Carlo Ratti: "Städte bauen mit Open-Source-Architektur"

Carlo Ratti
Carlo Ratti(c) Wikipedia: Max Tomasinelli, 2008
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Für den italienischen Architekten Carlo Ratti ist Wohnen ein "kritisches Thema". Er plädiert für "sensible Städte" und versteht sich als Gärtner.

Die Presse: Wie sieht die Zukunft unserer Städte aus?
Carlo Ratti: Wir brauchen vernünftige Städte. Früher haben wir Städte aus Holz und Steinen gebaut, heute kommt immer mehr Technologie hinzu. Wir können mit unseren Städten interagieren, sie reagieren auf uns.

Städte müssen also „smart" sein?
Nein, ich denke, eine Stadt muss sensibel sein. Wenn wir über Städte reden, meinen wir eigentlich die Menschen, die dort leben. Denn Städte sind dafür da, ein besseres Zusammenleben zu schaffen. Sie müssen smarten Leuten ermöglichen, sich zu begegnen und in Kontakt zu treten - zum Beispiel über W-Lan.

Das klingt nach Umbaumaßnahmen.
Nicht direkt. Die Menschen sollen die Chance haben, ihren Lebensraum selbst mitzugestalten. Städte sollen „von unten" gebaut werden. Früher wurden sie „von oben" entworfen. So legte etwa Le Corbusier 1925 seinen „Plan Voisin" vor: Er wollte Paris abreißen und nur die Notre Dame als Souvenir der Vergangenheit behalten. Rundherum wollte er Wolkenkratzer bauen lassen. Wer hätte sich dort wohl gefühlt?

Die gewachsenen Städte sind also die besseren?
Sehen Sie sich Alpbach an oder Santorin. Hier ist es wunderschön, es ist natürlich. Auch Korallen wuchern, wenn man sie lässt. In Summe ergibt das ein tolles Bild.

Normale Bürger sollen also Architekten Konkurrenz machen?
Am Computer gibt es Open Software, die jeder nutzen kann. Warum sollte es nicht auch eine Art Open-Source-Architektur geben?

Schaffen Sie mit dieser Idee nicht Ihren eigenen Job ab?
Nein, Architekten können lenken, sie können viel beitragen. Ich sehe Architekten aber eher als Gärtner, als Dirigenten, die das Zusammenspiel koordinieren. Das ist ein bisschen wie bei Wikipedia: Sie bringen die Inhalte zusammen. Alleine schon wegen der technischen Möglichkeiten müssen wir interdisziplinärer agieren.

Sie gehören also nicht zu einer aussterbenden Berufsgruppe?
Laut einer Studie wird es in 20 Jahren 40 Prozent der heutigen Jobs nicht mehr geben. Dafür wird es etwas Neues geben. Wichtig ist, sich entlang der Kreativität und der Fürsorge zu bewegen.

Thema: Wohnen. In keinem anderen Euroland haben sich Wohnungen seit 2007 so stark verteuert wie in Österreich. Die Preise kletterten um 39 Prozent. Soll die Politik eingreifen?
Wohnen ist nicht nur in Österreich, sondern weltweit ein sehr kritisches Thema. Ich bin gegen groß angelegte Initiativen seitens der Regierungen. Vielmehr müssten die Politiker den Menschen helfen, sich selbst zu helfen.

Wie könnte das aussehen?
Wir haben in allen größeren Städten Wifi. Das ist nicht nur praktisch, sondern macht flexibel. Ein Büro kann plötzlich überall sein, wenn wir es verstehen, die Umgebung richtig für uns zu nutzen. Ein Beispiel: Ich habe Freunde in New York. Sie leben dort in einer kleinen Wohnung. Brauchen sie Platz, um zu arbeiten, gehen sie zu Starbucks. Sie nutzen diesen Raum für sich. Ein anderes Beispiel wäre der Online-Marktplatz Airbnb. Leute vermieten Räume, die ansonsten leer stehen würden.

Wo leben Sie die meiste Zeit des Jahres?
In der Luft. (lacht) Sitze ich nicht im Flugzeug, wohne ich in London, Boston, Singapur und Turin.

Zur Person

Carlo Ratti wurde 1971 in Turin geboren. 2007 wurde der Architekt und Ingenieur in den italienischen Designrat berufen. Sein digitaler Wasserpavillon wurde zu einer der besten Erfindungen des Jahres 2008 gekürt. Ratti lehrt am Massachusetts Institute of Technology und leitet dort das Senseable City Lab.

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