Reizüberflutung und Scham: Demenz erleben

Cornelia Bast mit ihrem Filzhelm, der Orientierungslosigkeit und Irritation simuliert.
Cornelia Bast mit ihrem Filzhelm, der Orientierungslosigkeit und Irritation simuliert.(c) Katharina Fröschl-Roßboth
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„Feel Dementia“ heißt ein künstlerisches Projekt von Cornelia Bast, das es gesunden Menschen ermöglicht, sich in die Lage von Demenzkranken zu versetzen und ihre Desorientierung und Unsicherheit besser zu verstehen.

An Demenz erkrankte Menschen werden für gewöhnlich mit Vergesslichkeit assoziiert. Dabei sind Erinnerungslücken nur eines von zahlreichen Symptomen, unter denen die Betroffenen leiden. Darunter vor allem Orientierungslosigkeit und Reizüberflutung, die zu Verunsicherung und Scham führen und oft den vollständigen Rückzug aus dem öffentlichen Leben zur Folge haben – was wiederum ihre Angehörigen belastet und überfordert.

Um die Situation von Demenzkranken nachvollziehbarer und greifbarer zu machen, erfand Cornelia Bast bereits 2011 als Kunstprojekt einen Filzhelm, den sie „Fokung Wirkus“ (in Anspielung an „Fokus“ und „Wirkung“) nennt und der bei gesunden Menschen Orientierungslosigkeit und Irritation simulieren soll.

Durch die verschiedenen Linsen im Helm kann der Träger nicht mehr zwischen oben und unten bzw. links und rechts unterscheiden. Darüber hinaus sind die Linsen getrübt, sodass das Umfeld verschwommen bzw. wie durch Milchglas wahrgenommen wird. Mittlerweile ist aus dem Kunst- ein Forschungsprojekt geworden, mit dem an öffentlichen Plätzen in Wien regelmäßig Passanten die Gelegenheit geboten wird, den Helm aufzusetzen und damit ihre Sinne zu beeinflussen.

Wie sich Betroffene fühlen

„Feel Dementia. Eine künstlerische Intervention“ heißt die Aktion, die heute, Dienstag, zwischen 10.45 und 12 Uhr bei den Gesundheitsgesprächen auch im Congress Centrum stattfindet und in deren Rahmen Interessierte den Helm tragen können, um sich ein paar Minuten lang in die Welt von Demenzkranken zu versetzen. Anschließend werden sie befragt und können schildern, wie sie sich dabei gefühlt und welche Erkenntnisse sie gewonnen haben.

„Das Projekt soll auf eine innovative Art und Weise die individuellen Herausforderungen sichtbar machen, denen sich Menschen mit Demenz täglich stellen müssen – und das in einer Welt, die geprägt ist von Wettbewerb, Geschwindigkeit und Reizüberflutung“, sagt Bast. „Die Menschen sind es gewohnt, sich auf ihre Sinneseindrücke zu verlassen und diese richtig zuordnen zu können. Was aber passiert, wenn man mit einer völlig veränderten Sinneswahrnehmung konfrontiert wird?“

Ihre Projektpartnerin Antonia Eggeling und sie sind überzeugt davon, dass das persönliche Erleben von Verwirrung, Desorientierung und Unsicherheit dabei helfen kann, die Situation von Menschen mit Demenz besser zu verstehen. Aus dieser Erfahrung einer starken Wahrnehmungsveränderung heraus sei es für Angehörige und Außenstehende leichter, über Demenz nachzudenken – und auch darüber zu reden.

„Mit unserem Projekt wollen wir dazu beitragen, das gesellschaftliche Bewusstsein über Demenz zu schärfen“, sagt Bast. „Wir haben zwar nicht die Möglichkeit und das Recht zu behaupten: ,So ist es, dement zu sein.‘ Aber wir können Unsicherheit und Ängste wahrnehmbar machen.“ Ihr Ziel sei es, das Thema Demenz unkonventionell zu thematisieren und neue Ansätze zu bieten, damit Betroffene möglichst lange am öffentlichen Leben teilhaben können.

Geburtshilfe und Hypnose

„Feel Dementia“ ist das jüngste Projekt von Bast, die sich als Künstlerin in ihren Arbeiten immer wieder mit den sozialen Wirkungen von Kunst und Design befasst. Nach Ausbildungen in den Bereichen Biochemie, Geburtshilfe und hypnotische Kommunikation sowie beruflichen Tätigkeiten in einem Forschungsinstitut für Leukämie und als Hebamme an der Wiener Universitätsklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe absolvierte sie das Bachelor Studium „Applied Arts and Design Communication“ und das Masterstudium „Social Design – Arts as Urban Innovation“ an der Universität für Angewandte Kunst Wien.

Zudem nahm sie an künstlerischen Forschungsprojekten über die Situation krebskranker Kinder im St. Anna Kinderspital und über die Situation von Bewohnerinnen der Wiener Frauenhäuser teil.

Ihre Arbeit umfasst performative Interventionen im öffentlichen Raum, multimediale Installationen und multisensorische interaktive Objekte im Schnittfeld von Kunst und Design. Als Mitglied der Redaktion von „Radio dérive – Radio für Stadtforschung“ widmet sie sich darüber hinaus sozialen und politischen Aspekten von Stadt und Stadtentwicklung.

Derzeit 130.000 Erkrankte

In Österreich sind derzeit rund 130.000 Menschen von Demenzerkrankungen betroffen, europaweit sind es zehn Millionen. Bis zum Jahr 2050 werden es wegen der ständig älter werdenden Bevölkerung doppelt so viele sein. Bereits heute ist Demenz der häufigste Grund für Pflegebedürftigkeit. Und obwohl der Pflegeaufwand bei Demenzkranken anfangs nicht sehr hoch ist, leiden Familie und Freunde enorm unter der psychischen Belastung. Zudem lassen sich Angehörige oft erst sehr spät beraten und suchen in einem bereits ziemlich ausgebrannten Zustand Hilfe. Beratungsstellen empfehlen Betroffenen, sofort nach der Diagnose beziehungsweise bei den ersten Anzeichen von Demenz professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

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