Uni-Dropout: Benachteiligte trifft es zuerst

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Verringerung der Bildungsungleichheit sollte zentrales Ziel einer demokratischen Gesellschaft sein, sagt WU-Forscherin Erna Nairz-Wirth.

Die Presse: Österreichs Hochschulen stehen für Demokratie, wieso diskutiert man dann in Alpbach über Ungleichheit?
Erna Nairz-Wirth: Trotz massiver Bildungsexpansion hat sich die soziale Ungleichheit beim Zugang zu Universitäten nicht deutlich reduziert. Besonders gering sind die Chancen auf ein Studium für Kinder mit Eltern, die lediglich einen Pflichtschulabschluss erworben haben. Österreich liegt hier hinter dem OECD-Durchschnitt. Um zu Ihrer Frage zurückzukommen, was hat das mit Demokratie zu tun. In einer demokratischen Gesellschaft sollte die Verringerung der sozialen Ungleichheit ein Topziel sein – vor allem die Verringerung der Bildungsungleichheit.


Das heißt, Kinder aus bildungsnahen Schichten sind nach wie vor überproportional vertreten?
Ja, deutlich überproportional gemessen an ihrem Anteil in der Bevölkerung. In den 1990er Jahren war die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind aus dem bildungsfernen Milieu an einer Universität zu studieren beginnt, vier Mal geringer gegenüber einem Kind mit Eltern, die eine Matura oder ein Studium absolviert haben. Heute beläuft sich der Faktor auf drei bei den Universitäten und auf zwei bei den Fachhochschulen. Die horizontale Stratifikation, wie man in der Fachsprache sagt, spielt eine Rolle. Diese sieht man besonders deutlich, wenn man einzelne Studienrichtungen vergleicht. Beispielsweise wenn man die soziale Zusammensetzung in der Medizin mit jener in der Pädagogik vergleicht.


Das würde heißen, die Ungleichheit hat ihre Wurzeln nicht an den Hochschulen sondern in den Bildungsinstitutionen davor?
Selbstverständlich sind Studienwahlentscheidungen auch das Ergebnis von Bildungsprozessen, die vorher stattgefunden haben. Sie werden durch Vorurteile, Informationsmängel, Ängste und andere Umstände beeinflusst. Sie werden über den sogenannten Habitus einer Person vermittelt. Dieser Habitus wird zuerst in der Familie geprägt und später über die Schule entwickelt.


Und wie spielt sich die Laufbahn der sozusagen Benachteiligten an den Hochschulen ab?
Wir beforschen sogenannte nicht-traditionelle Studierende. Nicht-traditionelle Studierende sind zum Beispiel erwerbstätige Studierende oder solche mit Betreuungspflichten. Aber auch solche, die aus sogenannten bildungsfernen Familien kommen. Wir haben in den letzten Jahren sehr intensiv das Phänomen des Dropout in Schulen untersucht und haben nun das Untersuchungsfeld auf die Universität erweitert. Dabei haben wir viele Gemeinsamkeiten in den Ursachen entdeckt.


Welche Gemeinsamkeiten gibt es zum Studienabbruch?
Zum Beispiel trifft es diejenigen, die von ihrer Herkunft bereits benachteiligt sind, als erstes. Die Benachteiligungen kumulieren sich. Vor allem, wenn Probleme im Studium auftreten: soziale Netzwerke und ökonomische Unterstützung sind unzureichend vorhanden, Orientierungslosigkeit ist verbreitet. Die Lehrformen werden als fremd und schwierig erlebt. Weiters besteht teilweise große Distanz zu den Lehrenden. All diese Faktoren können Dropout befördern.

Was kann die Hochschule beitragen, dass die Ungleichheit beseitigt wird?
Es geht nicht nur um eine formale Durchlässigkeit. Die Menschen sollen erkennen, dass Unis Organisationen sind, die nicht nur der Formung einer Elite dienen. Die Hochschulen bilden die Lehrer und die Schlüsselakteure in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik aus. International haben sich besonders sogenannte Outreach-Maßnahmen bewährt: Universitäten suchen dabei den Kontakt mit sozial benachteiligten Kindern und Eltern. Damit könnte man schon in den Volksschulen starten, die Kinderunis sind ein gutes Beispiel. Benachteiligte Kinder sollten das Gefühl bekommen, dass die Universität nicht nur etwas für die anderen ist, sondern auch etwas für sie selbst.

Was wirkt noch?
Weitere Maßnahmen sind Tage der offenen Tür, Bridging-Kurse bei Studieneintritt, Mentoring- und Tutoringprogramme, Stärkung der Studierendenvernetzung und der Beziehung zwischen Lehrenden und Studierenden. Studierende berichten in unseren Interviews, dass sie das Gefühl haben, an der Uni nur eine Nummer zu sein; dass sie den Eindruck haben, dass egal ist, ob sie erscheinen oder nicht. Besonders nicht-traditionelle Studierende trauen sich oft gar nicht, mit Professoren in Kontakt zu treten. Hier kann die Uni mit der Sensibilisierung des Personals einiges tun.


Könnte man auch mit einem Teilzeitstudium etwas bewirken?
Ja, eine raum-zeitliche Flexibilisierung hilft erwerbstätigen Studierenden und Studierenden mit Betreuungspflichten. Diese sind von starren Studienbedingungen ganz besonders benachteiligt. An einigen Universitäten und an Fachhochschulen gibt es bereits eigene Angebote für Berufstätige.

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