Recht statt Rechenstift: Gegen Macht des Geldes

Kirchhof
Kirchhof(c) REUTERS (RALPH ORLOWSKI)
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Im Erwin-Schrödinger-Saal geht es heute um die Frage, ob uns das Recht oder die Wirtschaft steuert. Der deutsche Höchstrichter Kirchhof appelliert dazu, mit dem Recht einer nur noch monetären Steuerung entgegenzuwirken.

Der Internetgigant Amazon bietet dieser Tage ein hervorragendes Beispiel für die Aktualität der heute beginnenden Alpbacher Rechtsgespräche (ab 13:30 Uhr im Erwin-Schrödinger-Saal): Der Umgang des Online-Händlers mit Verlagen hat eine beispiellose und tagtäglich weiter anschwellende Protestwelle von Autoren ausgelöst.

Amazon wird vorgeworfen, unter Ausnutzung seiner Marktmacht Druck auf Lieferanten auszuüben, um seinen Gewinn zu maximieren. Wenn Juristen aus Wissenschaft und Praxis heute unter dem Titel „Wallstreet vs. Rule of Law" über die Frage diskutieren, ob uns das Recht oder die Wirtschaft steuert, dann kann Amazon als Musterfall der Dominanz des Geldes dienen.

„Billig ein-, gut verkaufen"

Das sieht auch Ferdinand Kirchhof so. Der Vizepräsident des deutschen Bundesverfassungsgerichts und Professor für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht in Tübingen hat, ohne Amazon beim Namen zu nennen, kürzlich in einem „Presse"-Interview die Praktiken von Internet-Anbietern kritisiert, die aus wirtschaftlichen Erwägungen das Literaturangebot verändern. Sie würden nur noch Bücher anbieten, „die billig einzukaufen sind und sich gut verkaufen lassen", sagte Kirchhof zur „Presse". Er ist heute Keynote-Speaker beim Thema „Wallstreet vs. Rule auf Law".

Der 64-jährige Spitzenjurist kann gewiss nicht als linker Revoluzzer eingestuft werden, sondern ist vielmehr mit einem CDU-Ticket ans Bundesverfassungsgericht gekommen. Trotzdem kritisiert er scharf die seit den 1990er-Jahren zu beobachtende Tendenz, alles nur noch nach ökonomischen Kriterien zu entscheiden. Wir hätten angefangen, „unser gesamtes Wirtschaftsleben, teilweise sogar unser Alltagsleben nicht nur zu kommerzialisieren, sondern ökonomisch durchzustylen", so Kirchhof: „das heißt, allein ökonomische Gesetze über unser Leben und unser Gemeinwesen bestimmen zu lassen".

Wenn aber nur noch der Rechenstift entscheide und kein anderes Argument mehr für die Gestaltung unseres Gemeinwesens und unseres Lebens gelte, „dann wird das menschliche Miteinander ein Haifischbecken für den ökonomisch Stärkeren". Für Kirchhof ist damit der Staat aufgerufen, neue Regeln zu setzen. In der Demokratie solle der Bürger bestimmen, wie das Gemeinwesen aussehen soll, und nicht die Wirtschaft mit ihren Einzelinteressen. Also sollte das Gemeinwesen auf den verschiedensten Gebieten den Rahmen setzen, im Kartellrecht, im Verbraucherschutz, im Vertragsrecht oder im Gesellschaftsrecht. Nur so könnte verhindert werden, dass „ganze Zweige wie die Finanzdienstleister oder das Internet sich entfernen und autonom allein ihre wirtschaftlichen Ziele verfolgen".

Wird das Recht privatisiert?

Die Rechtsgespräche werden heute von Caspar Einem, Vizepräsident des Europäischen Forums Alpbach, und von Justizminister Wolfgang Brandstetter eröffnet. Sie stellen auf einer breiten Basis Überlegungen an, wie sich das Rechtssystem künftig entwickelt. Außer um die Frage nach der Dominanz von Wirtschaft oder Recht geht es unter anderem um die Rolle der Schiedsgerichtsbarkeit und die Privatisierung des Rechts; dieses Thema spielt aktuell auch in den Diskussionen um das geplante transatlantische Freihandelsabkommen TTIP eine wichtige Rolle. Weitere Themen: „Recht in der globalen Gesellschaft", „Big Data - Ein Bergwerk ohne Regeln?" und „Drohneneinsatz und das Recht".

Auch das Kulturprogramm innerhalb der Rechtsgespräche widmet sich dem Ringen um Vorherrschaft zwischen Recht und Geld: Unter dem Titel „Fifa - Mafia?" (heute, 19:45 Uhr, Liechtenstein-Hayek-Saal) fragt Literaturkritiker Klaus Zeyringer (Angers), ob und wie der weltgrößte Sportverband nationale Gesetze zu Gunsten lukrativer Geschäfte außer Kraft setzt.

Veranstaltung

Heute, Mittwoch, um 14.45 Uhr, referiert der Vizepräsident des deutschen Bundesverfassungsgerichts Ferdinand Kirchhof zum Thema „Wallstreet vs. Rule of Law“ (Congress Centrum, Schrödinger-Saal).

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