Weil sich Großfamilien räumlich voneinander entfernen, wachsen nun mit Häusern für mehrere Generationen neue Gemeinschaften.
Wien. Ein Zaun trennt die Generationen. Schweres Metall, mannshoch, kaum zu überwinden. Dahinter sitzen unter weißen Sonnensegeln die Alten auf Gartengarnituren. Blinzeln in die Sonne, plaudern, spielen. Auf der anderen Seite die Jungen unter Bäumen, die mit einer Flasche Sekt das Semesterende feiern. Der Zaun stört das Bild, schließlich wäre das Projekt auf generationenübergreifendes Leben ausgerichtet.
„Der Zaun“, erklärt Robert Nigl von der Caritas Wien, „ist aus Sicherheitsgründen nötig, schließlich leben dahinter viele Demenzkranke.“ Der Gemeinschaftsgarten davor, eine riesige Dachterrasse, ist quasi als Begegnungszone für Jung und Alt angelegt. Schließlich leben die 136 Bewohner vom Haus St. Teresa, dem Senioren- und Pflegehaus der Caritas, das im Frühling bezogen wurde, direkt gegenüber dem Studentenheim Base 22.
Die beiden Neubauten sind Teil des Großprojekts Neu Stadlau. Ein Stadtteil, 140.000 Quadratmeter groß, für den sich die Stadt explizit das bessere Zusammenleben verschiedener Generationen zum Ziel gesetzt hat. In unmittelbarer Nachbarschaft entstand der Wohnpark Oase 22 auf ehemaligen Betriebsgründen von Wagner Biro, mit 346geförderten Wohnungen (davon 30 für betreutes Wohnen), Sportplätzen, Freiflächen und einem geriatrischen Tageszentrum.
Generationenübergreifendes Wohnen ist ein Trend, der sich bei Wohnbauprojekten durchsetzt: Im Sonnwendviertel entstehen sie wie auch in der Seestadt Aspern mit dem Haus des Lebens, in dem eine Gemeinschaft aus 100 Menschen, je zur Hälfte Jüngere und Ältere, wachsen soll. Ein Wohnbetreuer soll die Nachbarn zusammenbringen, etwa Pensionistinnen als Babysitter vermitteln. Ähnliche Projekte entstanden in den letzten Jahren in ganz Wien: Das Kolping-Werk betreibt „Gemeinsam Leben“-Häuser, in denen Menschen in stationärer Pflege mit weitgehend selbstständigen Senioren und Alleinerzieherinnen leben. Auch die Ottakringer Körnhäusl-Villa wurde als „Wohnen für Generationen“ revitalisiert. Und im privaten Bereich setzt sich ebenfalls die Idee, Alt und Jung als Ersatzfamilie zusammenzubringen, durch: Die Wiener Onlineplattform „WGe!“ vermittelt Studenten, die gegen günstige Miete gern im Haushalt oder bei der Kinderbetreuung helfen, an Menschen mit freiem Wohnraum.
Die Idee dahinter ist stets dieselbe: Ressourcen nutzen, Isolation verhindern. Schließlich ändern sich die Ansprüche von Senioren: Sie wollen lange selbstbestimmt leben, in Wohnungen mit Betreuungsmöglichkeit oder in WG-ähnlichen Verbänden, nur nicht im klassischen Heim. Der Bedarf steigt rasant: 2020 dürfte in Wien laut Prognose eine halbe Million Menschen über 60 Jahre alt sein.
„Struktur muss erst wachsen“
Das Hausgemeinschaftsmodell ist auch im Haus St. Teresa umgesetzt, je 14 Menschen leben in einer WG, deren Zentrum Wohnküche und Wohnzimmer sind. Modern gestaltet und doch voll mit Möbeln oder Bildern, die an vergangene Jahre erinnern: ein Telefon mit Wählscheibe, Bilder von der längst verstorbenen Schauspielerin Magda Schneider. „Häuser für Senioren“, sagt Nigl, „werden gemeinschaftlicher, offener.“ Es wird Tür an Tür mit Kindergärten gebaut, Nachbarn werden zu Festen oder als Ehrenamtliche eingeladen. Intergenerationelles Wohnen sei „seit fünf Jahren“ ein starker Trend.
Wie funktioniert das Zusammenleben in Stadlau? „Die Struktur muss wachsen“, sagt Nigl. Die Studenten wurden kürzlich eingeladen, ein paar Studentinnen haben sich auch gefunden, die regelmäßig auf Besuch kommen wollen. Noch läuft es langsam. Sie, so erzählen zwei Damen auf der Terrasse, hätten bisher noch keine Studenten von Gegenüber kennengelernt. Auch wenn sie das freuen würde, wie eine der beiden bei einer (eigens arrangierten) Partie Mensch-ärgere-dich-nicht mit zwei Studenten erzählt. Und auch diese hatten bisher keinen Kontakt mit den Senioren. Bis auf eine Beschwerde wegen nächtlichen Grillens. Grundsätzlich seien sie dafür aber offen.
DIE IDEE
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Generationenübergreifendes Wohnen. Unter dem Namen Neu Stadlau entstand in der Donaustadt ein Stadtteil, der sich dem Zusammenleben von Menschen verschiedenen Alters verschrieben hat. So teilen sich etwa Studierende und Bewohner eines Seniorenhauses einen Garten, Studierende kommen als Helfer oder Besucher zu alten Nachbarn.
Das Konzept. In ganz Wien entstehen derzeit Häuser, in denen etwa Senioren und Jungfamilien zusammenleben – und eigene Koordinatoren helfen, dass die Nachbarn auch zusammenkommen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2014)