Migration: „Europa muss aktiver sein“

Hikmet Ersek
Hikmet Ersek(c) Katharina Roßboth
  • Drucken

Als Präsident von Western Union hat Hikmet Ersek einen Überblick über Überweisungen auf der ganzen Welt. Anhand der Geldströme lassen sich auch Erkenntnisse über Migration und ihre Folgen ziehen.

„Europa braucht Migration“, sagt Hikmet Ersek. „Man muss sich nur die demografische Entwicklung anschauen.“ Weil die Menschen zu wenig Kinder bekommen, die Gesellschaft immer älter zu werden droht – und weil nur durch Zuwanderung überhaupt noch Wachstum möglich sei. Der Präsident und CEO von Western Union hat selbst seine Erfahrung mit Migration: Weil er, als Sohn eines Türken und einer Wienerin selbst in der Türkei aufgewachsen, erst nach Wien ging, dann in die USA auswanderte. Und weil er durch die Überweisungen, die sein Unternehmen weltweit durchführt, viel über Migrationsströme erfährt – schließlich sind Migranten, die Geld an ihre Familie in der alten Heimat überweisen, die Zielgruppe.

Allein, meint Ersek, Europa verhalte sich in dieser Frage viel zu passiv. „Es ist viel einfacher, wenn man die aktive Rolle spielt, weil man dann die Immigration definieren und das Volk vorbereiten kann“, sagt er im Gespräch mit der „Presse“. „Einfach zu warten und die Grenzen hochziehen, ist eine kurzfristige und falsche Aktivität.“ Was aber nicht bedeuten dürfe, dass man grenzenlosen Zuzug möglich macht. „In einer Wohnung macht man auch nicht für jeden die Tür auf, aber es geht auch nicht, nichts zu tun.“ Vielmehr sollte man gezielt Menschen mit bestimmten Qualifikationen anlocken. Auch sollte man die Grundeinstellung zu Migration verändern, sie in ein positives Licht rücken und die Chancen dahinter erkennen: „Es wäre schon gut, wenn Österreich Zuwanderer fragen würde ,was kannst du?' und nicht ,woher kommst du?'“

Dass es Migration gibt, ist ein Fakt. Und sie ist unter anderem auch dem Generalthema des heurigen Forums Alpbach geschuldet – der Ungleichheit. Denn die messe sich auch in Dollars, sagt Ersek: „In Europa liegt das durchschnittliche Gehalt bei 30.000 Dollar pro Jahr. In anderen Ländern ist es ein Dollar pro Tag.“ Es sei logisch, dass Menschen deswegen in andere Länder gehen, um dort Geld zu verdienen. Niemand wolle seine Heimat verlassen, aber der Wunsch sei groß, dass es mit dem Geld von auswärts der Familie besser gehen soll. „Der häufigste Grund für Überweisungen ist, dass die Kinder eine gute Bildung bekommen sollen.“

Überweisungen nach Syrien

Dass ein großer Teil des verdienten Geldes tatsächlich wieder in die alte Heimat zurückfließt, kann Western Union anhand der Unternehmenszahlen sehen. Und auch, von wo nach wo dieses Geld überwiesen wird. Derzeit werde etwa viel von südlichen europäischen Ländern nach Nordafrika geschickt. Auch von der Türkei werde viel Geld überwiesen – in Richtung Zentralasien, aber auch in den Irak und nach Syrien. Gerade im Fall von Syrien sind es aber weniger Arbeitsmigranten, sondern Flüchtlinge, die den Daheimgebliebenen mit Überweisungen helfen wollen. „Wir haben noch immer einen Standort in Syrien“, sagt Ersek, „die Leute brauchen das Geld.“ Alles werde streng überwacht, um nicht etwa Schlepper oder Terroristen zu finanzieren. Und gerade im Kriegsgebiet gebe es immer wieder Schwierigkeiten – dass etwa eine Überweisung nicht ausbezahlt werden kann, weil es kein Cash gibt.

Neben den syrischen Kriegsflüchtlingen ist vor allem die Wirtschaftsmigration aus Afrika eine Herausforderung für Europa. Aber auch hier sieht Ersek Alternativen dazu, die Grenzen dicht zu machen: „Europa muss in Afrika investieren, Arbeitsplätze kreieren und für Bildung sorgen.“ Damit würde die Zuwanderung nach Europa abnehmen, der Kontinent könnte wirtschaftlich wachsen. „Aber wir investieren nicht, weil Afrika als korrupt gilt, weil man Angst hat.“ Auch hier rät der Western-Union-Chef dazu, aktiv zu sein. Und mancher Geldstrom drehe sich im Lauf der Zeit auch um: Dass etwa jetzt Geld aus der Türkei in andere Länder überwiesen wird, sei dem dortigen Wirtschaftswachstum zu verdanken. Noch vor einigen Jahren, sagt Ersek, war das Land zu 90 Prozent Empfänger von Geld aus dem Ausland.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.