Die Schneiderin der Festtagstracht

Trachtenschneiderin Cilly Schießling
Trachtenschneiderin Cilly Schießling(c) Katharina Roßboth
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Cäcilia Schießling nähte mit 15 Jahren ihr erstes Dirndl. Mittlerweile hat sie sich auf das Schneidern der traditionellen Alpbacher Tracht und des „Kasettl“ spezialisiert – mal näht sie mit links, mal mit rechts.

Eilig geht Cäcilia Schießling durch die Eckstube ihres Elternhauses. Sie dreht sich um, legt eine Schürze über eine Sessellehne. Der Stoff ist in einem dunklen Rot gehalten, durchsetzt von schwarzen Tönen, die die Konturen von Blumen nachzeichnen. „Daran arbeite ich gerade“, sagt sie, macht zwei weitere Schritte, um das dazugehörige Kleid zu holen und legt es daneben. „Das ist ein Kasettl“, sagt sie, ein Begriff, der sich vom Korsett ableitet. „Unsere Unterinntaler Festtagstracht, die meist verheiratete Frauen tragen.“ Ausgeführt wird sie bei Taufen, Firmungen oder zur Trauung – „die Braut trägt sie mit einer hellen Schürze, sonst ist sie dunkel gehalten“.

Die Schneiderin blickt auf: „Ich habe mein Kasettl vor rund 20 Jahren genäht, angezogen habe ich es aber bis heute nicht.“ Erneut dreht sie sich in dem Zimmer, in dem sich Stoffballen, Fäden, Bänder, Knöpfe und Nähmaschine befinden. Sie findet das Gesuchte, eine originale Alpbacher Tracht, und hängt sie an einen Bauernkasten. „Das trage ich viel lieber, es wirkt frischer auf mich“, sagt sie und bindet die blaue Schürze zurecht.

Schießling ist spezialisiert auf Originale. Nach dem Abschluss der Schule machte Cilli, wie sie gerufen wird (im beruflichen Kontext schreibt sie sich Cilly), die Ausbildung zur Schneiderin. Drei Jahre lang dauerte die Lehre in dem kleinen Laden, gleich unterhalb der Dorfkirche St. Oswald. „Heute befindet sich in dem Haus eine Physiotherapie“, erzählt sie. Sie habe sich recht gut angestellt beim Lernen, obwohl sie das, was sie tat, eigentlich nicht mochte. „Ich habe in der Schule nie selbst gestrickt, die Lehrerin konnte es mir nicht vorzeigen, da ich Linkshänderin bin und sie Rechtshänderin war“, erinnert sie sich. Daher habe eine ihrer Schwestern – Schießling ist das fünfte von zehn Kindern – heimlich zu Hause ihre Aufgaben gemacht. „Ich wollte nie Näherin werden, doch eines Tages stand ich in der Stube und die Ausbildung ging los“, sagt sie. „Heute schneidere ich alles mit links und rechts.“

Erstes Dirndl mit 15 Jahren

Ihr erstes Dirndl – während eine Tracht nur an Festtagen getragen wird und regional bestimmte Muster aufweist, war ein Dirndl früher das Arbeits- und Alltagskleid von Mägden – nähte die Alpbacherin im Alter von 15 Jahren; und zwar für sich selbst. „Man hat an sich selbst Maß genommen; konnte ganz fantasievoll sein“, erzählt sie von ihrer Lehre. Das Ergebnis fiel dreifärbig aus – weiße Schürze, roter Rock, grünes Oberteil. „Ich brauche es nicht mehr, aber es ist eine schöne Erinnerung“, sagt die Schneiderin.

