Westwood: "Wir werden alle Flüchtlinge sein"

Vivienne Westwood
Vivienne Westwood(c) Katharina Roßboth
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Die Designerin und Aktivistin schildert düstere Szenarien, bis hin zum Aussterben der menschlichen Rasse. Umweltschutz könne die Welt noch retten.

Gegen Ende wurde das Forum merklich bunter: Massen an Besuchern – Anzugdichte erstaunlich gering, Durchschnittsalter ebenso – drängten Donnerstagabend in den Erwin-Schrödinger-Saal. Schließlich sind es die exzentrischsten Redner dieses Jahres, die aufs Podium stiegen: Vivienne Westwood und Ehemann Andreas Kronthaler, das legendäre Designer-Paar. Nach Alpbach sind die beiden aber nicht gekommen, um über Gewand zu reden, der schrillen Lady ist mittlerweile die Politik viel wichtiger.

Mit erstaunlicher Energie, jugendlichem Idealismus, macht sich die über-70–jährige mit den orange gemalten Augenbrauen für Klimaschutz und Menschenrechte stark. Zum Beispiel, wenn sie von ihrem Schlüsselmoment erzählt: Ein Interview mit Wissenschaftler James Lovelock, der erklärte, dass Ende des Jahrhunderts nur noch eine Mrd. Menschen leben würde.

Schonungslos, radikal, direkt

Oder, wenn sie andere Publikationen zitiert: Denen zufolge hätten alle 50 Mrd. Spezien, die seit Anbeginn auf der Erde existiert hatte, im Schnitt 100.000 Jahre bestanden. „Das ist exakt so alt, wie wir als Spezies des homo sapiens sind“, sagt sie, und führt in eingängiger Dringlichkeit aus, was unsere Population aus ihrer Sicht bedroht: Das ist vor allem der Klimawandel; bei einem Anstieg der Temperaturen um zwei Grad sei ein weiterer Anstieg um fünf Grad unausweichlich. Das gesamte Gebiet, das unterhalb der Höhe von Paris liegt, sei dann nicht mehr bewohnbar. „Dann sind wir alle Flüchtlinge.“

Das Thema der Lecture, „InEquality as Elixir of Life“, spielt auf ein weiteres ihrer Themen an: Ungleichheit, die wachsende Armut, die Westwood etwa illustriert, indem sie und Kronthaler über exorbitante Mietpreise, steigende Lebenserhaltungskosten, die Spekulation und wachsende Armut in ihrer Heimat London erzählen.

Schuld daran sind aus Westwoods Sicht das Finanz- und Wirtschaftssystem, für sie das „gesichtslose Böse“. Westwood ist – wie in ihrer Vergangenheit als „Queen of Punk“ und Fashion-Ikone – schonungslos, radikal und direkt. So nennt sie Politiker pauschal „kriminell“ – zum Beispiel, wenn sie sich nicht gegen das Freihandelsabkommen TTIP einsetzen, das für sie ein „Horror“ ist. Auch die USA und Hegemonialpolitik an sich sind aus ihrer Sicht die Bösen, da sie für ewig andauernde Kriege sorgen, um ihr Wirtschaftssystem zu erhalten. Ein düsteres Bild, das die sonst so bunte Westwood in Alpbach zeichnet.

Ganz will sie es bei den Untergangs-Szenarien nicht belassen, erinnert an die Anpassungsfähigkeit unseres Planeten und seiner Bewohner, an Orchideen, die in der Wüste wachsen, oder, dass neben all der Zerstörung die Menschheit auch Wundervolles wie Mozart hervorgebracht hat. „Wir sind wundervoll!“, ruft sie den Besuchern im Erwin-Schrödinger-Saal zu.

Was also tun, damit das so bleibt? „Hätten wir ein nachhaltiges Wirtschaftssystem, hätten wir eine friedliche Welt“, sagt sie. Und spricht davon, wie man dahin kommen könnte: „Wir müssen unsere Werte überdenken. Ich will, dass die Leute demonstrieren, dass sie sich engagieren und einbringen. Zu viele sind völlig unbeteiligt.“ Und wie schafft sie den Spagat zwischen Öko-Aktivismus und Mode? Wir versuchen so nachhaltig wie möglich zu arbeiten. „Buy less, choose well, make it last – das ist das Motto unserer Firma“, so Andreas Kronthaler. „Wir versuchen, eine Alternative zum Massenkonsum zu bieten“, sagt Westwood.

Zwischen Punk und Yoga

Vermisst sie heute die Energie der 1970er, die wilden, revolutionären Jahre des Punk, an denen sie in London an vorderster Front beteiligt war, wenn heute junge Idealisten ihr Engagement zeigen, indem sie vegan leben und Yoga üben, fragt Moderatorin Clarissa Stadler.
„Nein. Ich hab die Punk-Zeit schon ganz vergessen, ich war nicht glücklich in der Zeit. Ich setze viel Hoffnung in junge Menschen, sie sind Idealisten. Und Yoga praktiziere ich seit Jahren selbst! Es macht einen stark, und ich bin sicher, dass ich dadurch länger lebe“, sagt sie. Aus dem Leben auch im Alter etwas Gutes zu machen, sieht sie als Pflicht: „Wenn es sein sollte, dass die Menschheit in unserer Zeit zu Grunde geht, dann hat jeder die Pflicht, jetzt aus seinem Leben etwas zu machen, sich auf das Leben einzulassen und sich in der Welt zu engagieren. Ich glaube noch daran, dass sich die Menschheit weiterentwickelt.“ Und erntet kräftigen Applaus.

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