Was das Nobelpreis-Komitee lernen könnte

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Die Fields-Medaille soll junge Forscher zu weiteren Leistungen anspornen. Der Nobelpreis ist eine Auszeichnung für bereits geleistete Arbeit. Das steht allerdings im Widerspruch zum Testament von Alfred Nobel.

Vor kurzem wurde die renommierte Fields-Medaille verliehen - nach Meinung vieler ein Analog in der Disziplin der Mathematik zum Nobelpreis in Physik, Chemie und Medizin. Was dabei besonders auffallend war: Alle vier Preisträger - darunter auch der gebürtige Österreicher Martin Hairer - waren sehr jung, 38 bis 39 Jahre alt.

Dies kontrastiert enorm mit dem hohen Alter der Empfänger eines Nobelpreises. Von den acht Empfängern eines wissenschaftlichen Nobelpreises 2013 war einer 58, drei über 60, einer über 70 und drei über 80 Jahre alt; also auch die jüngsten befanden sich bereits in einem Alter, in dem man sich eher zur Ruhe setzt. Es erhebt sich die Frage, warum es diesen Unterschied gibt und was er für die Wissenschaftlerinnen und ihre Disziplinen bedeutet. Mich interessiert diese Frage besonders deshalb, weil ich in einer umfassenden Studie untersucht habe, warum Österreich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine erstaunlich hohe Anzahl an Nobelpreisträgern hervorgebracht hat, während man seither nicht einmal alle Finger einer Hand zum Abzählen braucht (Haller, Wohinz & Wohinz 2002).

Ein wissenschaftlicher Preis erfüllt vier Funktionen: Er ist eine Auszeichnung für die damit bedachten, herausragenden Wissenschaftler; er erfüllt einen Beitrag zur Förderung der Wissenschaft; er stellt eine öffentliche Anerkennung der Wissenschaft im Allgemeinen und der jeweiligen Disziplin im Besonderen dar; und schließlich ist er eine Public-Relations-Aktion für die Verleiher selbst, die auch sich damit ins Rampenlicht der Weltöffentlichkeit stellen können. Man kann wohl sagen, dass diese vier Funktionen durch die beiden Preise in sehr unterschiedlicher Weise erfüllt werden.

Genies für viele Fragen

Eine hohe Auszeichnung für die damit bedachten Wissenschaftler stellen ohne Zweifel beide Preise dar. Vor allem über den Nobelpreis wird weltweit berichtet und die Preisträger erlangen damit nicht nur in ihrem Fach noch höhere Anerkennung, sondern werden von den Medien auch zu tausend anderen Problemen befragt, weil sie der Preis anscheinend zu „Genies" für alles stempelt. Verlage, Vortragsveranstalter und andere Promotoren versäumen es daher nie, Nobelpreisträger nur mehr als zum Beispiel einfache Physiker, Ökonomen usw. vorzustellen, sondern als „Nobelpreisträger in Ökonomie" usw. (wobei dies gar kein von Alfred Nobel selbst gestifteter Nobelpreis ist).
Das „Matthäus-Prinzip" gilt aber auch hier: Die Nobelpreisträger gehören in ihrem Fach sicherlich zu den herausragenden Vertretern, sind aber wohl selten die absolut Besten (wenn diese überhaupt bestimmbar sind); dies äußerten nahezu alle der von mir interviewten elf Nobelpreisträger.

Die Jugendlichkeit der Fields-Medaillenträger ist leicht erklärbar aufgrund der Statuten dieses Preises, die besagen, dass sie unter 40 Jahre alt sein müssen. Der Begründer, John Charles Fields, hat den Grund dafür klar angegeben: Der Preis sollte nicht nur eine Auszeichnung für bereits geleistete Arbeit, sondern auch ein Ansporn für weitere Leistungen sein.

Entscheidung nach Fehlvergabe

Das hohe Alter der Nobelpreisträger dagegen ergibt sich vermutlich unter anderem aus einer Entscheidung, die das Nobelpreiskomitee nach einer Fehlvergabe getroffen hat, um sicher zu stellen, dass ja nur „Würdige" den Preis erhalten.

Was jedoch paradox ist: Diese Praxis steht auch in eindeutigem Widerspruch zum Testament von Alfred Nobel, in dem es wörtlich heißt, dass der Preis an Wissenschaftler verliehen werden solle, deren Entdeckungen „im vergangenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen erbracht haben". Dabei hatte Nobel wohl auch im Auge, dass diese aktiv tätigen Wissenschaftler die hohe, mit dem Preis verbundene Geldsumme (derzeit etwa 870.000 Euro) für ihre weitere Forschung verwenden.

Die extrem konservative Praxis der Nobelpreiskomitees könnte sicherlich zu einem erheblichen Teil revidiert werden, auch ohne allzu große Gefahr, Fehlentscheidungen zu treffen: Es könnten nur Publikationen in den renommierten wissenschaftlichen Organen berücksichtigt werden; die Ausgezeichneten sollten auch schon bedeutende andere wissenschaftliche Leistungen erbracht haben; und etwas mehr Risiko könnte man auch bei der Beurteilung des Neuigkeitswerts einer Entdeckung in Kauf nehmen; so wurde der Entdecker der DNA, zweifellos eine wissenschaftliche Jahrhundert-Leistung, Oswald Avery, allein zwischen 1932 und 1953 36-mal nominiert, erhielt den Preis aber nie, weil die volle Bedeutung seiner Jahrhundert-Leistung vom Komitee (anscheinend nicht von seinen Kollegen) erst nach seinem Tode erkannt wurde.

Größtes ziviles Fest der Welt

Ich vermute, dass auch die vierte Funktion des Nobelpreises eine wichtige Rolle bei dieser Vergabepraxis spielt. Die Verleihung des Preises jeweils am 10. Dezember ist eingebettet in eine enorme Anzahl an Festlichkeiten, die sich über eine ganze Woche erstrecken; bei der Verleihung selbst nimmt die gesamte schwedische Prominenz, mit dem Königspaar an der Spitze, teil; hunderte von Kellnern und Dienern aus ganz Europa werden angeheuert; die Gesamtkosten der Zeremonie, die auch als das größte zivile Fest weltweit bezeichnet wird, betragen 20 Millionen Kronen.

Noch eine Randbemerkung dazu, warum die Zahl der österreichischen und europäischen Nobelpreisträger in den letzten Jahrzehnten zu Gunsten der amerikanischen zurückgegangen ist. Man könnte hier vermuten, dass dabei auch die in den USA viel gängigere Praxis des Networking eine Rolle spielt. Das Nobelpreiskomitee ist bei seinen Entscheidungen neben rein fachlichen Überlegungen wohl auch solchen Einflüssen zugänglich; die amerikanische Praxis ist aber, einen chancenreichen Kollegen mit allen Mitteln zu promovieren, während man so etwas in Europa und Österreich aus verschiedenen Gründen viel weniger macht.

Der Autor

Max Haller ist Professor für Soziologie an der Uni Graz. Die Schwerpunkte seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit sind internationaler Gesellschaftsvergleich, Sozialstruktur- und Wertewandel, europäische Integration, angewandte Soziologie und Sozialforschung sowie soziologische Theorie. In einer Studie gemeinsam mit Birgit und Margot Wohinz untersuchte er Österreichs Nobelpreisträger und Wissenschaftler im historischen und internationalen Vergleich.

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