Europa steckt weniger in einer Finanz-, sondern in einer Glaubenskrise, sagt Kulturtheoretikerin Christina von Braun. Den Ursprung verortet sie im Opferkult.
Geld ist abstrakt. Ein körperfernes Schriftsystem, das im Laufe seiner Existenz beständig an Macht über Individuum und Gesellschaft erlangt hat. „Wir können gar nicht mehr ohne Geld denken“, sagt die Kulturtheoretikerin Christina von Braun. Lediglich die Deckung der jeweiligen Währung habe sich im Verlauf der Jahrhunderte verändert. „Am Anfang stand der materielle Wert“, sagt von Braun. Grund und Boden, Gold oder andere Edelmetalle bezeugten den Wert der Münzen, mit denen gehandelt wurde. Nicht überraschend folglich, dass sich der Ausdruck pekuniär vom lateinischen Wort pecus ableitet, das eigentlich Vieh bedeutet. „Es gab eine gewisse Korrelation zwischen materiellen Werten und dem, was Geld ist – und damit etwas, das der Europäischen Union heute fehlt.“
Die zweite Deckung bildete der Souverän, der das Geld emittiert und den Wert der Währung beglaubigt. „Doch der Glaube der Bevölkerung wurde missbraucht, als die Herrscher begannen, auf Kosten der Bürger in die eigene Tasche zu wirtschaften.“ Bleibt folglich nur mehr der dritte Deckungsversuch – der bis heute unser Finanzsystem prägt: der Opferkult.
„Das germanische Wort 'gelt' bedeutet nicht umsonst Götteropfer“, sagt von Braun. Hintergrund sind die Opferriten im antiken Griechenland: Die Opfertiere wurden auf große Spieße gesteckt, gebraten und in der Gemeinschaft verspeist. Die Spieße wurden dann in Metallstücke aufgeteilt und zirkulierten als Geld – das seinen Wert nur daraus bezog, dass es aus einer sakralen Opferhandlung kam. „Das Opfer stand symbolisch für den Menschen“, führt die Autorin („Der Preis des Geldes“) weiter aus. Und tut es noch heute: „Immer, wenn wir den Glauben an das Geld verlieren, müssen Menschen daran glauben“, sagt sie. „Das heißt nicht, dass sie getötet werden, doch sie sterben einen symbolischen Tod innerhalb der Gesellschaft, indem sie durch alle sozialen Raster fallen, Job und Behausung verlieren.“ Damit, so die Filmemacherin, zahlen sie den Preis, durch den das Geld eine Deckung erhält.
Die Finanzwirtschaft löste diese Opfertheologie ab. Konkret: „Früher hieß es credo, heute heißt es Kredit – wir glauben, dass wir unser Geld zurückbekommen“, fasst von Braun zusammen. Leider würden aber häufig nicht jene, die enorme Summen verspekulieren zahlen, sondern die Rechnung an die Schwächsten der Gesellschaft delegieren – „so, wie das Menschenopfer einst an die Tiere delegiert wurde“.
Man glaubt auch, weil man muss
Das griechische Schuldendilemma und die aktuelle Talfahrt der chinesischen Börsen seien folglich weniger eine Finanz- als vielmehr eine Glaubenskrise. „Wir haben den Euro geschaffen, ohne an eine europäische Gemeinschaft zu glauben. Bis heute denken wir nicht als Europäer, sondern als Österreicher, Deutsche oder Franzosen“, sagt von Braun. Unsere Währung beruhe jedoch auf dem Glauben an eben diese Gemeinschaft, warnt sie vor einem Ausschluss Griechenlands aus der Euro-Zone. Besser wäre es, solidarisch in die Zukunft zu gehen und die Energien in einem europäischen Finanzministerium und einer gemeinsamen Finanzpolitik zu bündeln.
Dass die Menschen ihren Glauben an das Geld verlieren, glaubt von Braun übrigens nicht. „Ich denke, da ist der Selbstschutz zu groß“, sagt sie. „Man glaubt ja nicht nur, weil man will, man glaubt auch, weil man muss.“