Crack oder LSD. Indem man Cannabis legalisiert, verhindert man den Umstieg zu schädlicheren Drogen und verringert noch dazu die Beschaffungskriminalität, eine sehr gefährliche Begleiterscheinung, unter der die Gesellschaft sehr leidet. Schauen Sie sich die Indios in Südamerika an: Dort, wo Marihuana traditionell genommen wird, gibt es kaum ein Alkoholproblem. Wir sind zwar keine Indios, aber unschädlichere Drogen sollten schädlichere verdrängen.

Glauben Sie wirklich, dass einer kein Crack nimmt, weil Marihuana legal wird?

Ja. Ich glaube, einige Drogenkonsumenten gehen es mit Vernunft an.

Ein Argument gegen die Legalisierung lautet: Wir haben genug Probleme durch Alkohol und Tabak. Ist es nicht unlogisch, einerseits das Rauchen zu verdrängen und andererseits eine andere Droge salonfähig zu machen?

Es geht nicht darum, eine weitere Droge zu legalisieren, sondern den Konsum gefährlicherer Drogen zu reduzieren: eben Crack, Heroin, LSD.

Sie haben noch eine Idee, die der SPÖ nicht gefällt. Sie wollen „Deals“ anbieten: Staatsanwalt und Verteidiger einigen sich darauf, dass es für ein Teilgeständnis eine mildere Strafe gibt. In Deutschland hat Formel-1-Chef Ecclestone kürzlich durch die Zahlung von etwa 75 Mio. Euro einen Bestechungsprozess beendet. Hat Ihnen das gefallen?

Es war mir in höchstem Maße unsympathisch. Aber ein einzelner Fall stellt meine Idee nicht auf den Kopf. Wirtschaftsprozesse dauern bis zu fünfzehn Jahre und führen Unternehmen oft in den Konkurs. Da ist es doch besser, dem Angeklagten eine exemplarisch hohe Geldstrafe anzubieten, sobald man einen Überblick über den Fall hat. Der Staat würde in kurzer Zeit relativ viel Geld einnehmen und die Justiz würde entlastet. Dem Unternehmen würde die Strafe zwar wehtun, aber sie wäre niedrig genug, damit es überleben kann. Im Fall von Ecclestone war die Strafe wohl zu gering. Sie sollte etwa die Hälfte des Vermögens umfassen.

Wäre die Causa Grasser ein Fall für einen Deal?

Das ist anders, hier gibt es nicht einmal ein Teilgeständnis.

Ecclestone hat auch nichts gestanden.

Mir geht es in erster Linie nicht um Einzelpersonen, sondern um Unternehmen. Wenn eine Firma ruiniert wird, leiden die Angestellten. Grasser ist kein Arbeitgeber.

In Österreich gab es zuletzt heftige Kritik an dem Prozess von Josef S., dem deutschen Akademikerball-Demonstranten. Teilen Sie die Empörung – etwa über die Wortwahl des Staatsanwalts oder die Beweiswürdigung des Richters?

Ich bin natürlich gegen Gewalt bei Demonstrationen, aber ich glaube auch, dass die Ausübung von Grundrechten wie der Demonstrationsfreiheit bei Justiz und Polizei nicht allzu gerne gesehen wird, v.a. in den Führungsrängen. Bei Demonstrationen gegen Rechtsextreme wird teilweise unverhältnismäßig vorgegangen.

Glauben Sie, dass gegen linke Demonstranten härter vorgegangen wird als gegen rechte?

Das kann man so nicht sagen. Ich glaube, Demos werden grundsätzlich nicht gerne gesehen. Das hat mit einer sehr österreichischen Haltung zu tun.

Nämlich?

Der offene Konflikt liegt uns nicht. Wir reden Dinge nicht aus. Richter kommen nicht selten aus eher konservativen Elternhäusern, wo das Verständnis für Protest und Auflehnung oft fehlt. Die Justiz reagiert in solchen Fällen bisweilen auffällig verbissen. Ich würde mir mehr Gelöstheit wünschen.

Veröffentlichen auch Sie Ihre besten Ideen für Österreich: diepresse.com/99ideen

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.08.2014)

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