„Ich wünschte, mehr Leute gingen ins Theater“

Regisseurin und Dramatikerin Nona Shepphard
Regisseurin und Dramatikerin Nona Shepphard(c) Katharina Fröschl-Roßboth
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Die renommierte britische Schauspielschule RADA bringt heuer Shakespeares „Sommernachtstraum“ nach Alpbach. Regisseurin Nona Shepphard sprach bei einer Tasse Tee über die aufklärerische Kraft des Theaters.

Als Schreibdomizil für Dramatiker sei Alpbach nicht uneingeschränkt geeignet. Zwar gäbe es wenige Orte, die einen bei der Arbeit so sehr inspirieren, sagt die britische Regisseurin und Dramatikerin Nona Shepphard. Doch gäbe es auch wenige Orte, die einen so ablenken können: Immer wieder bleibe ihr Blick nicht an dem Stück, das sie gerade schreibt, sondern an der Landschaft vor ihrem Fenster hängen. Der Ausblick aus ihrem Apartment über das Dorf und die umliegenden Berge sei einer der Gründe, warum sie, seit sie 2013 zum ersten Mal eingeladen wurde, jedes Jahr wieder gekommen ist.

Die vielen interessanten Menschen, die herkommen, um ihre Ideen zu diskutieren – und „nicht nur über Oberflächliches zu reden“ –, seien ein weiterer Grund, erzählt sie bei einer Tasse English Breakfast Tea. Dass sie Zeit hat, sich an den Diskussionen zu beteiligen und zwischendurch aus dem Fenster zu schauen, ist dabei ein relativ neues Phänomen in ihrer Alpbach-Erfahrung. Shepphard ist „Associate Director“ der Royal Academy of Dramatic Arts, kurz RADA, einer der ältesten und renommiertesten Schauspielschulen Großbritanniens, auf der Stars wie Ralph Fiennes, Anthony Hopkins und Roger Moore ihr Handwerk lernten.

2013 entwickelte Shepphard mit Absolventen der Schule in zweiwöchiger Probezeit ein Stück über Alpbach, das inhaltliche Impulse aus dem Programm dramatisch aufgriff und auch Alpbacher Einheimische sowie Forumsteilnehmer zu Figuren machte. „The other magic mountain“, „Der andere Zauberberg“, hieß das Stück, und der Geist des Gründungsvaters Otto Molden kehrte darin zurück, um zu sehen, wie sich das Forum entwickelt hat.

Düstere Masken

Seitdem war ein Theaterstück der RADA stets ein Fixpunkt im Alpbacher Kulturprogramm. 2014 nahm man sich mit einer eindringlichen, etwas düsteren Performance – inklusive Masken – des Psychoanalytikers Sigmund Freud an, dessen Todestag sich zum 75. Mal jährte. Das Stück wurde von den Teilnehmern mit Begeisterung aufgenommen, Nona Shepphard war am Ende dennoch etwas enttäuscht: „Ich hatte nichts von der Konferenz gesehen!“ Um am Forum teilnehmen zu können, ohne die ganze Zeit an einem Stück arbeiten zu müssen, reiste sie im Vorjahr mit einer fertigen Produktion an, „Crazy Lady“, das sie für eine Konferenz zum Thema psychische Gesundheit als Auftragswerk geschrieben hatte.

Die Welt nicht vergessen

Heuer, 400 Jahre nach Shakespeares Tod, steht sein „Sommernachtstraum“ auf dem Programm, und statt Absolventen spielen diesmal RADA-Studenten aus dem zweiten Jahr. Die könnten in Alpbach, wo immerhin hunderte Studenten aller Richtungen herumwuseln, nämlich auch einiges lernen: „RADA ist eine Institution, wo es sehr geschlossen, intim und intensiv zugeht. Da kann man schon vergessen, dass es draußen noch eine Welt gibt und andere Menschen, die ganz andere Leben führen.“ Gleichzeitig geben die Schauspielstudenten heuer erstmals Einblick in ihre Welt: Bei einem Theaterseminar für Alpbach-Stipendiaten, mit Spielen und Übungen aus der Schauspiel-Ausbildung. „Das ist auch ein Training fürs Leben“, meint Shepphard. „Man lernt Zusammenarbeit, zuhören, offen und expressiv sein. Manche Teilnehmer haben ganz erstaunt gesagt: ,Ich habe noch nie in der Öffentlichkeit Emotionen gezeigt.‘“

