Russlands Eisenbahn: „Wir sind die Quelle neuer Fracht“

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Wladimir Jakunin, Chef der Russischen Eisenbahnen, zählt zu den mächtigsten Managern Moskaus. Er weiß um die Bedeutung seines Landes für Europas Güterverkehr.

Moskau. Dass das größte Land der Erde vor allem am Problem der infrastrukturellen Überwindung der immensen Distanzen laboriert, hat bereits Dichtern im 19. Jahrhundert Stoff für Sarkasmus geliefert. Im 21. Jahrhundert ist das Thema aktueller denn je. Nicht nur der Transport im eigenen Land ist im Zuge des Wirtschaftsaufschwungs gestiegen, auch der Transit durch Russland steht vor neuen Herausforderungen.

Eine zentrale Rolle bei der Lösung der Aufgaben kommt den Russischen Eisenbahnen mit ihren 1,3 Millionen Mitarbeitern zu. Geht es nach dem Entwicklungsplan der russischen Regierung, so sollten bis 2030 an die 400 Mrd. Euro investiert werden, 20.000 Kilometer neue Bahnlinien verlegt und erste Hochgeschwindigkeitstrassen installiert werden. Zuvor freilich ist die Finanz- und Wirtschaftskrise zu überwinden. Der Einbruch bei den Gütertransporten trifft die Eisenbahnen hart, drei Prozent der Arbeiter werden bereits entlassen. Über den weiteren Weg und die Kooperation mit dem Westen erzählt der Präsident der Russischen Eisenbahnen, Wladimir Jakunin, im Interview mit der „Presse“.

Die Presse: Beginnen wir nicht bei der Krise, sondern bei den Containertransporten aus China, die Sie auch in Kooperation mit der österreichischen ÖBB betreiben. Welche Perspektiven verbinden Sie damit?

Wladimir Jakunin: Der Containertransit ist heuer um sieben Prozent gestiegen. Wir haben in diesem Jahr einen sehr großen Terminal „Zabajkalskij“ an der Grenze zu China errichtet, der eine Kapazität zum Umschlag von 500.000 Containern hat. Heute können wir Container mehr als doppelt so schnell von China nach Europa bringen als über den Seeweg. Gerade daher ist für uns wichtig, die Möglichkeit einer Partnerschaft mit den slowakischen und österreichischen Eisenbahnen zu prüfen, denn die Idee des Gütertransports von der Küste des Pazifiks ins Zentrum Europas, insbesondere nach Wien, mit der folgenden Verteilung in Europa macht die Route attraktiv.

Sie treiben den Bau der in der Ex-Sowjetunion üblichen Breitspur bis nach Wien voran. Die Reaktion hier ist eher abwartend. Was hätte der Westen von dieser Technologie?

Jakunin: Man darf nicht vergessen, dass Russland, so wie China, Japan und Kasachstan, die Quelle neuer Fracht für Europa ist. Und diese Länder wiederum konsumieren eine riesige Menge von Waren, die in Europa produziert werden. Daher würde durch eine durchgehende Technologie, die verhindert, dass man an jeder Grenze Tage stehen muss, um das Fahrgestell zu wechseln oder Zollprozeduren zu durchlaufen, die Konkurrenzfähigkeit des Eisenbahntransports in riesigem Ausmaß erhöht.

Wer sind diese Konkurrenten?

Jakunin: In Europa wie in Russland ist unser Hauptgegner der Automobiltransport, wo sich die Qualität der Leistungen ebenfalls verbessert. Der Bau der Breitspur ist wichtig, aber nur möglich, wenn Russland, die Ukraine, die Slowakei und Österreich mitmachen. Im Prinzip sind die Einigungen erzielt.

Wo spüren die russischen Eisenbahnen die Finanzkrise am stärksten?

Jakunin: Beim Rückgang des Transports von Gütern aus der Metallindustrie, der Förderindustrie und der Baumaterialien. Also all jener Sektoren, die den Schlag der Krise zuerst abgekriegt haben. So gesehen geht alles annähernd so vor sich wie in Europa. Die einzige Besonderheit liegt darin, dass wir anders als Europa – abgesehen vom Pipelinetransport – 80 Prozent des Gütertransports der russischen Wirtschaft abwickeln. Als Resultat haben wir eine merkbare Kürzung des Transports, und damit der Einkünfte. Dennoch hat die Regierung letzte Woche unser Budget und Investitionsprogramm bestätigt.

