Studien attestieren den Österreichern ein mangelhaftes Wirtschaftswissen. Laut Experten kommt die Finanzbildung in der Schule zu kurz.
Wien. Birgit Payer ist bei der Erste Bank für die Rekrutierung neuer Mitarbeiter zuständig. Was das Wissen über Wirtschaft und Finanzen betrifft, sei ihre Branche freilich im Vorteil, weil sich Menschen, die sich bei einer Bank bewerben, „schon mit dem Thema auseinandergesetzt haben“. Trotzdem antwortet auch sie auf die Frage, ob es um das Finanzwissen der österreichischen Jugend tatsächlich so schlimm bestellt ist, wie es diverse Studien nahelegen, lediglich: „Jein.“ Tendenziell wüssten Absolventen von Handelsakademien (HAK) besser über wirtschaftliche Zusammenhänge und Finanzbegriffe Bescheid als Lehrlingsanwärter oder AHS-Abgänger. Von den HAK-Abgängern wüssten etwa 50bis 60 Prozent, was das Bruttoinlandsprodukt ist. „Den Lehrlingen ist das kein Begriff.“
Noch düsterer sieht es laut jenen Erhebungen aus, die regelmäßig das Finanzwisssen der Österreicher – nicht nur der jungen– abfragen. In einer im Vorjahr von der Erste Bank in Auftrag gegebenen Imas-Studie etwa wussten vier von zehn Befragten nicht, was Wertpapiere sind. In einer Gfk-Studie 2012 wussten nur neun Prozent der Teilnehmer, dass auf österreichischen Sparbüchern eine Kapitalertragssteuer von 25 Prozent auf Sparguthaben eingehoben wird. Im selben Jahr befanden in einer anderen Umfrage 14 Prozent, dass der „Pfusch“ zu hoch besteuert wird.
Die Österreicher stehen mit diesen Bildungslücken aber nicht allein da: Jeder siebte 15-Jährige in den Industrieländern erkennt laut einer kürzlich erschienenen Studie der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) den Zweck gewöhnlicher Finanzdokumente wie Rechnungen nicht.
Die Wirtschaftskammer fordert daher schon länger die Einführung verpflichtender Bildungsstandards für Wirtschaftswissen, wie es sie für Mathematik, Deutsch und Englisch schon gibt. Derzeit fällt ökonomische Bildung in das Fach Geografie und Wirtschaftskunde. Der Rahmenlehrplan lässt den Lehrern aber relativ offen, ob und wie viel Wirtschaft sie durchnehmen. Josef Aff vom Institut für Wirtschaftspädagogik an der WU Wien nennt diese Kombination ein „Krebsgeschwulst“ und fordert ein eigenes Fach Wirtschaft ab der siebten Klasse (siehe Interview).
„Teil der Allgemeinbildung“
Soweit würde Elisabeth Dittrich, Vorsitzende der Arge Geografie- und Wirtschaftskunde-Lehrerinnen nicht gehen. „Aber mir wäre es wichtig, dass man nicht ganz so frei wählen kann“, der Unterricht von alltagsrelevanten Wirtschaftsthemen also Pflicht wird. Damit könne man schon in der Volksschule beginnen. Sie sagt aber auch: „Manche Studien stellen uns schlechter dar, als wir sind.“ Dittrich bietet neben dem herkömmlichen Unterricht auch den Unternehmerführerschein der Wirtschaftskammer an, der finanzielle Allgemeinbildung sowie betriebs- und volkswirtschaftliche Kernkompetenzen vermittelt.
„Wirtschaftswissen sollte auf jeden Fall Teil einer Allgemeinbildung sein“, sagt Thomas Mayer, Leiter des Instituts für Bildungsforschung der Wirtschaft. Davon kann derzeit noch keine Rede sein. In einer Studie etwa hätte ein nicht unwesentlicher Teil der Befragten die OPEC (Organisation erdölexportierender Länder) für die europäische Organisation für Preisfestsetzung gehalten. „Erschreckend, dass so viele Schüler glauben, es gibt so eine Organisation“, sagt Mayer. Auch Mayer kritisiert die mangelnde Verankerung von Wirtschafts- und Finanzbildung im Schulwesen. „Die Lehrpläne gäben relativ viel her. Aber die konkrete Umsetzung steht auf einem anderen Papier.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2014)