Mit dem „Sommernachtstraum“ sind die Studenten, die am Ende des zweiten Ausbildungsjahres traditionell einen Shakespeare einstudieren, bereits durch Londoner Schulen getourt, heute präsentieren sie das auf eineinhalb Stunden gekürzte Stück im Elisabeth-Herz-Kremenak-Saal, in einer simplen, „straight-forward“ Inszenierung von Nona Shepphard. „It's a really delightful play“, sagt sie und schwärmt von den Liebeswirrungen, den verliebten Athener Teenagern, der Zauberei im Stück. Passt das zum Generalthema des Forums „Neue Aufklärung“? Nicht so sehr wie andere Shakespeare-Stücke, räumt sie ein (Shakespeares Dramen waren tatsächlich wegweisend am Beginn der europäischen Aufklärung). Und doch irgendwie: „Es geht darum, dass Leute eine Erfahrung machen, die sie verändert: Als sie aufwachen, sehen sie die Dinge anders.“

Dass das Theater in einer „neuen Aufklärung“ eine wichtige Rolle spielt, steht für sie außer Frage: „Das Theater ist der Ort, an dem wir Dinge ausprobieren können: Wie drücken wir uns aus, wie organisieren wir die Welt, welche Werte wollen wir? Ich wünschte nur, es würden mehr Leute ins Theater gehen“, sagt sie und erinnert an Shakespeares Zeiten, als sich vor den Bühnen vornehme wie auch ganz ungebildete Menschen versammelten. Heute sei das Theater eine elitäre Sache geworden – zum einen, weil die Tickets oft so teuer seien, zum anderen, „weil die Leute heute viel mehr Möglichkeiten haben, Geschichten erzählt zu bekommen“. Durch Entertainment und Bilderflut hätten die Leute aber im Laufe der Zeit auch verlernt, dichten, textlastigen Stücken zu folgen. „In elisabethanischen Zeiten sagten die Leute noch: ,Hören wir uns ein Stück an!‘ Diese Fähigkeit haben wir verloren.“

Rollen für Frauen

Sie selbst ging schon als Kind mit ihrer Mutter ins Theater und zu Pantomimegruppen. Später studierte sie die griechischen Klassiker am Londoner King's College. „Ich begann als Schauspielerin, begann dann zu inszenieren und schließlich zu schreiben“, erzählt sie. Heute ist es ihr vor allem ein Anliegen, Stücke mit starker weiblicher Stimme zu schreiben, denn: „Es gibt einfach so viel weniger Rollen für Frauen als für Männer.“

Nona Shepphard, eine exzentrische Frau mit wild aufgesteckten roten Haaren und einem warmen Lächeln, ist auch eine glühende Europäerin. Der Brexit sei für sie ein Extra-Grund gewesen, heuer nach Alpbach zu kommen, wo die europäische Idee so hochgehalten würde. „Bei der Eröffnung sollten die Teilnehmer erzählen, welche Fragen sie mit nach Alpbach gebracht haben“, sagt sie. „Ich saß neben dem Alpbacher Bürgermeister und sagte zu ihm: ,Ich möchte wissen, warum Großbritannien die EU verlassen hat.‘ Er sagte: ,Dasselbe wollte ich Sie fragen!‘ Wir hatten ein nettes Gespräch, und am Ende sagte er: ,Du darfst nicht vergessen, dass Europas Arme immer offen stehen.‘ Das fand ich furchtbar großzügig und liebenswert.“

>>> Zum Alpbach-Ressort

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