Aiginger: "Europa läuft den falschen Zielen nach"

Karl Aiginger
Karl Aiginger(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Schneller wachsen, aber richtig: Die EU müsse endlich aufhören, nur über niedrige Kosten wettbewerbsfähig bleiben zu wollen, sagt Wifo-Chef Karl Aiginger.

Wettbewerbsfähigkeit. Es gibt wohl kaum ein Wort, das Politiker und Ökonomen so gerne verwenden, wenn sie von der Zukunft sprechen. Und sie meinen damit meist: niedrige Löhne, Steuern und Energiekosten. Oder - etwas ausgefeilter - niedrige Lohnstückkosten, weil da immerhin die Produktivität der Mitarbeiter eingerechnet wird. Als Erfolg wiederum zählen sie Wirtschaftsleistung pro Kopf (und Wählerstimmen). Doch das sei ein veraltetes Modell, auf die Welt zu blicken, sagt Wifo-Chef Karl Aiginger im Gespräch mit der „Presse". Um Österreich und Europa für die kommenden Jahrzehnte fit zu machen, müssten Politiker und Unternehmer umdenken.

Mit Innovationen abgrenzen

„Wenn man in einem Hochlohnland versucht, nur die Kosten zu senken, kann man vielleicht ein Jahr retten. Aber morgen kommen zehn andere Länder und machen genau dasselbe besser und billiger. Wenn wir aber versuchen, uns mit Innovationen abzuheben, kommen sie nicht mit." Der Anteil der Wirtschaftsregion Europa an der Weltwirtschaft wird in den kommenden zwanzig Jahren von derzeit 25 auf 15 Prozent schrumpfen. „Hier muss man anders auftreten und mehr auf Qualität setzen. Dafür braucht es eine konkrete Strategie, von der Reformen abgeleitet werden."

Genau so eine Strategie, die auf einem neuen Konzept von Wettbewerbsfähigkeit beruht, erarbeitet eine Riege renommierter Ökonomen derzeit unter Aigingers Führung für die EU-Kommission. Das vorläufige Ergebnis: Wir drehen an den falschen Schrauben und laufen den falschen Zielen nach. „Preisliche Wettbewerbsfähigkeit ist für hochentwickelte Länder nicht entscheidend. Natürlich müssen die Löhne mit der Produktivität im Einklang sein, aber nur neue Technologie schirmt vor Konkurrenz ab", so der Ökonom.

Auch das statische Messen von Erfolg an Wirtschaftsleistung, greife zu kurz. Stattdessen schlagen die Wissenschaftler drei Säulen vor, an denen Wohlstand künftig gemessen werden sollte: die Entwicklung der Löhne, stark gekoppelt an die Produktivität. Eine soziale Komponente, die vor allem die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zum Ziel hat. Und ein ökologisches Ziel, das die Industrieländer zu hohen (und gut exportierbaren) Innovationen im Umweltbereich animieren soll.

Österreich kommt bei dieser neuen Definition von Wettbewerbsfähigkeit überraschend gut weg. Die hohen Löhne würden durch starke Produktivität wettgemacht, das Sozialsystem „nicht als Faulbett konzipiert", und auch in Sachen Ökologie rangiert Österreich trotz leichter Rückschritte immer noch unter den Besten. Rückstand gebe es bei der Ausbildung und Innovationskraft, sowie bei der Fähigkeit, auch Frauen, Ältere und Migranten am Arbeitsmarkt richtig einzusetzen.

USA nicht blind kopieren

Aber was tun, um vorwärts zu kommen? Am Grundlegenden rüttelt Karl Aiginger nicht. Europa braucht mehr Wachstum, mehr Dynamik, mehr Industrie. Vor allem die Re-Industrialisierung hält der Ökonom für entscheidend. Auch, weil 80 Prozent der Innovationsleistungen eines Landes letztlich in den Betrieben passieren. Doch statt die Industrie wie bisher mit niedrigen Kosten, hohe Förderungen und Protektionismus zu locken, müsse Europa das richtige Umfeld schaffen, damit Innovation möglich ist. Die USA, mit ihren niedrigen Energiepreisen derzeit scheinbar das El Dorado für viele europäische Unternehmen, könne und dürfe Europa nicht kopieren.

Zumindest nicht in allen Bereichen. Die starke Konzentration auf niedrige Kosten verringere langfristig die Wirtschaftsleistung pro Kopf. Blickt man auf die Energiekosten pro erzeugtem Stück, sieht man, dass die Europäer den Nachteil der höheren Energiekosten ohnedies durch Sparsamkeit ausgleichen. Lediglich bei den Forschungsausgaben, Universitäten und bei der Bereitstellung von Risikokapital seien die USA wirklich ein Vorbild. Entscheidend wird sein, dass Europa wieder Ambitionen hat, ist Karl Aiginger überzeugt: „Wer versucht, im Mittelfeld zu landen, ist am Schluss immer ganz hinten zu finden".

Auf einen Blick

Wifo-Chef Karl Aiginger führt ein internationales Expertenteam an, das im Auftrag der EU-Kommission für die EU ein neues Konzept der Wettbewerbsfähigkeit für den Kontinent sucht. Europa braucht mehr Wachstum, Dynamik und Industrie. Der Weg dahin seien aber nicht niedrige Kosten, sondern Innovation.

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