Glawischnig: "Ich fühle mich niemandem überlegen"

Glawischnig:
Glawischnig: "Ich fühle mich niemandem überlegen"(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Grünen-Chefin Eva Glawischnig über das Pharisäerhafte an der Political Correctness, die "unmenschliche" Flüchtlingspolitik Australiens und das mitunter falsche Bild, das wir uns von Afrika machen.

Gutmensch gilt als abwertender Begriff für jemanden, der mit erhobenem Zeigefinger von anderen Dinge verlangt, die er selbst gar nicht unbedingt zu tun braucht, weil er sich ohnehin moralisch überlegen fühlt. So stellen sich viele Menschen auch die Grünen vor. Zu Recht?

Eva Glawischnig: Ich fühle mich niemandem moralisch überlegen. Es geht eher um einen Wertekompass, um Mitgefühl für Menschen in anderen Lebenssituationen. Und darum, daraus dann eine Form des solidarischen Handelns abzuleiten. Ich würde mich daher nie vor Kinder hinstellen, die gerade vor dem Krieg geflohen sind, und ihnen ein Schild, auf dem sinngemäß „Geh wieder heim“ steht, entgegenhalten.

Es geht aber schon auch um dieses Pharisäerhafte: also um Menschen, die im politischen Diskurs vorwurfsvoll für mehr Zuwanderung plädieren, ihre Kinder dann aber in Privatschulen in Bezirken mit niedrigem Ausländeranteil schicken.

Also ich wohne an der Grenze zwischen dem 16. und 17. Bezirk, und meine Kinder besuchen eine öffentliche Schule mit sehr gemischten Klassen. Und ich bin damit sehr glücklich.

Aber Sie kennen solche Menschen?

Wir haben unter uns grünen Abgeordneten einmal eine Umfrage gemacht, wer seine Kinder in öffentlichen Schulen hat und wer in privaten. Wenn ich mich recht erinnere, hatte keiner sein Kind in einer Privatschule.

Ähnlich ist das auch beim Thema Flüchtlinge: Es ist leicht, von der Innenministerin zu fordern, hier großzügiger zu sein, als selbst welche aufzunehmen.

Die Forderung an die Innenministerin geht schon ein wenig tiefer. Es geht nicht nur darum, dass sie mehr Plätze schafft. Sondern um die Rahmenbedingungen. So wurde der Tagsatz von 19 Euro seit Jahren nicht mehr valorisiert. Ich finde aber, es ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, sich gegenseitig große Vorwürfe zu machen. Eigentlich sollten wir jetzt gemeinsam das Problem in den Griff bekommen.

Das wird aber schwierig. Der Flüchtlingsstrom wird nicht geringer werden. Das sieht auch die UNO so.

Bei Menschen, die wirklich aus Kriegsgebieten kommen, ist es die erste Verpflichtung einmal zu helfen . . .

Aber es kommen eben nicht alle aus Kriegsgebieten.

Darüber muss man sich dann schon auch Gedanken machen. Es fand heuer in Afrika der Entwicklungsgipfel statt. Da ging es nicht nur um Entwicklungszusammenarbeit. Sondern auch um faire Handelsbeziehungen. Länder, die politisch stabil sind wie Senegal, leiden unter unfairen Handelsbeziehungen. Senegal hat 600.000 Fischer. Die EU hat jetzt die Fischereilizenzen zusammengekauft. Somit haben 600.000 Fischer auf einmal keine Lebensgrundlage mehr, weil sie keine Lizenz mehr haben. Da kann man schon eine kohärente Strategie entwickeln für die nächsten zehn, zwanzig Jahre. Um gerade dem afrikanischen Kontinent eine bessere Perspektive zu bieten. Afrika ist extrem ressourcenreich. Es gibt dort Städte und Gesellschaften, die total boomen. Dass die alle nur arm sind, das stimmt überhaupt nicht.

Dennoch wollen viele Menschen nach Europa. Australien etwa hat sehr restriktiv seine Grenzen dichtgemacht. Für die Grünen wahrscheinlich kein Vorbild – oder?

Das ist total unmenschlich, was die Australier machen, und mit der Genfer Flüchtlingskonvention sicher nicht vereinbar. Wenn man die Berichte über die Flüchtlingslager in den Australien vorgelagerten Inseln liest, wird einem schlecht. Da gibt es Übergriffe auf Kinder und Frauen. Australien nimmt auf der anderen Seite aber relativ viele Menschen aus Resettlement-Programmen auf.

Die andere Möglichkeit für Europa – neben der strikten Kontrolle der Schengen-Grenze – wäre: Man ist relativ großzügig bei der Aufnahme, wer dann jedoch kein Anrecht auf Asyl hat, wird wieder abgeschoben.

Das passiert ja im Moment.

Wenn dann allerdings wirklich rigoros abgeschoben wird, regen sich die Grünen wieder auf.

Wenn jemand keinen Asylgrund hat, dann wird er in der Regel abgeschoben. Das kann man jetzt traurig finden, aber es ist so.

Viele tauchen allerdings auch unter und bleiben da.

Das weiß ich nicht. Diese Frage muss die Innenministerin beantworten. Im Moment sind bei uns jedenfalls vorwiegend Syrer, die in der Regel auch Asyl bekommen. Und meist relativ hohe Qualifikationen mitbringen.

