Kinderbetreuung: Die ÖVP sucht ihr Familienbild

Reinhold Lopatka
Reinhold Lopatka(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Braucht es mehr Sach- statt Geldleistungen? Dass Klubobmann Reinhold Lopatka ein Umdenken in der ÖVP-Politik gefordert hat, sorgt innerparteilich für Irritationen.

Wien. In der ÖVP herrscht Aufregung: Grund sind familienpolitische Aussagen, die Klubobmann Reinhold Lopatka am Samstag in einem „Presse“-Interview getätigt hat. Offiziell zitieren lassen will sich dazu kaum jemand. Aber hinter vorgehaltener Hand hört man, dass Lopatka „die Parteilinie übertreten hat“. Andere spielen Lopatkas Äußerungen herunter und erklären, der Klubobmann habe nur Punkte aufgezählt, die es im Rahmen des innerparteilichen Evolutionsprozesses zu diskutieren gelte, aber nicht selbst Stellung genommen.

Dabei waren Lopatkas Äußerungen im Interview durchwegs klar. „Ja, bei den Familien muss die ÖVP umdenken. Die Erhöhung der Kinderbeihilfe hilft einer berufstätigen alleinstehenden Frau in Wirklichkeit wenig“, sagte er etwa. Zur Frage, wie man die Geburtenrate steigern kann, verwies der schwarze Klubobmann auf Skandinavien und Frankreich und deren enges Netz an Kinderbetreuungseinrichtungen. Diese Länder seien „erfolgreich unterwegs, die haben einfach viel früher und viel stärker etwas in diese Richtung gemacht“.

„Katholische Verlogenheit“

Wenngleich Lopatka die Wahlfreiheit der Eltern betont, sind seine Worte bemerkenswert. War es doch die ÖVP, die lang daran festhielt, direkte Geldleistungen an Eltern dem Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen vorzuziehen. So feierte die ÖVP auch die Einführung des Kindergelds 2002 als Prestigeprojekt. Es sollte allen Eltern ermöglichen, beim kleinen Kind bleiben zu können. Unumstritten war der Kurs aber intern nicht immer. So kritisierte etwa Claus Raidl, Industrieller und Berater des einstigen ÖVP-Kanzlers Wolfgang Schüssel, 2007 die Partei scharf: „Die katholische Verlogenheit in der Familienpolitik ist gigantisch“, sagte er. Und rügte, dass die Partei zu stark auf Direktzahlungen und zu wenig auf Kinderbetreuung setzen würde.

Lopatka hatte auf die Interviewfrage, ob man weg von Geld- und hin zu Sachleistungen muss, erklärt: „Das ist auch notwendig.“ Aus dem Büro von Parteichef Michael Spindelegger hieß es am Montag dazu nur: „Im Sinne der Wahlfreiheit für Familien braucht es einen Mix aus Geld- und Sachleistungen. Beides muss Hand in Hand gehen.“ Lopatka hat dazu gemeint: „Wir haben lang übersehen, dass manche Probleme nur institutionelle Einrichtungen lösen können.“

Klar ist: Das EU-weite Barcelona-Ziel – es sieht eine Betreuungsquote von 33 Prozent bei den unter Dreijährigen vor – verpasst Österreich mit nur 22 Prozent. Um das zu ändern, haben sich Bund und Länder geeinigt, dass 30.000neue Plätze für die unter Dreijährigen geschaffen werden. Der Bund stellt dafür bis 2017 eine Anstoßfinanzierung von 305 Mio. Euro zur Verfügung, wenn auch die Länder Geld in die Hand nehmen.

Als heikel gelten innerparteilich auch die Äußerungen des Klubchefs zur Frage, ob Homosexuelle eine Ehe schließen können sollen. „Das müssen wir breit diskutieren“, sagte der Klubobmann – und weiter: „Alles, was in Richtung Diskriminierung gehen könnte, muss der Vergangenheit angehören. Alles.“

Ehe für Homosexuelle strittig

Aus Spindeleggers Büro verlautete dazu: „Die Ehe zwischen Mann und Frau sehen wir als schützenswertes Gut. Es gibt aber keine Vorgaben für die Diskussion, die im Rahmen des Evolutionsprozesses geführt wird.“ Eine Debatte, die in konservativen Kreisen nicht alle freuen dürfte.

„Nein, das ist nicht vertretbar“, meint etwa der frühere ÖVP-Staatssekretär Helmut Kukacka zur Idee, gleichgeschlechtliche Partnerschaften als Ehe anzuerkennen. „Das würde bedeuten, dass die Ehe institutionell abgewertet wird, die natürliche Familie ist aber eine Grundlage der Gesellschaft“, so Kukacka, heute Präsident der Arbeitsgemeinschaft katholischer Verbände (AKV). Ansonsten aber sollten unsachliche Diskriminierungen von Homosexuellen beseitigt werden.

Den Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen befürwortet Kukacka, man müsse sich an der „gesellschaftlichen Realität“ orientieren. „Aber wir treten dafür ein, dass nicht nur Kinderkrippen finanziert werden, sondern auch Tagesmütter.“ Denn individuelle Betreuung müsse ebenfalls gefördert werden.

AUF EINEN BLICK

Veröffentlichen Sie ihre besten Ideen für Österreich: diepresse.com/99ideenReinhold Lopatka forderte im „Presse“-Interview ein Umdenken der ÖVP in der Familienpolitik. Zur Frage, wie man die Geburtenrate steigern könnte, verwies der Klubchef auf Staaten mit vielen Kinderbetreuungseinrichtungen. In der Vergangenheit hatte die ÖVP vor allem auf direkte Zahlungen an Eltern gesetzt. Für manche Parteikollegen ging Lopatka mit seinen Forderungen zu weit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.07.2014)

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