Igor Sapic & Lisa Muhr: "Wir sind sehr geduldig mit uns"

(c) Clemens Fabry
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Lisa Muhr und Igor Sapic gründeten das nachhaltige Modelabel "Göttin des Glücks". Der "Presse" erzählten sie, warum Unternehmen wie ihres anders bewertet werden müssen - und sie bis heute nicht ruhig schlafen können.

Die Presse: Sie betreiben das Modelabel „Göttin des Glücks“. Ursprünglich ein Spaßprojekt, wie Sie einst sagten. Inwiefern?

Igor Sapic: Wir waren zu viert, jeder war in unterschiedlichen Branchen selbstständig. Wir waren befreundet und wollten etwas gemeinsam machen. So haben wir die Mode als Medium gefunden.

Lisa Muhr: Unsere gemeinsame Arbeit war zunächst nicht als Businessmodell geplant. Aber aufgrund des Erfolgs ist es mehr und mehr geworden. Irgendwann mussten wir unser Projekt auf ein rechtliches Standbein heben.

Modehersteller gibt es viele. Hatten Sie nie die Befürchtung, dass Sie nur ein weiterer Spieler auf dem Markt sind?

Sapic: Es sollte eigentlich nie in eine Art Produktion ausarten.

Muhr: Als wir 2006 gesehen haben, dass uns diese Tätigkeit immer mehr Zeit von unserer eigenen Selbstständigkeit wegnimmt, haben wir uns gefragt: ,Was machen wir mit der Göttin des Glücks?‘ Wir haben beschlossen, weiterzumachen, wollten dies aber nur unter der Prämisse der Nachhaltigkeit und Ganzheitlichkeit. Durch die Kooperation mit der EZA Fairer Handel, Österreichs größter Importorganisation für fairen Handel, konnten wir schlagartig mit einer durchzertifizierten Produktionskette arbeiten, wofür man normalerweise mindestens zwei Jahre Aufbauarbeit braucht. So hatten wir sofort ein Alleinstellungsmerkmal. Insofern waren wir immer schon ein etwas anderes Modelabel.

Wie sind Sie auf das Thema Nachhaltigkeit gekommen?

Sapic: Anfangs haben wir selbst Stoffe gekauft, zugeschnitten, bedruckt und genäht. Später haben wir mit einer Näherei in der Slowakei zusammengearbeitet. Vom Betrieb waren wir angenehm überrascht. Beim Stoff waren wir aber frustriert, denn bei Waschungen ist er teilweise zerfallen. Wir haben den Hersteller gefragt, woher er die Grundmaterialien bezieht. Er wollte uns diese Informationen nicht geben, also begannen wir zu recherchieren. Da sind wir draufgekommen, dass vieles nicht so lief, wie wir es uns gewünscht hätten. An zertifizierte Nachhaltigkeit haben wir noch nicht gedacht.

Muhr: Wir haben uns aber vorher schon mit gesellschaftspolitischen Themen und Missständen befasst. Das war für uns dann die Gelegenheit, unsere private Unzufriedenheit und Einstellung mit der Gründung eines nachhaltigen Unternehmens in Einklang zu bringen.

Gefällt den Leuten primär Ihre Mode, oder interessiert sie das Nachhaltigkeitsthema?

Sapic: Das ist unterschiedlich. Wir haben Kundinnen, die nachhaltig einkaufen wollen und sich fragen, woher das Produkt kommt, und jene, die am Schaufenster vorbeigehen und ein Kleid kaufen, ohne zu wissen, was da dahintersteckt.

Wie hoch sind die Mehrkosten einer Produktion, die diverse Bio- und Nachhaltigkeitszertifizierungen vorweisen kann?

Muhr: Da geht es um Hunderte Prozent. Wir produzieren vier- bis sechsmal so teuer wie herkömmliche Marken. Sie zahlen für ein T-Shirt vielleicht einen Euro, wir zahlen sechs Euro. Dann kommen noch Zoll, Lizenzgebühr, Transport dazu. Diesen hohen Preis können wir nicht nach der gängigen Kalkulationsmethode auf den Verkaufspreis hochrechnen, das würde keiner zahlen. Igor muss also einschätzen, um wie viel das Produkt dem Kunden noch zumutbar ist. Unsere Händler haben nicht so eine gute Spanne – und wir auch nicht. Es müssen alle etwas dafür tun, dass es den Menschen am Anfang der Produktionskette besser geht. Es geht auch um die Masse: Wer 100.000 Stück produziert, hat einen anderen Preis als wir, die rund 10.000 Stück pro Kollektion produzieren.

Wirtschaftlich gesehen schneidet man sich als nachhaltiger Produzent also ins eigene Fleisch?

