Strafvollzug - 4: Viele Altlasten belasten die Justizbilanz

Die Presse (Michaela Bruckberger)
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Gefängnisse. Überbelegung von Haftanstalten, zu wenig Beschäftigung für Insassen und fehlendes Personal: Das Justizressort hat seit Jahren dieselben Baustellen offen. Die aktuelle Ressortleitung gelobte - wie die Vorgänger - Besserung.

Wenn wir weiter den Kopf in den Sand stecken, gerät der Strafvollzug außer Kontrolle", meinte die Personalvertretung der Justizwache. Und fügte hinzu: Die Gefängnisse seien mittlerweile „brodelnde Hexenkessel". Vor allem die in geschlossenen Anstalten untergebrachten „geistig abnormen Rechtsbrecher" bräuchten viel mehr Aufsicht. Eine solche - als „vorbeugende Maßnahme" gedachte - Unterbringung sei besonders personalintensiv.
Diese alarmierende Ansage an die (politisch) Verantwortlichen wurde im Justizressort verständnisvoll aufgenommen: „Wir haben ein offenes Ohr für die Sorgen der Justizwache", hieß es. Das war im Februar. Im Februar 1998.

Und heute? Heute ist besagtes Ohr im Justizressort genauso offen wie damals. Ob dieser Umstand und ob die frisch eingesetzte, hochkarätige Expertenkommission, die am Donnerstag erstmals getagt hat, dem Straf- und dem Maßnahmenvollzug die dringend nötigen Reformen bringen, bleibt abzuwarten.

Überfüllte Gefängnisse. Österreich hat seit etwa einem Jahrzehnt ein Problem mit den hohen Belagszahlen seiner 27 Justizanstalten. Die Gesamtzahl der Insassen bewegt sich konstant um die 9000-Personen-Marke. Dies ist im Hinblick auf die vorhandenen Kapazitäten zu viel - ganz abgesehen von rechtspolitischen Schwächen, wie etwa dem Missverhältnis zwischen den (zu geringen) Haftstrafen bei Leib- und Leben-Delikten in Relation zu den (zu hohen) Haftstrafen bei Vermögensdelikten.
Indes war für Gefängnisneubauten die längste Zeit kein Geld da. In Wien-Erdberg sollte ein Justizzentrum samt Haftanstalt für junge Gefangene entstehen. Der bauliche Entwurf war fix und fertig. Das Projekt wurde verworfen.
Erst voriges Jahr kündigte das Justizressort einen Gefängnisneubau im Raum Wien bis 2016 an: Projekt ebenfalls verworfen. Derzeit ist die Entstehung eines neuen Wiener Jugendgefängnisses in jenem Gebäude am Hernalser Gürtel angekündigt, in dem derzeit ein polizeiliches Schubhaftzentrum untergebracht ist: Projekt wackelt, da die Polizei das Objekt voraussichtlich selbst benötigt.

Personalmangel. Der Personalmangel bei der Justizwache und beim medizinischen und sozialtherapeutischen Personal für die Betreuung des Maßnahmenvollzugs (Stichwort: geistig abnorme Rechtsbrecher) ist evident. Derzeit wachen 3400 Justizwachebeamte über Österreichs Gefängnisinsassen. Zu wenig, meinen Standesvertreter seit vielen Jahren. Bis 2018 sollen nun hundert Beamte dazukommen. Immerhin. Aber ein moderner Strafvollzug braucht eine konkret formulierte strategische Ausrichtung - so etwas wie ein Leitbild. Das fehlt.

Bürokratie & Politik. Derzeit ist Justizminister Wolfgang Brandstetter (dessen Reform-Ankündigungen zumindest mit Vorschusslorbeeren bedacht werden dürfen) dabei, die Vollzugsdirektion abzumontieren. Das ist die zentrale Behörde, bei der alle Fäden der Vollzugs-Verwaltung zusammenlaufen. Dem Minister ist der Reibungsverlust bei Weitergabe von Informationen zu groß - dieser soll durch Errichten einer Generaldirektion für den Strafvollzug innerhalb des Ministeriums beseitigt werden.
Die Macht der Personalvertretung und der Gewerkschafter wird dadurch aber nicht kleiner, wodurch eine gewisse - von eben diesen Stellen stets bestrittene - Bremswirkung nach wie vor bestehen bleibt. Nachdem zuletzt in der Justizanstalt Krems-Stein die Vernachlässigung eines im Maßnahmenvollzug angehaltenen Häftlings (der betagte Mann hatte durch extreme Verwahrlosung bereits stark entzündete Beine) aufgeflogen war, stellte sich die FPÖ-nahe Personalvertretung AUF demonstrativ hinter einen der verantwortlichen Beamten: Dieser - er stand auf der FPÖ-Liste zur EU-Wahl - habe den Fall aufgedeckt und werde nun zu Unrecht (vorübergehend) suspendiert.
Auch der Christgewerkschafter Albin Simma, Vorsitzender der Justizwachegewerkschaft, ließ durch politisch unterlegte Äußerungen aufhorchen: „Wenn der Strafvollzug noch linker geführt werden soll und noch romantischer - ja, selbstverständlich, machen wir alles, aber bitte mit mehr Personal."

Zu wenig Alternativen. Die Fußfessel, also die Anhaltung von Personen im elektronisch überwachten Hausarrest, entwickelte sich zwar zu einer echten Alternative zum Gefängnis. Freilich kann dieses Instrument nur bei weniger schweren Delikten angewendet werden. Drei Prozent der Häftlinge (etwa 240 Personen) trugen zuletzt Fußfesseln. Weitere Ansätze zur Vermeidung von Gefängnisaufenthalten wären umsetzbar. Jedoch lässt etwa die „Übersiedlung" jugendlicher U-Häftlinge in betreute und überwachte Wohngruppen nach wie vor auf sich warten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2014)

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