Schrödinger-Enkelin: Mein Großvater, der Nobelpreisträger

Verena Tomasik
Verena Tomasik(c) Katharina Roßboth
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Verena Tomasik ist die Enkelin von Erwin Schrödinger. Sie arbeitet als Dolmetschernin beim Europäischen Forum – und hat eine Katze.

Es war ein merkwürdiges Gefühl, das Verena Tomasik hatte, als sie im August 1994 das erste Mal den Erwin-Schrödinger-Saal im Alpbacher Congress Centrum betrat. „Ich war nervös“, erzählt die Dolmetscherin. Schließlich war der Mann, nach dem der Raum benannt ist nicht nur Physiker und Nobelpreisträger, sondern ihr Großvater. „Leider habe ich ihn nicht mehr kennen gelernt“, sagt sie. Er starb kurz nach ihrer Geburt, am 4.Jänner 1961. „Da war ich gerade zwanzig Tage alt“, sagt Tomasik. Sein Grab besucht sie trotzdem regelmäßig. „Ich lebe mit meinem Mann und meinem Sohn in Wien, einmal im Monat komme ich aber nach Alpbach, um meine Eltern zu sehen“, schildert sie – und an sein Grab zu gehen.

„Oft sprechen mich Touristen an, manche fragen nach der Formel, die sich an dem schmiedeeisernen Kreuz befindet“, sagt Tomasik. Dann müsse sie jedoch passen. Physik, so räumt sie lächelnd ein, wäre nicht so ihres. Auch ihr 13-jähriger Sohn Moritz interessiere sich noch nicht für die Formeln, die den Urgroßvater einst berühmt gemacht haben – ebensowenig für „Schrödingers Katze“. Gemeint ist ein Gedankenexperiment, mit dem der Physiker, dessen Porträt früher die 1000-Schilling-Banknote zierte, aufzeigen wollte, was passiert, wenn die quantenmechanische Wellenfunktion auf makroskopische Objekte übertragen wird.

Plastischer erklärt: Es wird eine Katze in einen Karton gesteckt, ein instabiler Atomkern, ein Geigerzähler, ein Hammer und eine Ampulle mit Giftgas hinzugefügt. Zerfällt der Atomkern, aktiviert der Geigerzähler den Hammer, der daraufhin die Ampulle zerschlägt. Die Katze atmet das Gas ein und stirbt. Vermutlich. Denn da keiner in den Karton sieht und der Atomkern nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit in einem gewissen Zeitraum zerfällt, entsteht eine paradoxe Situation: Die Katze ist halb tot und halb lebendig.

Tomasik lacht: „Wie er gerade auf dieses Tier gekommen ist, weiß ich nicht. Er hatte nämlich gar keine Katze, sondern zwei Hunde.“ Dafür besitze ihre Mutter eine Tigerkatze namens Artemis. „Man kann Schrödingers Katze folglich in gewisser Weise doch im Dorf finden“, meint sie schmunzelnd.

Eine schwierige Beziehung

Ähnlichkeiten zwischen ihrer und der Biografie ihres Großvaters will die Dolmetscherin, die in Innsbruck und Edinburgh Deutsch, Englisch und Italienisch studiert hat, bisher keine entdeckt haben.n„Er war ein Grantler“, das habe ihr ihre Mutter einmal erzählt, sagt sie. Dann schweigt sie kurz. Die Familiengeschichte ist nicht ganz leicht zu erzählen: Es war Juli 1929, als der Brixner Arthur March, einer der Urväter der Quantenphysik, Hildegunde Holzhammer heiratete. Drei Monate später kam Schrödinger nach Innsbruck und lernte die frisch Verheiratete kennen. Sie beeindruckte ihn. Doch war Schrödinger damals bereits mit Annemarie Bertel, genannt Annie, verheiratet. Die beiden lebten in einer offenen Beziehung. „Mein Großvater mochte Frauen“, sagt Tomasik. Auch mit ihrer Großmutter fing er eine Liebschaft an. Annie hatte ebenfalls eine langjährige Beziehung zu dem deutschen Mathematiker und Physiker Hermann Weyl.

Während Schrödingers Ehe kinderlos blieb, bekam der Physiker mit Hildegunde March ein Mädchen, Ruth Braunizer. „Meine Mutter begleitete meinen Großvater in den 1950er-Jahren nach Alpbach, er hielt hier seine Vorträge“, schildert die Dolmetscherin. „Mein Vater war als Stipendiat hier.“ 15 Jahre später wurde Tomasik geboren, als drittes von vier Kindern. Die Familie lebte allerdings nicht in Alpbach, sondern in Linz. „Während meiner Schulzeit habe ich ein Jahr im Südwesten Englands verbracht, dann kam das Studium“, sagt die 54-Jährige. 1987 promovierte sie, sammelte erste berufliche Erfahrungen als Übersetzerin und Dolmetscherin, bis sie sich entschied, für drei Jahre nach Kanada zu gehen. „Ich habe immer davon geträumt, dort zu leben“, erzählt sie.

Als sie von einer möglichen Stelle als Kindermädchen erfahren habe, habe sie sich gemeldet und den Posten bekommen. „Eigentlich wollte ich für immer dort bleiben“, schwärmt sie. Ein Unfall aber zerstörte den Traum: Sie stürzte so unglücklich über eine Treppe, dass sie sich die Hüfte zertrümmerte. „Ich wurde operiert, doch die Schmerzen ließen nicht nach. So bekam ich schließlich eine künstliche Hüfte“, sagt sie – und kehrte nach Österreich zurück.

Vom Forum gerufen

In Wien lernte sie bald ihren Mann kennen, heiratete – und ist seitdem in der Bundeshauptstadt als Dolmetscherin tätig, für unterschiedlichste Firmen sowie das Magistrat. Und seit 1994 für das Europäische Forum in Alpbach. „Man rief mich an und ich sagte zu, seither bin ich jedes Jahr hier.“ Um eine Bleibe während dieser Zeit muss sie sich dabei nicht kümmern: „Ich wohne bei meinen Eltern, gleich neben dem Congress Centrum.“ Und unweit des Schrödinger-Grabes. „Er wollte hier bestattet werden und dass eine Holztafel mit einem von ihm verfassten Gedicht am Grab steht“, erzählt sie. Beides wurde ihm gewährt.

Und noch ein Detail weiß Tomasik zu berichten: „Annie befindet sich gar nicht im Grab von Schrödinger, es steht nur ihr Name darauf.“ Denn nach Alpbacher Tradition werden die Gebeine nach 21 Jahren entfernt – nur für Schrödinger machte man eine Ausnahme.

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