Nach einigen Jahren im Betrieb legte sie die Meisterprüfung ab, vor etwa 15 Jahren wagte sie den Schritt in die Selbstständigkeit: „Ich wollte mich auf die Trachten konzentrieren.“ Dirndlkleider näht sie kaum mehr: „Die jungen Mädchen wollen meist günstigere Stücke, die sie nur ein- oder zweimal tragen und dann wieder ersetzen.“ Sie greift zu einem Buch. „Das ist mein Repertoire“, sagt sie und meint die Sammlung von Bildern und Erklärungen der unterschiedlichsten Tiroler Trachten. Am häufigsten würde sie Änderungen vornehmen: „Die Frauen möchten zum alten Rock ein neues Oberteil oder brauchen ein neues Tuch.“

Drei- bis viermal im Jahr wird auch ein gänzlich neues Kasettl in Auftrag gegeben. Die Herstellung des schwarzen Kleides ist aufwendig, weist es doch viele Stickereien und gesmokte Ärmel auf. „Die Stickereien macht mir eine Bekannte“, sagt Schießling. Auch für das Hemdl aus feinem weißen Leinen hat sie „helfende Hände“ – eine weitere Bekannte aus dem Dorf. „Sie macht für mich die Klöppelspitze, für den Ausschnitt und die etwas breiteren Spitzen, die an den Ärmeln angebracht sind“, räumt Schießling ein. Angestellte hat sie aber nicht; braucht sie auch nicht.

„Ich arbeite hier in Ausser-Thierberg, dem Bauernhof meiner Eltern, den derzeit mein ältester Bruder bewirtschaftet.“ Meist sei sie in ihrer Stube, bei schönem Wetter am Balkon. „Mit dunklen Stoffen arbeite ich lieber draußen“, sagt sie, „vor allem beim Smoken, dafür brauche ich rund zwanzig Stunden und gutes Tageslicht.“

Ein halbes Jahr pro Tracht

Für eine Tracht nimmt sich Schießling ein halbes Jahr Zeit. Zunächst werde besprochen, was die Kundin haben möchte, dann werden die Stoffe besorgt – „die kaufe ich in einer Lodenfabrik im Zillertal.“ Als nächstes gilt es, die Farbe der Stickerei samt der hineingearbeiteten Steinchen auszuwählen – „beim Kasettl gibt es links und rechts vom Ausschnitt, der je nach Geschmack üppiger oder zugeknöpfter ausfällt, Blumenstickereien.“

Die Alpbacher Tracht weist ebenfalls Stickereien auf: Eine am Brustlatz, eine am Rücken. „Die beiden müssen harmonieren“, sagt Schießling – das Motiv bilden Blumen. Während die hintere Stickerei direkt in das Kleid eingearbeitet ist, wird der Brustlatz mit Druckknöpfen befestigt – derselbe Mechanismus hält auch das weiße Tuch (nur bei Trauerfällen wird es durch ein schwarzes ersetzt), das über die Schultern gelegt wird, davon ab, zu verrutschen. Auf die Auswahl folgt das Nähen: Schießling fertigt die einzelnen Teile, bei der ersten Anprobe werden sie angelegt und fixiert – „es muss straff sitzen und darf keine Falten schlagen“. Bei der zweiten Anprobe werden kleinere Anpassungen gemacht.

Aufträge bekommt die ledige Schneiderin, zu deren Stammkunden unter anderem die Alpbacher Schützen und der Böglerhof (Arbeitskleidung ist das „Pustertaler Dirndl“) zählen, aus der ganzen Region. Reith, Brixlegg, Kramsach, Schwarz zählt sie auf: „Ist jemand mit mir zufrieden, werde ich weiterempfohlen, so einfach ist das.“ Woher ihre Kunden kommen, sei für sie nachrangig: „Man muss stets flexibel sein.“ Auch bei den Preisen ist Flexibilität gefragt, denn sie variieren je nach Arbeitsaufwand und Stoffart: Ein Kasettl kostet zwischen 1800 und 2000 Euro, die Alpbacher Tracht 800 Euro, ein Dirndl zwischen 200 und 220 Euro. „Natürlich mache ich auch Trachten für Männer“, sagt Schießling. Dabei würden die Joppen aus grauem Loden am häufigsten nachgefragt.

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