Es wird trotzdem schwer sein, die geplante Tariferhöhung für den Gütertransport, der drei Viertel des Umsatzes ausmacht, zu argumentieren. Zumal die Wirtschaft auch 2009 noch schwach erwartet wird.

Jakunin: Die Regierung hat auch beschlossen, den Plan der Tarifregulierung einzuhalten. Damit ist gemeint, dass die Tarife im nächsten Jahr um 14 Prozent gegenüber 2008 wachsen. Sollte es zu einer merklichen Absenkung der Kosten der Waren, die wir bei der Industrie kaufen, kommen, wird auch das Tarifwachstum geringer ausfallen.

Vor einem Monat meinten Sie, dass das Investitionsprogramm für 2009 um zehn Prozent gekürzt werden könnte. Haben Sie mittlerweile schon weiter nach unten korrigiert?

Jakunin: Derzeit nicht, sollte es aber keine Unterstützung der Regierung geben, haben wir natürlich ein Alternativszenario ausgearbeitet.

Gekürzt wird ja auf jeden Fall. Welche Modernisierungen werden unbedingt umgesetzt?

Jakunin: Priorität bleiben zweifellos unsere Programme der internationalen Kooperation. Aber auch die Modernisierung der russischen Eisenbahnen und der Kauf von Rollgut, wie wir es geplant haben.

Wo wollen Sie dann kürzen?

Jakunin: Wir sind gezwungen, die Sozialprogramme zu kürzen, und werden nach unseren Möglichkeiten leben müssen.

Die Pläne für den Ausbau des Hochgeschwindigkeitssektors gehen unvermindert weiter?

Jakunin: Ja. Im Dezember erhalten wir den ersten Zug „Velaro Rus“ von Siemens. Ab August werden wir den Zug auf der Strecke Moskau–Petersburg einsetzen.

Was sind die nächsten Schritte?

Jakunin: Laut Programm ist vorgesehen, das Versuchsgelände für den Hochgeschwindigkeitsverkehr auf 2000 Kilometer auszuweiten. Das wird realisiert werden. Was die Verbindungen für den Hochgeschwindigkeitsverkehr betrifft, so liegt natürlich viel Arbeit vor uns. Vielleicht müssen meine Pläne, bis 2014 die Hochgeschwindigkeitsverbindungen über 350 Kilometer pro Stunde in Russland in Gang zu setzen, nach hinten verschoben werden. Aufgegeben werden sie nicht.

Deutschland bleibt Hauptpartner für die Hochgeschwindigkeitspläne?

Jakunin: Ja. Und nicht nur für diese Pläne. Ich denke, dass das Programm für den Korridor Ost-West zweifellos die Kooperation mit Österreich, Slowakei, Ukraine und Deutschlands inkludiert.

Russland hat den Kauf der Hochgeschwindigkeitszüge immer damit verbunden, dass diese dann in Russland produziert werden. Wie sehen die Pläne dazu aus?

Jakunin: Wir haben alle Programme für das Rollgut unter Berücksichtigung einer folgenden Verlagerung der Produktion nach Russland entwickelt. Denn wir sind ein großes Land in der Ausdehnung. Und dass wir dafür immer etwas aus dem Ausland importieren, ist einfach nicht sehr angenehm.

ZUR PERSON

Wladimir Jakunin (60) gilt als einer der wenigen Personen, die „dostup k delu“ haben, wie man in Russland sagt – unmittelbaren Zugang zum russischen Premier Wladimir Putin. Medien zufolge diente der studierte Technikingenieur so wie Putin beim KGB und saß als Mitglied im Aufsichtsrat der von Putin-Freunden gegründeten Bank „Rossija“.

Mit Putin wechselte Jakunin nach Moskau, wo er zuerst Stellvertretender Minister für Verkehr und Kommunikation und ab 2005 Präsident der Russischen Eisenbahnen wurde. [Bloomberg/Graham Barclay]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2008)

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