Hannes Androsch: „Man darf die Entwicklung nicht behindern“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die digitale Revolution wird die gesamte Lebens- und Arbeitswelt erfassen, sagt der Vorsitzende des Forschungsrates, Hannes Androsch. Er fordert, die Chancen zu nutzen und nicht abgeschlagen hinten „nachzutanzen“.

Die Presse: Es heißt, angekündigte Revolutionen finden nicht statt. Inwieweit ist Industrie 4.0 tatsächlich eine Revolution? Schon die 3. Industrielle Revolution war ja durch den Einsatz von Elektronik und IT für die Automatisierung der Produktion gekennzeichnet.

Hannes Androsch: Das ist einerseits eine evolutorische Fortsetzung: vom Fließband bis zu elektrischen Steuerungselementen heute. Aber es ist auch eine Umwälzung, weil die Geräte autonom werden, also selbst optimierend, selbst kommunizierend, selbst steuernd. Sie tragen damit ganz maßgeblich zur Produktivitätssteigerung der industriellen Wertschöpfungskette bei. Diese Entwicklung wird aber alle Lebensbereiche erfassen, etwa die Steuerung der Elektrizitätsversorgung im Haushalt. Und sie wird auch ganz massive Auswirkungen auf die Arbeitswelt haben. Es wird nicht weniger, aber andere Jobs geben, mit anderen Anforderungsprofilen und anderen Qualifikationserfordernissen.


Es werden also keine Arbeitsplätze verloren gehen, sondern die Menschen künftig höher qualifiziert sein?

Davon bin ich überzeugt. Dafür sprechen die Erfahrungen aus 250 Jahren Industrialisierung. Denken Sie etwa an die Mechanisierung der Landwirtschaft: Der Anteil der Beschäftigten ist dort von 40 auf zwei Prozent zurückgefallen, und wir haben dennoch ungleich mehr Erwerbstätige im System. Es werden Routinearbeiten wegfallen, aber qualifizierte dazukommen. Die Roboter müssen designt, programmiert, kontrolliert, instand gehalten werden – bei aller Autonomie, die sie durch riesige Datenmengen entwickeln. Es wird eine Fülle neuer qualifizierter Aufgaben geben. Die muss man dann aber auch wahrnehmen können.


Geben die Maschinen dann den Takt vor? Roboter arbeiten ja 24 Stunden am Tag.

Die Arbeitswelt ändert sich. Das kann ja durchaus Vorteile haben. Dass wir die Gleichzeitigkeit überwinden mit den Stoßzeiten und den Staus. Da wird es viele Arbeitszeitmodelle geben, die das Leben angenehmer machen.


Sie ermuntern „Lasst die Roboter kommen!“ Aber sind wir dafür auch ausreichend vorbereitet?

Bisher ungenügend, in ganz Europa. Da sind uns die Amerikaner, Chinesen, Japaner, Südkoreaner, und Taiwanesen weit voraus. Was wir in Europa brauchen, ist ein digitaler Binnenmarkt, ein Breitbandnetz, da hinken wir nach: in Europa insgesamt und in Österreich ganz besonders. Wir brauchen in jedem Dorf eine Internetverbindung und WLAN. Wo das fehlt, werden Dörfer sterben.

Der bekannte Physiker Stephen Hawking warnte sogar vor dem Ende der Menschheit, wenn Maschinen ein Bewusstsein bekommen. Ist das Science Fiction oder eine ernst zu nehmende Gefahr?

Das ist Science Fiction. Ein Paradoxon besagt, dass es leichter ist, komplizierte Dinge zu programmieren wie etwa ein Schachspiel, als ganz einfache, dem Menschen instinktiv innewohnende wie Kreativität. Diese Ängste hat es immer gegeben, ich erinnere an das von Rossegger beschriebene Dampfross. Diese Technologie-Ängste und die daraus resultierende Technologiefeindlichkeit ist in Wahrheit nicht begründet, aber bei uns sehr ausgeprägt. Man muss diese Entwicklung fördern, darf sie nicht behindern und verzögern. Sonst sackt man hoffnungslos ab.


Was bedeutet das für Bildung und Forschung?

Dass wir endlich eine zeitgemäße Bildungsreform brauchen, die uns zukunftsfähig macht. Dass wir unsere Universitäten ausbauen: Verglichen mit der Schweiz oder Bayern geben wir nur die Hälfte aus und haben ein ungleich schlechteres Betreuungsverhältnis. Die Prioritäten der öffentlichen Ausgaben stimmen nicht. Wir haben zwar die Notwendigkeit der Budgetsanierung, aber die lässt sich nicht erreichen, indem man nicht genug für die Zukunftsfähigkeit bereitstellt.


Verstehen Sie, dass manchen die Vorstellung nicht behagt, von Robotern gepflegt zu werden?

Pflegen lassen, ja, aber Pflegehilfe, nein. An der ETH Zürich wird an einem roboterisierten Pflegebett gearbeitet. Es ist sehr schwierig, einen bettlägrigen Menschen umzulegen und dabei alle Pflegestandards einzuhalten. Wir bekommen jetzt schon nicht das Pflegepersonal, das wir brauchen. Stellen Sie sich vor, Sie schlucken eine intelligente Kapsel und können damit eine Dünndarmkoloskopie machen, wie es bisher so nicht möglich war. Es gibt unzählige, sehr nützliche Anwendungsmöglichkeiten, die erst am Beginn der breiten Nutzung stehen.


Es heißt, Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen. Sie haben eben ein neues Buch über die Gestaltung der Zukunft (siehe Buchtipp Seite 36, Anm.) präsentiert. Der wichtigste Sukkus?

Man muss die Chancen einer Entwicklung nutzen und vorne dabei sein und nicht hinten abgeschlagen nachtanzen.

Zur Person

Hannes Androsch (76) studierte Welthandel in Wien, war Finanzminister und Vizekanzler. Der Industrielle engagiert sich heute für Bildung und Forschung: Er war Vorsitzender des Universitätsrates der Montan-Uni Leoben, 2011 initiierte er das Bildungsvolksbegehren. Seit Herbst 2010 ist er Vorsitzender des Rats für Forschung und Technologieentwicklung, der die Bundesregierung in Forschungs- und Technologiefragen berät.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2015)

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