Kultur 1 bis 4: Ja, es ist ein gutes Land – für (fast) alle Musen

Staatsoper in Wien.
Staatsoper in Wien.Bilderbox
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Kulturnation. Gewiss, „wir“ haben eine Literaturnobelpreisträgerin und einen Oscarpreisträger. Aber auch ein solides Fundament in so gut wie allen Sparten. Für unseren Weltruf sorgt natürlich vor allem die klassische Tradition.

Bei aller Selbstkritik, die dieses Land auf vielen Gebieten üben muss: Mit unserem Kulturleben können wir immer noch international punkten. Mag sein, dass Kenner im Detail nicht mit allen künstlerischen Hervorbringungen glücklich sind: Das Image des Kulturlandes Österreich ist dennoch nach wie vor ungebrochen – und vor allem die „klassischen“ Sparten ziehen das Publikum aus aller Welt in die großen Theater, Opern- und Konzerthäuser. Das kostet viel Geld, gewiss, bringt aber auch Devisen, spült überdies Steuern zurück in die Kassen und ist, Hand aufs Herz, eines der wenigen Asse, die wir angesichts der Nivellierungstendenzen im Global Village offenbar noch im Ärmel haben, um uns überhaupt bemerkbar zu machen.

Klassik - 2

Mit dem Musikverein und dem Konzerthaus hat Wien die zwei vielleicht allerbesten Konzertsäle der Welt zur Verfügung. Und nützt diese Chance weidlich. Das klassische Musikleben zieht über das Jahr alle bedeutenden Interpreten, vom symphonischen Orchesterbereich bis zur Kammermusik und zum Liedgesang, in die Hauptstadt. Im Sommer ergänzen Festivals von Salzburg bis Grafenegg: Starbetrieb bis zum Abwinken. Und dabei durchsetzt mit jungen Aktivitäten und zeitgenössischer Produktion; immerhin sind auch Spezialisten-Ensembles für Avantgardeklänge (und einschlägige Festivals von Wien bis Tirol) hier zu Hause. Einen bunteren Klassikbetrieb auf breitester Ebene gibt es – vor allem hochgerechnet auf die Bevölkerungszahlen – nirgendwo in der Welt.

Oper 1

Die spektakulärste, aufwendigste Gattung im klassischen Bereich pflegt man hierzulande inbrünstig – Linz hat sich (in Zeiten, da anderswo die Opernhäuser reihenweise schließen) ein neues Musiktheater geleistet und spielt schon Wagners „Ring“. Und Wien demonstriert seine Stellung als Bastion auf dem melomanischen Sektor. Eines der Atouts ist die bewusste Weigerung der Staatsopern-Führung, den in deutschsprachigen Landen grassierenden, für den Betrieb tödlichen Trend zu verrückten Inszenierungen mitzumachen. Jüngst feierte Otto Schenk ein Comeback und eroberte mit märchenhaften Mitteln einem Werk der musikalischen Moderne (Janáčeks „Schlauem Füchslein“) sicheres Terrain im rundum beinah immer ausverkauften Staatsopern-Ambiente. Wenn auch die Spielplanabstimmung mit Volksoper und Theater an der Wien zu wünschen übrig lässt, sichert das Haus am Ring dem Opernleben ein glattes Sehr gut.

Jazz - 1

Ja, Österreich ist auch ein wichtiges Jazzland – mit zwei Hauptstädten: Wien und Graz. Hierzulande gibt es eine große Tradition im Freejazz (Reform Art Unit!) und im Third Stream (Franz Koglmann), hier gibt es konstant produktive Originale wie Max Nagl und Burghard Stangl, hier interessieren sich junge Jazzer neuerdings besonders fürs Wienerlied, hier gibt es das vorbildliche Jazzlokal Porgy & Bess und das intelligent kuratierte Jazzfest Saalfelden. Nur das gut subventionierte, aber fad programmierte Jazzfest Wien trägt zum guten Ruf nichts bei.

Pop - 2

Auch wenn Ö3 ihn partout nicht spielen will, es gibt exzellenten Pop hierzulande. Natürlich im derzeit eifrig wieder durchforsteten Archiv des klassischen Austropop und der Neuen Welle. Aber auch aktuellen, vor allem im Bereich des „Alternative Mainstream“, wie ihn der Radiosender FM4 spielt: Acts wie Kreisky, Ja, Panik oder Soap & Skin sind jederzeit gut für eine Aufmachergeschichte im deutschen Pop-Intellektuellen-Magazin „Spex“. Dass auch glamouröse Hits aus Österreich kommen können, zeigen neuerdings Bilderbuch. Schade nur, dass die elektronische Szene, die vor allem in Wien (Phonotaktik-Festival) und Linz (an den Rändern der Ars Electronica) geblüht hat, in den vergangenen Jahren ein wenig eingeschlafen ist. Aber das ist sie in anderen Ländern ja auch.

