Wenn der Bürger beim Budget mitredet

Bürgermeister Gerhard Lindbichler
Bürgermeister Gerhard Lindbichler Die Presse
  • Drucken

Die Bevölkerung der Gemeinde Vorderstoder sollte beim Haushalt mitplanen dürfen. Dieses Experiment hat teils funktioniert, teils nicht – unter anderem deshalb, weil sich das Land bei einer Idee querstellt.

Einige Ortschefs erklärten Bürgermeister Gerhard Lindbichler für verrückt, als sie von seinem Plan erfuhren. „Bist du wahnsinnig?“, hätten sie ihn gefragt. „Dann kannst du ja überhaupt nichts mehr entscheiden.“ Lindbichler, seit fünf Jahren ÖVP-Ortschef in Vorderstoder im Traunviertel, sah das anders. Und führte in seinem 800-Seelen-Dorf den ersten Bürgerhaushalt in Österreich ein. Oder besser gesagt: Er wagte den Versuch. Denn drei Jahre später muss man sagen: Manches ist gelungen, anderes ist eher ernüchternd.

Die Idee hinter einem Bürgerhaushalt ist eigentlich simpel und zugleich revolutionär: Die Bürger sollten bei der Erstellung des Gemeindebudgets mitdenken, mitreden, mitplanen dürfen. Geboren wurde das Modell in den 1980er-Jahren in Lateinamerika. Den Anfang machte vor 25 Jahren die brasilianische Stadt Porto Alegre (siehe Bericht unten). Inzwischen gibt es solche Modelle in Gemeinden, Städten und Bezirken etlicher Staaten.

In Deutschland gibt bzw. gab es mehr als hundert solcher partizipativer Haushalte, auch in Großbritannien, in Spanien oder Italien werden teils die Bürger konsultiert, wenn es ums Budget geht – konsultiert, das ist zentral: Denn in den meisten Gemeinden haben die Bürger nur beratende Funktion. Sie legen etwa die Prioritäten fest – die Letztentscheidung darüber, was mit dem Geld passiert, trifft nach wie vor der Gemeinderat (siehe auch Interview rechts). So auch in Vorderstoder.


Haushalt verständlich machen.
Bürgermeister Lindbichler legt einen Packen Endlospapier vor sich auf den Tisch, bedruckt mit ebenfalls scheinbar endlosen Zahlenkolonnen. Daneben vier Blätter mit bunt eingefärbten Excel-Tabellen: Das ist der Haushalt der Gemeinde Vorderstoder, einmal im Original – und einmal so, dass ihn die Bürger auch verstehen können. Den Haushalt verständlich zu machen: Das war der erste Schritt bei der Umsetzung des neuen Projekts. Dann wurden die Bürger von Vorderstoder in den Turnsaal eingeladen, um über Prioritäten zu reden – darüber, wo etwas Geld eingespart werden könnte und wie man Projekte vielleicht doch umsetzen könnte.

Das Problem: Geld zu verteilen gibt es in Vorderstoder nicht wirklich. Das Dorf kommt mit den Mitteln, die es einnimmt, und dem, was es über den Finanzausgleich bekommt, nicht aus. Jährlich muss das Land Oberösterreich bis zu 300.000 Euro zuschießen, damit die Ausgaben von rund 1,8 Millionen Euro bewältigt werden können. „Wir haben sehr wenig Spielraum“, sagt der Bürgermeister. Über 20.000 bis 25.000 Euro kann die Gemeinde pro Jahr mehr oder weniger frei verfügen.

Trotzdem engagieren sich Arbeitsgruppen, feilen an Ideen. 20 bis 30 Leute seien es, die sich regelmäßig treffen, erzählt Rainer Schlesinger, der ehemalige Schuldirektor. Ein Projekt aus dem Bürgerhaushalt sind etwa neue Holzhütten für die Vereine. Damit die bei Weihnachtsmärkten und Kirtagen selbst Geld verdienen können und damit weniger auf Zuschüsse aus der Gemeindekasse angewiesen sind. Oder die Wanderwege: Diese sollen in den nächsten Jahren hergerichtet werden, nicht nur für Feriengäste, sondern auch für die Bürger selbst. „Auch für Mütter mit Kinderwagen“, sagt Schlesinger. „Oder für ältere Leute, die nicht mehr so hoch steigen wollen.“

Auf eine breite Basis gestellt hat der Ort die mittel- und langfristigen Projekte. Jene, für die es Anträge ans Land zu stellen gilt: Gut 100 Bürger – immerhin mehr als zehn Prozent – nahmen an einer Art Workshop teil, in dem sie ausarbeiteten, was sie sich wünschen, und dann abstimmten. An erster Stelle stand die Neugestaltung des Sportplatzes, an zweiter die übersichtlichere Bezeichnung und Nummerierung der Straßen. Die Reihung wurde vom Gemeinderat eins zu eins übernommen. Auch das Geld vom Land soll kommen. Gerade mit dem Land hat Vorderstoder ansonst aber so seine Probleme.


