Experte: "Studierende werden den Unis aufgezwungen"

Experte Studierende werden Unis
Experte Studierende werden Unis(c) Michaela Seidler
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Hochschulforscher Hans Pechar spricht über den offenen Hochschulzugang als Problem und darüber, was Österreichs Studierende tatsächlich bezahlen.

DiePresse.com: Wie könnte man den Hochschulsektor aus der Budgetmisere führen, ohne immer nur mehr Geld zu verlangen?
Hans Pechar: Ein Teil der Budgetmisere ergibt sich aus den extremen Unterschieden zwischen wirklichen Katastrophengebieten mit irregulären Studienbedingungen und anderen  Bereichen, die relativ gut dastehen. Das Problem ist der offene Hochschulzugang.

Dann stellt sich die Frage: Wie kann man Studierendenströme intelligent lenken?
Pechar: Man braucht einen Gesamtentwicklungsplan für das tertiäre Bildungssystem. Der sollte einen Rahmen festlegen, innerhalb dessen Politik und Universitäten Studienplätze aushandeln, wie derzeit an den Fachhochschulen. Im Rahmen dieser Kapazitäten sollten die Universitäten das Recht haben, ihre eigenen Verfahren zur Auswahl der Studierenden zu entwickeln.

Die Hälfte der österreichischen Studierenden bricht ihr Studium ab: Sind die Studenten nicht geeignet oder versagt die universitäre Lehre? 
Pechar: Wenn die Universitäten nicht selbst aufnehmen können, sondern ihnen Studierende, die sie quantitativ gar nicht verkraften können, qua Gesetz  aufgezwungen werden, dann ist das keine glückliche Beziehung. Überall dort, wo die Universitäten aktiv ihre Studierenden aufnehmen sind die Dropout-Raten wesentlich geringer. Dass die Matura eine ausreichende Studierfähigkeit gewährleistet, sollte nicht mit einem verbrieften Recht verwechselt werden, jedes Fach an jeder Universität wählen zu können. Es ist eine Illusion, alle 40 Prozent der Alterskohorte, die derzeit die Matura machen, für gleich befähigt, gleich motiviert, gleich gut zu halten.

Wenn man Zugangsbeschränkungen einführt, wie soll man dann auf höhere Akademikerzahlen kommen?
Pechar: Die Politik muss für alle, die studierwillig sind, Studienplätze schaffen. Dazu haben auch die, die in der Politik für Zugangsbeschränkungen eintreten, noch keine überzeugenden Konzepte vorgelegt. Um das sachgerecht zu lösen, muss man konkret über Kapazitäten diskutieren. Es müssen Bereiche ausgebaut werden, wo ein Bedarf am Arbeitsmarkt besteht. Und nicht in allen Fällen müssen diese Studienplätze so teuer sein, wie ein wissenschaftliches Studium an einer Universität. Genau diesen Weg haben Länder mit höheren Akademikerquoten beschritten.

Serie: Die Zukunft der Unis

Gesprächspartner aus dem Uni-Sektor haben in der DiePresse.com-Serie ihre Visionen für die österreichischen Universitäten skizziert. Alle Gespräche zum Nachlesen.
Sie haben immer wieder betont, dass sie die Abschaffung der Studiengebühren für einen Fehler halten. Wie hoch müssten Gebühren sein, damit sie Sinn machen?
Pechar: Mindestens das, was wir schon hatten. Um die 1000 Euro im Jahr, das wäre ein vernünftiger erster Schritt. Der richtige Weg wäre gewesen, die Studiengebühren zu stabilisieren und sukzessive zu erhöhen. Für die Universitäten waren die Gebühren jedenfalls mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Sie waren aber sicher keine Barriere, die irgend jemanden vom Studium abgehalten haben. Für besonders absurd halte ich, dass völlig verkannt wird, worin die eigentlichen privaten Beiträge der Studierenden bestehen.

Was meinen Sie damit?
Pechar: Die quantitativ größten privaten Beiträge der Studierenden für ihre tertiäre Ausbildung sind in jedem Land die Opportunitätskosten, der Verdienstentgang. Österreich hat nach den USA die zweithöchsten privaten Beiträge, und zwar weil diese Opportunitätskosten hier so hoch sind. Das hat mit der Länge des Studiums zu tun. Und die Länge des Studiums wiederum hängt ab von den Studienbedingungen. Bei der ganzen Debatte über die Studiengebühren wedelt der Schwanz mit dem Hund. Ein vergleichsweise geringer Beitrag wird endlos diskutiert, weil das Thema ideologisch aufgeladen ist, wohingegen die wirklich substanziellen Beiträge der Studierenden überhaupt kein Thema sind.