Kommen wir wieder zurück zu den Grünen, einer Partei, die nicht zuletzt auch aus den freizügigen Achtundsechzigern hervorgegangen ist, heute aber den Ruf einer Verbotspartei hat. Wie kam es dazu?

Ich bin erst 1969 geboren. Und Rauchfreiheit in der Gastronomie ist ja auch keine grüne Erfindung, sondern da gibt es in Österreich eine mehrheitliche Zustimmung.

Haschisch legalisieren, Rauchen verbieten – ist das nicht ein Widerspruch?

Ich will Rauchen ja nicht verbieten, sondern ich will eine rauchfreie Gastronomie.

Die Grünen sind auch große Verfechter der Political Correctness. Finden Sie nicht, dass dieser etwas Spießiges, Gouvernantenhaftes anhaftet? Dabei waren die Grünen doch eigentlich als Rebellen angetreten, die die Konventionen infrage stellten.

Also ich finde es ziemlich unsexy, wenn ein Mann sagt, er hat seine künftige Frau beim Pograpschen kennengelernt.

Es gibt da ja auch noch andere Ausformungen der Political Correctness.

Also ich lege Wert drauf, dass bei einer Geburtstagsparty, auf der Buben und Mädchen gemeinsam sind, nicht gesagt wird: Buben, die Torte ist fertig!

Müssen wissenschaftliche Texte etwa zwingend gegendert werden?

Ich habe in meiner Dissertation männliche und weibliche Formen verwendet. Ich bin gegen das Verschleiern von Frauen in der Sprache. Ich finde, das haben wir Frauen uns ja auch verdient, dass wir nicht unsichtbar sind.

Menschen wie wir. Wie Frank Stronach sagen würde.

(Lacht.)

Ja, genau.

Ein wenig pharisäerhaft ist es auch, dass die Grünen All-in-Verträge kritisieren, selbst für die eigenen Parlamentsmitarbeiter aber solche haben.

Das ist kein All-in-Vertrag.

Im Parlament?

Ja. Das ist ein Vertrag mit einem Überstundenpauschale. Und alles, was an Überstunden darüber hinaus geleistet wird, wird extra abgegolten.

Viele Linke haben nun im griechischen Ministerpräsidenten, Alexis Tsipras, und dem früheren Finanzminister Yanis Varoufakis neue politische Idole gefunden. Was halten Sie denn von der griechischen Syriza-Regierung?

Es haben in den vergangenen Monaten beide Seiten hoch gepokert, auch Syriza. Unser Interesse kann es nur sein, dass auch die Kranken, darunter viele Kinder, in Griechenland eine Krankenversicherung haben. Und das Land wirtschaftlich wieder auf die Beine kommt.

Warum haben die Grünen dann im österreichischen Parlament gegen das neue Hilfsprogramm für Griechenland gestimmt?

Weil wir bei den Maßnahmen der Meinung waren, dass diese die Krise verschärfen werden. Die Absenkung der Rüstungsausgaben hatte hier beispielsweise keine Priorität. Es gab zu wenig Impulse für eine echte Ankurbelung der Wirtschaft.

Also wäre ein Grexit besser gewesen?

Nein. Das wäre der Beginn des Zerfalls der Eurozone gewesen. Das kann sich nur jemand wünschen, der am Zerfall der EU interessiert ist.

Ist das eigentlich auf Dauer nicht ein wenig langweilig, immer nur dagegen zu sein und zu kritisieren?

Ich finde ja hie und da auch manche Sachen gut. Zum Beispiel die rauchfreie Gastronomie. Und wir haben mittlerweile über unsere Regierungen in den Bundesländern auch blühende Biotope zu bewirtschaften. Oberösterreich ist nach zwölf Jahren Schwarz-Grün mittlerweile das wirtschaftlich erfolgreichste Land.

Wenn man sich den Zuwachs für die FPÖ, der in erster Linie auf die Flüchtlings- und Zuwanderungsfrage zurückzuführen ist, vor Augen hält: Fragt man sich da nicht manchmal, ob man nicht vielleicht zu abgehoben Politik an den Bedürfnissen und Ansichten der meisten Menschen vorbei macht?

Ich glaub ja nicht, dass es in ganz Österreich ein dramatisches Unterbringungsproblem gibt. Sondern wir haben jetzt mit einer Situation umzugehen, in der eben vermehrt Asylanträge gestellt werden und wir für menschenwürdige Unterkünfte sorgen müssen. Das ist lösbar und machbar. Wir haben ja auch noch andere Probleme. Nur die FPÖ reduziert immer alles auf die Ausländerfrage. Wobei erwiesen ist: Dort, wo sie regiert hat, hat sie dramatisch verloren.

Also müsste man die FPÖ wieder in Regierungsverantwortung einbinden?

Nein. Das ist der Schaden, den sie anrichtet, nicht wert.

Steckbrief

Eva Glawischnig-Piesczek Geboren am 28. Februar 1969 in Villach. Jusstudium. Dann bei Global 2000. Ab 1996 für die Grünen im Wiener Gemeinderat. Seit 1999 ist sie Abgeordnete zum Nationalrat. Von Oktober 2006 bis Oktober 2008 war sie Dritte Nationalratspräsidentin.
2008 wurde die langjährige Stellvertreterin von Alexander Van der Bellen dann zur neuen Bundessprecherin und Klubobfrau der Grünen gewählt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2015)

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