Enttäuscht vom Land. Über Lindbichlers Schulter wacht in Porträtform ein junger Josef Pühringer. Trotzdem findet der Bürgermeister recht klare Worte: „Das größte Problem bei unserem Projekt ist, dass das Land nicht auf unseren Vorschlag eingegangen ist.“ Der lautete so: Wenn Vorderstoder nachweislich Geld einspart, sollte es belohnt werden, indem es einen Teil der eingesparten Summe trotzdem bekommt. Normalerweise verringert sich grob gesagt einfach der Zuschuss, der vom Land kommt. Als ein Gemeindearbeiter für ein halbes Jahr in Karenz ging, wurde seine Stelle nicht nachbesetzt, sondern durch ehrenamtliche Leistungen ersetzt. Die Bürger mähten Rasen, halfen bei Kanalarbeiten. Das sei eine Einsparung von rund 20.000 Euro gewesen, sagt Lindbichler.

Einen Bruchteil – 2000 Euro vielleicht – hätte er sich für sein Budget gewünscht. Das Land stellte sich quer. „So ist die Motivation zu sparen gering.“ Und das Geld für Projekte enden wollend. Angesichts dessen hat man sich inzwischen eher auf konkrete Projekte verlegt. Die Sitzung im Turnsaal in diesem Herbst wird eher der Transparenz des Budgets dienen. Im Vorjahr ist sie überhaupt ausgefallen.


Mehr als bloß Geld.
Lindbichlers Vater Ernst und sein Kollege Albert Gressenbauer höhlen ein paar hundert Meter vom Gemeindeamt entfernt mit der Motorsäge gerade einen Baumstamm aus: Ein neuer Brunnentrog für den Rastplatz des Minigolfwanderwegs soll es werden. Gemeinsam mit den Bürgern hat man auch schon eine Brücke erneuert. Und überhaupt hat die Gemeinde schon Erfahrung mit Bürgerengagement: So haben die Einwohner einen Verein gegründet, der das einzige Geschäft im Ort vor dem Zusperren gerettet hat, auch mithilfe kleiner Investitionen der Bürger.

Und auch, wenn es jetzt so scheint, als wäre das eine bloße Notlösung: Die (schlafenden) Ressourcen der Bürger zu mobilisieren ist ohnehin der zweite zentrale Aspekt eines Bürgerhaushalts. „Im Grunde geht es ja nicht nur darum, was die Gemeinde für den Bürger tun kann, sondern auch darum, was man als Bürger für die Gemeinde tun kann“, sagt Bürgermeister Lindbichler. „Aber wir können nicht einfach nur mehr Engagement von den Bürgern erwarten. Wir müssen ihnen dafür auch mehr Rechte geben.“

Bürgerhaushalt

Die Bürger reden bei der Erstellung des Gemeindebudgets mit. Sie legen etwa Prioritäten für Projekte und Investitionen fest oder bringen Ideen ein, wie Leistungen bedarfsgerechter gestaltet werden können oder wo man (auch zugunsten anderer Projekte) einsparen kann. Die Entscheidung trifft der Gemeinderat. Die Bürger werden auch ermutigt, sich zu engagieren.

Der Ort

Vorderstoder liegt im oberösterreichischen Traunviertel und hat rund 800 Einwohner.

Seit 2009 ist Gerhard Lindbichler Bürgermeister (ÖVP).

Im Jahr 2011 startete die Gemeinde den Bürgerhaushalt – nach einem Vortrag von Elke Löffler (siehe Interview) im Rahmen der Agenda21.

Der Bürgerhaushalt wurde im Gemeinderat einstimmig beschlossen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.07.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

#99ideen

Partizipation: Vorarlberger Modell macht Schule

Bei kleinen und großen Fragen werden im Ländle Bürgerräte einberufen, die Lösungsvorschläge für die Politiker erarbeiten. Das Ergebnis ist aber nicht bindend.
#99ideen

Ungehobene Schätze: Locals, die den Urlaubsalltag inszenieren

Freizeitforscher Peter Zellmann plädiert für eine Revolution von unten: Die Einheimischen sollten bei der Entwicklung von authentischen, unverwechselbaren Angeboten im Tourismus die treibende Kraft sein.
THEMENBILD: EU / EU-WAHL
#99ideen

„Hearings für nationale Minister“

Der Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld glaubt, dass es um die demokratische Ordnung der EU im Vergleich zu den Nationalstaaten nicht schlecht bestellt ist.
Home

Sonnentor-Chef: „Bin froh, dass ich überstimmt wurde“

Sonnentor-Chef Johannes Gutmann lässt seine Angestellten auch bei strategischen Firmenentscheidungen mitbestimmen. Ein Vetorecht behält er sich dabei aber trotzdem vor.
Petitionen als "Eingangstor für die Bürger".
#99ideen

Petitionen als Druckmittel der Bürgerinitiativen

Parlament. Gegen die Schließung eines Polizeipostens, für ein liberaleres Waffenrecht, für den Beruf Hufpfleger: Mit Petitionen sind unterschiedliche Anliegen verbunden. Manchmal lassen sich diese sogar durchsetzen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.