Jakunin: "Bahn holt Güter schneller aus China"

(c) Michaela Bruckberger
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Wladimir Jakunin, Chef der russischen Bahn, erwartet, dass die Breitspurbahn bis Wien ausgebaut wird. So soll die Bahn Containerschiffen Konkurrenz machen.

„Die Presse“: Es gibt schon seit Jahren Pläne, die russische Breitspurbahn – die zurzeit an der ukrainisch-slowakischen Grenze endet – bis zur slowakisch-österreichischen Grenze zu verlängern. Erwarten Sie, dass diese Pläne je realisiert werden?

Wladimir Jakunin: Als diese Pläne erstmals vorgestellt wurden, war die Reaktion in den vier betroffenen Ländern (Russland, Ukraine, Slowakei und Österreich) eher zurückhaltend. Inzwischen ist das Bild aber viel positiver, weshalb ich glaube, dass die Pläne realisiert werden. Russland ist für Europa ein wichtiger Rohstofflieferant. Daher ist es wichtig und sinnvoll, dass die Bahn gegenüber dem Lkw-Verkehr ausgebaut und attraktiver wird.

Was für einen Unterschied macht es, wenn der Wechsel von der Breitspur auf die Normalspur statt im Osten der Slowakei im Westen der Slowakei stattfindet?

Jakunin: An der ukrainisch-slowakischen Grenze werden die Waren lediglich von der Breitspur auf die Normalspur transferiert. Das kostet Zeit und führt dazu, dass viele Container gleich auf Lkw umgeladen werden. Die Region Wien–Bratislava ist indes bereits das Ziel vieler Waren. Zudem würden hier internationale Logistikzentren entstehen, die sich um eine Weiterverteilung kümmern. Die Waren würden mit der Bahn direkt von Russland oder China nach Westeuropa transportiert werden.

Wie sieht es mit den Kosten aus? Diese werden auf vier bis sechs Milliarden Euro geschätzt. Gebaut würde die Strecke auf slowakischem Territorium. Wer soll dafür bezahlen?

Jakunin: Die Infrastruktur würde von dem Joint Venture der vier beteiligten Bahnen errichtet werden. Sie würde auch nicht einem bestimmten Land, sondern eben diesem Joint Venture gehören. Die Kosten des Ausbaus würden entsprechend der jeweiligen Beteiligung am Joint Venture verteilt werden.

Das heißt, Russland würde auch mitzahlen.

Jakunin: Sicherlich. Russland zahlt den Ausbau mit.

Und jedes der vier betroffenen Länder müsste ein Viertel zahlen?

Jakunin: Bei dem derzeitigen Joint Venture, das für die Machbarkeitsstudie gegründet wurde, sind alle vier Partner zu je einem Viertel beteiligt. Wenn das Projekt umgesetzt wird, dann muss jeder entscheiden, wie stark er sich engagieren möchte. Es könnte weiterhin eine gleichberechtigte Partnerschaft sein, es könnte aber auch sein, dass es Mehrheits- und Minderheitsbeteiligungen gibt. Da besteht noch keine feste Regel.


Wann soll die Machbarkeitsstudie abgeschlossen sein?

Jakunin: Im Frühjahr soll entschieden werden, wer die Studie durchführt. Ende des Jahres wollen wir einen ersten Entwurf haben.

Sie meinten zuvor, dass künftig auch vermehrt Waren aus China per Bahn nach Europa transportiert werden sollen. Die Bahn steht dabei in direkter Konkurrenz zu Containerschiffen. Warum sollten Kunden auf die teurere Bahn wechseln?

Jakunin: Die Bahn hat gegenüber den Schiffen einen riesigen Vorteil: Wir transportieren Waren um gut 15Tage schneller von China nach Europa. Von japanischen Unternehmen wurde uns mitgeteilt, dass der Bahntransport dadurch konkurrenzfähig wäre, auch wenn er rund tausend Dollar pro Container mehr kostet. Der Grund dafür ist, dass die Firmen aufgrund des schnelleren Transports ihr Geld in den Waren kürzer gebunden haben.

Welches Potenzial sehen Sie in diesem Markt?

Jakunin: Wir haben ehrgeizige Pläne. Wir wollen ab 2012 eine Million Container pro Jahr vom Fernen Osten nach Europa transportieren. In Summe wird der Markt auf rund 600Milliarden Dollar pro Jahr geschätzt. Nur ein Prozent davon wären bereits sechs Milliarden Dollar – eine Menge Geld, für die es sich zu kämpfen lohnt.

Zur Person: Wladimir Jakunin

Wladimir Jakunin ist seit Juni 2005 Chef der russischen Staatsbahn RZD. Der Absolvent der Technischen Universität von Sankt Petersburg begann seine Karriere im sowjetischen Handelsministerium und arbeitete danach in der ständigen Repräsentanz der UdSSR bei der UNO. Zuletzt war der 61-Jährige stellvertretender Verkehrsminister Russlands. Jakunin gilt als Vertrauter von Ministerpräsident Wladimir Putin.

Die RZD ist eines der größten Bahnunternehmen der Welt. Mit 85.200Schienenkilometern betreut sie das zweitgrößte Netz nach jenem der USA (dort gibt es jedoch mehrere Bahnunternehmen) und beschäftigt 1,2Millionen Mitarbeiter. Pro Jahr transportiert RZD rund 1,3Milliarden Passagiere und etwa 1,3Milliarden Tonnen Fracht. Der Umsatz hat zuletzt 32 Mrd. Euro betragen. RZD gehört zu 100Prozent dem russischen Staat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2010)

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