Es wird immer wieder gefordert, die Hochschulen sollten sich stärker durch Kooperationen mit der Privatwirtschaft finanzieren. Geschieht da zu wenig?
Pechar: Wirklich erfolglos läuft diese Entwicklung ja nicht. Die Drittmittel aus der Wirtschaft steigen vielleicht nicht so rasch, wie man gern hätte, aber sie steigen. Das erfordert, dass die Universitäten sich auch Bedarf der Wirtschaft gegenüber öffnen und angewandte Forschung betreiben. Die Engpässe bei den Massenstudien lassen sich aber mit Drittmitteln aus der Wirtschaft nicht beheben. Kein Wirtschaftsunternehmen wird Geld für Massenstudien bereitstellen, die am Bedarf vorbei produzieren.

Warum sind Investitionen in den Hochschulsektor in Österreich so unpopulär?
Pechar: Die öffentlichen Hochschulausgaben liegen in Österreich im OECD-Mittel. Wir sind nicht besonders gut, aber auch nicht besonders schlecht. Es gibt nur zwei Gruppen von Ländern, wo die Hochschulen überdurchschnittlich gut finanziert werden: Die angelsächsischen Länder, wo es niedrige Steuern, aber hohe Studiengebühren gibt. Und die nordischen Länder, wo es keine Studiengebühren, aber überdurchschnittlich hohe Steuerquoten gibt. Es führt nicht weiter, die Hochschulausgaben außerhalb dieser Bezugsgrößen zu diskutieren. Natürlich bräuchten wir mehr Mittel. Ich glaube, dass sie sowohl von der öffentlichen Hand, als auch von privater Seite kommen sollten.

Zur Organisation der Universitäten: Haben die Professoren an den österreichischen Universitäten einen Stellenwert, der ihnen nicht zusteht?
Pechar: Das eigentliche Problem liegt in der Spaltung des akademischen Personals in unterschiedliche Kurien. Die hierarchischen Abstufungen zwischen den unterschiedlichen Statusgruppen sind zu steil. Die daraus resultierenden Statuskämpfe schaffen sehr viel Unruhe und vergeuden viel Energie.

Wie kann man das besser organisieren?
Pechar: Indem man die im Gesetz verankerte Kurienspaltung aufhebt und durch ein Laufbahnschema ersetzt, wie das in Nordamerika üblich ist. Der große Unterschied zum derzeitigen Modell wäre, dass die Position des Professors nicht durch ein eigenen Berufungsverfahren vom Rest des akademischen Personals abgesondert ist, sondern die letzte Station der Laufbahn darstellt. Man erreicht sie, indem man sich in einem Evaluationsverfahren bewährt.

Also Professur durch Bewährung statt Professur durch Berufung.
Pechar: So ist es. Ein selektives Berufungsverfahren braucht man aber sehr wohl. Es müsste nur von der Professur weg an den Beginn der akademischen Laufbahn treten. Damit würde der wissenschaftliche Nachwuchs viel früher eine selbstständige Position in Forschung und Lehre einnehmen. Die lange Unselbständigkeit ist ein großes Manko des österreichischen Systems. Wir selektieren zwar schon mit zehn Jahren die Kinder, die einmal der Bildungsschicht angehören werden, aber das akademische Personal wird erst im fortgeschrittenen  Alter von etwa 40 für wirklich selbstständig und voll qualifiziert befunden.

Wie soll die Universität in Österreich in zehn Jahren aussehen?
Pechar: Ich würde mir wünschen, dass der Weg, der mit dem UG 2002 beschritten wurde, weitergeführt wird und dass inkonsistente Elemente schrittweise bereinigt werden. Einer Lösung bedarf das Problem des offenen Hochschulzugangs und die Frage des Laufbahnsystems. Und ich würde mir wünschen, dass das Doktoratsstudium nicht in erster Linie die Titelsucht befriedigt, sondern wirklich ein Forschungstraining auf hohem Niveau wird.

Wovon hängt die Zukunft der Unis am stärksten ab? Bessere Studienanfänger, mehr Geld, straffere Lehrprogramme, bessere Verteilung der Ressourcen, mehr Wettbewerb?
Pechar: Da gibt es mehrere Faktoren: Geld ist sicher einer. Eine dem Wissenschaftsbetrieb angemessene Form des Wettbewerbs ist ebenfalls wichtig. Bei den Studienanfängern kann man sich immer bessere Qualifikationen wünschen. Aber der springende Punkt ist nicht, dass sie zu schlecht qualifiziert aus der Sekundarstufe kommt, sondern dass man so tut, als hätten alle die gleiche Qualifikation. Diese Gruppe ist mittlerweile so groß, dass man sie differenziert behandeln muss.

Zur Person

Hans Pechar ist Leiter der Abteilung "Hochschulforschung" am Institut für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung der Universitäten Klagenfurt, Wien, Innsbruck und Graz (IFF).

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