Sapic: Absolut. Leider wird Nachhaltigkeit in der heutigen Wirtschaft noch immer wenig gefördert.

Wenn man Ihre Preise betrachtet, sieht man, dass es billigere, aber auch teurere Mode gibt. Ist es Ihr Ziel, die Bekanntheit zu steigern, um mehr verlangen zu können?

Sapic: Nein, unser Anliegen ist, faire Mode zu machen, die leistbar ist. Wir wissen aber, dass wir nicht für alle leistbar sind. Wir sind eher im mittleren Preissegment. Weiter hinauf wollen wir gar nicht gehen.

Muhr: Wir brauchen keinen Gewinn um jeden Preis, damit wir ihn uns in die Tasche stecken können. So arbeiten wir nicht. Gleichzeitig sind wir aber davon abhängig, dass man unsere Waren kauft. Was uns stört, ist, dass die einzige Bewertung in der Wirtschaft die Zahlen sind, hinter die aber niemand wirklich blickt und sich fragt, wie sie zustande kommen. Wir setzen uns dafür ein, dass ein gemeinwohlorientiertes Unternehmen anders bewertet werden muss als eine Firma, die mit Intransparenz und Ellbogentechnik arbeitet und vielleicht nur 0,005 Prozent Steuern zahlt.

Ist es realistisch, dass Kunden von Modediskontern auf nachhaltige Mode umsteigen?

Muhr: Wenn es ein gesetzliches Anreizsystem für nachhaltiges Wirtschaften gäbe und der Raubtierkapitalismus damit unattraktiv würde – etwa mit niedrigeren Steuern oder weniger Lohnnebenkosten –, dann würden faire Produkte idealerweise billiger werden als unfaire. Dorthin sollten wir kommen.

Sind Konzerne Ihre größten Konkurrenten oder andere Öko-Labels?

Sapic: Mit ihnen könnten wir sowieso nicht mithalten, wir bewegen uns ja nicht auf dem Weltmarkt. Wir haben festgestellt, dass viele kleine Unternehmen entstanden sind, vielleicht auch durch den Weg, den wir in Österreich vorangegangen sind. Natürlich heißt das auch mehr Konkurrenz, aber je mehr Angebot es in unserem Modesektor gibt, desto attraktiver wird die Nische.

Wächst die Nachfrage stärker als das Angebot?

Muhr: Im Moment ist es noch umgekehrt. Es entstehen viele neue Labels, und die Kundenzahlen wachsen nicht proportional mit. Das spüren wir in den Umsätzen.

Wie gut können Sie von Ihrem Unternehmen leben?

Muhr: Ruhig schlafen können wir bis heute nicht. Wir verdienen alle nach Kollektivvertrag, die Geschäftsführer, also wir, inklusive. Wir haben alles, was wir eingenommen haben, in das Unternehmen gesteckt, heute können 22 Mitarbeiter von der Firma leben. Aber es bleibt nichts über, und eine „gesunde“ Größe ist noch nicht erreicht. Was man sich grundsätzlich überlegen muss, ist, ob man ganz klein bleiben oder wachsen will. Wir mussten uns aber für Wachstum entscheiden, weil Fairtrade-Produktionen im globalen Kontext allein aufgrund der Minimummengen nicht im Kleinen funktionieren können.

Ans Aufgeben haben Sie nicht gedacht?

Sapic: Wir haben uns immer Limits gesetzt und uns immer wieder noch ein Jahr gegeben. Wir haben viel Geduld mit uns.

Muhr: Wir haben die Firma Schritt für Schritt aufgebaut und in den vergangenen beiden Jahren viel investiert. Jetzt schauen wir, wie es uns im nächsten Jahr geht. Wir haben eine sehr spannende Strategie entwickelt, um unsere gesunde Größe zu erreichen.

Was meinen Sie damit?

Muhr: Dass wir so viel Gewinn machen, um Rücklagen bilden und Investitionen tätigen zu können und alle ein Gehalt bekommen, mit dem wir gut leben können.

Sapic: Gerade die Mode ist wetterabhängig. Wenn man Rücklagen hat, kann man saisonale Tiefs leichter durchtauchen. [ Fabry]

ZUM UNTERNEHMEN

Lisa Muhr (*1969)und Igor Sapic(*1975) gründeten im Jahr 2005 gemeinsam mit Dessislava Stoytcheva und Monika Bledl das nachhaltige Modelabel „Göttin des Glücks“. Alle Beteiligten waren zuvor selbstständig in unterschiedlichen Bereichen (etwa Architektur oder Bildhauerei) aktiv. Heute leiten Muhr und Sapic das Wiener Unternehmen, das in den vergangenen Jahren zahlreiche Auszeichnungen erhalten hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2016)

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