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„Politische Künstler sind komplett überflüssig“

(c) EPA (Adam Warzawa)
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Jazzsaxofonist Branford Marsalis hat ein neues Album ediert, das er demnächst an zwei Abenden im Wiener Porgy & Bess vorstellen wird. Ein Gespräch über Innovation, Politik und die Vergeblichkeit von Konzepten.

Die Presse: Spielen Sie eigentlich jeden Tag?

Branford Marsalis: Ja, sicher. William Faulkner hat, als ihn Schüler nach seinen Methoden gefragt haben, so schön lapidar gesagt: „Der Schriftsteller beobachtet und schreibt. Das ist, was er tut.“ Genau so machen wir Musiker es. Wir beobachten klangliche Phänomene und berichten darüber. Miles Davis war ein Meister darin. Der konnte ein zufällig aufgeschnapptes Sesselquietschen im Publikum zum Ausgangspunkt einer aufregenden Improvisation machen.

War es Furcht einflößend, mit Davis zu spielen?

Er war schon ein ziemlicher böser Typ. Zu seinen Spleens zählte zu versuchen, seine Musiker einzuschüchtern. Bei mir hatte er allerdings keinen Erfolg. Ich denke, er hat das wiederholt, was ihm bei Charlie Parker passiert ist. Er kam als lieber, junger Bursche in dessen Band und wurde dort so gequält, dass es sein Wesen verändert hat. Davis hat sich leider früh vom Jazz verabschiedet, weil er von den Hippies akzeptiert werden wollte.

Ihr neues Album nennt sich „Four MF's Playing Tunes“. Wie kam es zu diesem Titel?

Ein Journalist frage mich im Vorfeld der Veröffentlichung nach meinem Konzept. Das provozierte mich, und ich sagte: „Four Motherfuckers Playing Tunes.“ Es ist nämlich in letzter Zeit ein bisserl gar modern geworden, dass Jazzer über ihr Konzept sprechen.

Was ist denn daran so problematisch?

Dass man alles durch denselben Filter lässt. Jedes Stück klingt dann im Grunde gleich. Mein Credo ist, dass jedes Lied seine eigenen Vorgaben hinsichtlich Emotionalität macht. Die Aufgabe des Musikers besteht darin, diese zu respektieren.

Wenn Sie improvisieren, haben Sie da eine ungefähre Vorstellung, wohin es geht?

Nein, es muss wirklich aus dem Unbewussten kommen. Das versteht mein Pianist Joey Calderazzo nicht. Der will immer vorbereitet sein. Ich bemühe mich redlich zu verhindern, dass Joey planen kann. Das frustriert ihn. Mir geht es aber darum, dass seine Soli nicht voraussagbar sind. Überraschung ist wesentlich in der Musik.

War oder ist Jazz ein Vehikel, um Veränderungen

in einer Gesellschaft voranzutreiben?

Nein. Jazz kann das nicht leisten. Aber hat es diese Endzeitgefühle nicht in jeder Epoche gegeben? Und trotzdem ging es in der Musik um Schönheit und tiefes Gefühl. Nehmen Sie Mozart: Er lebte zu einer Zeit, in der es permanent Kriege gab und die Sterblichkeitsrate auch in Friedenszeiten hoch war. Ungeachtet dessen machte er seine Kunst.

Geht es also darum, dem Schönen gerade auch in Zeiten der Krise auf die Spur zu kommen?

Hört man sich die meisten aktuellen Jazzplatten an, würde ich das eher verneinen. Persönlich hatte ich nie ein singuläres Ziel, wollte in erster Linie ein kompletter Musiker werden. Was keinesfalls geht, ist, dass man sich selbst zum Innovator stilisiert.

Aber es gab doch diese Avantgarde, die versuchte, mit krassen Klängen Neues, auch politisches Bewusstsein, zu schaffen. Etwa Max Roach mit seiner „Freedom Now!-Suite“. War das kein redlicher Versuch?

Da antworte ich mit einer Gegenfrage: Was hat er erreicht? Die meisten dieser Sechzigerjahre-Jazzer waren gefangen in diesem Revolutionsblödsinn, der zu nichts führte.

Aber warum haben Sie früher selbst bei radikalen Einspielungen wie Public Enemy's „Fight the Power“ das Saxofon glühen lassen?

Ganz einfach nur, weil mir der Groove des Songs gefiel. Nicht eine Sekunde dachte ich daran, dass dieses Stück irgendetwas verändern könnte. Musik ist keine politische Kraft, und Musiker überheben sich, wenn sie glauben, sie könnten Politik machen. Beethoven hat Napoleon einmal eine Komposition zugeeignet. Als er später realisierte, welche Art von Politik er machte, entfernte er diese Widmung wutentbrannt wieder. Man sieht, Beethovens Stärke lag nicht in seinen politischen Einschätzungen, sondern darin, auf welche Art er seine kulturellen Traditionen erweitert hat. Das ist das Einzige, was zählt.

Ist es denn Hybris, wenn sich ein Künstler politisch äußert?

Es ist komplett überflüssig. Ich kenne viele nette, politisch korrekte Musiker, die nichts Sinnvolles zustande bringen. Und dann schauen Sie sich Richard Wagner an. Was hat der nicht alles an rassistischem Schwachsinn verbreitet und doch so geniale Musik komponiert? Der durchschnittliche Jazzfreund würde die halb verminderten Nonenakkorde als Innovation des Bebop ansehen. Doch die hat nicht Charlie Parker 1939 erfunden, sondern eben Richard Wagner schon um 1870 herum. Das lehrt, dass man in der Musik mit Wörtern wie „neu“ und „innovativ“ vorsichtig umgehen muss.

Ist also permanente Innovation, wie sie manche Kritiker fordern, eine Illusion?

Auf jeden Fall. Wirkliche Innovation wird oft zunächst gar nicht als solche erkannt. Ich empfehle dieses herrliche Buch von Nicolas Slonimsky, in dem er krasse Fehlurteile von Musikkritikern auflistet. Es heißt „Lexicon of Musical Invective: Critical Assaults on Composers since Beethoven's Time“. Es ist sehr schwierig, Leute auszuhalten, die Werturteile produzieren, ohne selbst Musik zu spielen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2012)

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