Der Thomas Bernhard der Jodelindustrie

Bild aus Lois Hechenblaikners Serie ''Hinter den Bergen''
Bild aus Lois Hechenblaikners Serie ''Hinter den Bergen''(c) Lois Hechenblaikner
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Der Fotograf Lois Hechenblaikner demaskiert in seinen Bildern das scheinbare Idyll des alpinen Tourismus. Dafür wird er international anerkannt. Und in seiner Heimat als Nestbeschmutzer geschnitten.

Alpbach. Für manche ist Lois Hechenblaikner ein Thomas Bernhard mit Kamera, andere titulieren ihn wiederum schlicht als Nestbeschmutzer. So oder so: Die Bilder des Tiroler Fotografen, der heute sein Atelier in Reith öffnet (siehe Factbox) tun weh. Vor allem jenen, die - oft genug im Namen des Tourismus, des Konsums, des Kommerz - die heile Welt der Alpen beschwören. Eine scheinbare Idylle, die Lois Hechenblaikner demaskiert. Nicht marktschreierisch, mit kühler Präzision.

Dann zum Beispiel, wenn er alten Schwarzweißbildern des Tirolers Armin Kniely (1907-1998) eigenen Fotos aus der Gegenwart gegenüberstellt. Wo Bauern einst ihre Schafe präsentierten, posieren nun die Golfspieler. Die Viehversteigerung wird zum Parkplatz am Schilift, die Rinderzuchtschau zur Vorwahl für die Miss Tirol. Und anstatt des Hirten mit seiner Schafherde zieht Hansi Hinterseer mit seinen Fans über die Alm.

Der rapide Wandel vom bäuerlichen Tirol zu einer perfekt orchestrierten Tourismuswelt wird selten so klar wie in den Bildern der Werkserie „Hinter den Bergen", die als Bildband gerade neu aufgelegt wird. So sehr, dass es Hechenblaikner selbst bisweilen noch schaudert, wenn er manche Szenen herzeigt. Dabei versteht er sich nicht als Mahner, sondern vielmehr als Analytiker. Er will das sichtbar machen, was unter der (oft reichlich abgewetzten) Oberfläche des alpinen Idylls liegt. Was die Einheimischen bisweilen ausblenden oder mit dem Argument der Ökonomie billigend in Kauf nehmen. Und was die Touristen nicht sehen, nicht sehen sollen oder wollen.

„Sehnsüchte werden bedient"

Dann etwa, wenn der Fotograf die computergesteuerte Hightechanlage zeigt, die Glühwein, Punsch und Jagatee mililitergenau aus dem Keller an die Bar der vorgeblichen Romantikhütte hochsaugt, in der Gästen authentisches Almfeeling vorgegaukelt wird. „Von wegen: Hinter die Berg', da sind noch ehrliche Leut'", meint Hechenblaikner. „Da sitzen längst ausgekochte, dreiklangjodelnde Schlitzohren, die es zum Geschäft gemacht haben, die Sehnsüchte der Menschen zu bedienen. Die genau das bieten, was die Leute wollen."

Dabei waren es ausgerechnet die Touristiker, die ihn antrieben, das Thema in den Mittelpunkt seiner Arbeit zu stellen. Fotografisch Autodidakt und eigentlich gelernter KfZ-Elektriker, hatte Hechenblaikner 15 Jahre lang Reisereportagen fotografiert, vor allem in Asien. Vor inzwischen 20 Jahren dann ein Buch über das Alpbachtal, das zum Schlüsselerlebnis wurde. Eine einzige Seite kritischer Reflexion - mit dem Foto eines Leiterwagens voller billiger Tirolsouvenirs „made in China" - führte zu einer Krisensitzung. Das Bild wurde letztlich nicht abgedruckt. „Und mir ist klar geworden: Dem muss ich mich viel präziser widmen."

Fast so lange arbeitet Lois Hechenblaikner auch an den „Lebenden Skulpturen", einer Serie über die Fans volkstümlicher Musik, die ebenfalls bald als Buch erscheinen soll. „Die Jodelindustrie", nennt Hechenblaikner die Szene. „Das ist die Alpenkultur, durch den kommerziellen Fleischwolf gedreht."

Da zeigt er den Schweizer Ingenieur in der Pseudo-Tracht, der mit seiner Frau wegen der Kastelruther Spatzen nach Kastelruth gezogen ist. Die Familie, die komplett in Schürzenjäger-Fanartikel gekleidet ist. Oder die alleinerziehende Mutter, die jeden Samstag auf dem Flohmarkt Gebrauchtes verkauft, um sich die Karten für Hansi Hinterseer leisten zu können, den sie als Pappaufsteller sogar mit auf die Fanwanderung nimmt.
Hechenblaikner kennt viele ihrer Geschichten, das liegt schon alleine daran, dass er mit einer Großbildkamera fotografiert, was mehr Zeit verlangt. Es liegt aber auch am Zugang: Er will seine Modelle nicht via Schnappschuss der Lächerlichkeit preisgeben. Sondern zeigen, wie sich das Leben in den Gesichtern abbildet. Was Menschen erlebt haben, wie jene leben, die bei den Schürzenjägern zwei Stunden heile Welt zu finden hoffen.

„Kein Provinzschreier sein"

Mit seiner Serie sieht Hechenblaikner sich in der Tradition des deutschen Fotografen August Sander (1876-1964), der mit seinem Band „Menschen des 20. Jahrhunderts" eine Art soziale Enzyklopädie in fotografischer Form erstellt hat. Auch Lois Hechenblaikner will mit seinen Bildern ein „soziales Abbild" schaffen. „Ich will kein archaisch-rebellischer Provinzschreier sein", sagt er. Daher unterfüttert er sein Werk auch mit einem kultursoziologischen Fundament. Spricht vom „Harmoniemilieu" nach Gerhard Schulze. Und vielfach fällt auch der Name Elias Canetti („Masse und Macht"). Dann zum Beispiel, wenn Hechenblaikner Bilder zeigt wie das von Hansi Hinterseer: der Star an einem Speichersee in den Bergen, fast wie der Messias, umgeben von seinen Anhängern.

Dass Hechenblaikners Bilder in Tirol nicht gut ankommen, kann kaum verwundern. So verbot der Ortschef der Gemeinde Mayerhofen Ende der 1990er Jahre eine Ausstellung über die Fans der Zillertaler Schürzenjäger. Die Schürzenjäger selbst forderten ihre Anhänger (erfolglos) zu Klagen gegen den Fotografen auf. „Die haben so einen Hass auf mich gehabt." Auch in seiner Heimat in Reith lebt Hechenblaikner isoliert. „Vielen taugt das nicht, was ich mache. Aber das würde sich nicht ändern - auch, wenn ich zehn Dörfer weiterziehe."
Es gibt auch Applaus. Nicht nur, aber vor allem internationalen. Hechenblaikners Bilder wurden im Kunsthaus Zürich gezeigt, das „Zeit Magazin" hat sie abgedruckt. „Das zeigt mir jedenfalls, dass nicht ich unter Realitätsverlust leide."

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