Literatur - 1

Dichter und Denker zeichnen sich hierzulande seit Langem durch ihr Engagement auf allen erdenklichen Gebieten aus, vom reinen Sprachspiel bis zur wilden Invektive. Österreich ist durch Friederike May-röcker, Peter Handke, Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek und Christoph Ransmayr sogar in der Weltliteratur vertreten. Sie werden inzwischen in viele Sprachen übersetzt und regen auf. Auch Marlene Streeruwitz und Josef Winkler können das. Selbst in der Unterhaltung, bei Bestsellern sind Österreicher unter den Platzhirschen, ob nun im gehobenen Sektor mit Daniel Kehlmann oder ganz populär mit Daniel Glattauer. Stark ist zudem der Beitrag zum Diskurs. Streitbare Geistesgrößen wie Robert Menasse, Karl-Markus Gauß und Franz Schuh zählen zu den deutschsprachigen Essayisten, die unverzichtbar sind. Und die jüngeren Generationen? Sie haben großes Potenzial, sowohl im traditionellen Erzählen als auch im Experimentellen.  Das beweisen unter anderem Thomas Stangl, Anna Kim und Clemens J. Setz.

Film - 2

Oscars für den besten fremdsprachigen Film, Goldene Palmen . . . Mit den künstlerischen Erfolgen des heimischen Kinos wurden in den vergangenen Jahren Schlagzeilen gemacht, während die Branche wegen mangelnder Unterstützung laut Alarm schlägt: Arbeitsplätze wackeln in existenzbedrohenden Dimensionen, u. a. wegen Einsparungen im ORF, und trotz der Preise für Austrokino ringt man mit einem notorisch schwachen Besucheranteil für heimische Produktionen (Ausnahmen bestätigen die Regel). Unsere international renommierten Galionsfiguren wie Michael Haneke und Ulrich Seidl sind noch Erfolgsbeispiele dafür, wie anspruchsvolle Arbeit durch Unterstützung der Filmförderung kontinuierlich wachsen konnte – aber das europaweite (Förder-)Problem, dass immer mehr Produktionen um die Mittel kämpfen müssen, ist auch hierzulande nicht zu übersehen und macht den Nachfolgegenerationen trotz Achtungserfolgen zu schaffen. Im Vergleich mit der regelrechten Inflation in Deutschland ist Österreich dennoch eine filmische Vorzeigenation, nicht nur im Spiel- und Dokumentarfilm und beim Avantgardekino mischt es traditionell an der Weltspitze mit. Auch die Kinostadt Wien wird beneidet, dank des herausragenden internationalen Rufs des Filmfestivals Viennale sowie der historischen Programme des Österreichischen Filmmuseums, hoffentlich bald wieder flankiert vom Angebot in der umgebauten Spielstätte des Filmarchivs Austria.

Theater - 3

Unser Theater ist zu wenig international, es orientiert sich zu sehr am deutschen Stadttheater, was zu ästhetischer Einförmigkeit führt. Die beste Bühne bleibt, trotz der aktuellen Finanzkrise, das Burgtheater, vor allem dank seiner herausragenden Schauspieler. Früher gab es an der Burg mehr englische, französische, italienische, russische Regisseure. Die Mode, Romane zu dramatisieren, ist umstritten und erschöpft sich. Neue Texte, neue Stile sind gefragt. Ein Schimmelpfennig macht noch keinen Sommer. Wo sind die neuen Handkes, Jelineks, Werner Schwabs im Theater? Wiens Schauspielhaus unter Andreas Beck hat einige originelle Texte vorgestellt. Es gibt innovative Off-Theater (Garage X, das TAG) Josefstadt und Volkstheater haben zuletzt qualitativ stark aufgeholt, vor allem aber die Bundesländer-Bühnen (Linz! Graz!).

Kabarett - 1

In diesem Genre kommt seit Jahrzehnten ganz Eigenständiges, Typisches aus Österreich – von seit den Siebzigern dauerhaft engagierten Altmeistern wie Lukas Resetarits über die Rückkehrer zum „Privaten“ – führend: Josef Hader – bis zum neuen politischen „Staatskünstler“-Kabarett von Thomas Maurer und Florian Scheuba und höherer Blödelei à la „Projekt X“ und Stermann und Grissemann. Im Wiener Rabenhof hat diese Szene eine Heimat. Neue Talente: die Geschwister Radeschnig, Paul Pizzera.

Kunst - 4

Klar haben wir ein paar Stars. Vor allem auf dem Kunstmarkt, vor allem historische, Klimt, Schiele, Wien um 1900 halt. Dann punkten wir zumindest kunsthistorisch mit dem Wiener Aktionismus. Und dann kommen zwei, drei international gefeierte Einzelfiguren wie Franz West, Maria Lassnig und . . . ja, Erwin Wurm wahrscheinlich noch. Ansonsten kommen wir meist vor allem eins – nicht vor nämlich. In den Künstlerlisten von Biennalen und Manifesten und Documentas. Die international umtriebige Kuratorenschaft scheint wenig Interesse zu haben, eine jüngere österreichische Künstlerschaft zu entdecken. Irgendwie scheint alles zu stagnieren. Woran die heimischen Galerien und Institutionen und Sammler nicht ganz unschuldig sind. Hier wird vor allem Pflichtprogramm abgespult, das immer stärker von den jeweiligen Klüngeln und Interessen der einzelnen Direktoren und Direktorinnen geprägt scheint, staatlich und städtisch. Die zwei privatwirtschaftlich betriebenen Vorzeigeinstitutionen (Bawag Foundation, Generali Foundation) sperrten noch dazu ihre Wiener Standorte zu, was auch nicht gerade motivierende Signale gab. Es plätschert halt so dahin. Was fehlt, ist Einsatz, Begeisterung, Mut und Commitment vor allem zu heimischen, jüngeren (und weiblichen!) Künstlern.

("Die Presse"-Printausgabe vom 28.6.2014)

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