Zu Fuß nach China: „Die spinnen“

(c) Katharina Fröschl-Roßboth
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Fast neun Monate lang marschierten der Alpbacher Christoph Obmascher und der Schweizer Simon Niggli. Ans Aufgeben dachten sie nie – auch nicht im Spital in Aserbaidschan.

Ungefähr 1200 bis 1700 Kilometer Fußweg hält eine Schuhsohle aus – das haben Simon Niggli (40) und Christoph Obmascher (47) auf ihrem Marsch nach China sozusagen im Praxistest herausgefunden. Und wenn es so weit ist, sollte man eher die eingegangenen Schuhe neu besohlen lassen, wie der Schweizer Niggli das fünf Mal tat. Denn die in Aserbaidschan erstandenen Schuhe brachten seinen Alpbacher Kollegen Obmascher kurzzeitig ins Krankenhaus. Ans Aufhören hätten sie aber nicht gedacht, erzählen die beiden. Eigentlich die ganzen 7000 Kilometer von der Schweiz ins chinesische Kashgar nicht.

Nicht an dem Tag, an dem sie in der Mongolei bei brütender Hitze 50 Kilometer durch ein Tal marschieren („Da schüttet man einen Liter Wasser nach dem anderen in sich hinein“). Nicht an dem Tag, an dem sich Niggli mit Selbstgesprächen über den vorletzten Pass in Kirgistan quält. Und auch nicht an den ersten Tagen nach dem Start in Nigglis Heimatort Wolfwil mitten im Winter. Die Knie schmerzen, es gibt Blasen an den Füßen. Rücken und Schultern ächzen unter dem 15-Kilo-Rucksack. „Es meldet sich jeder einzelne Körperteil“, meint Obmascher. Dass er auf die Frage, wann sich der Körper denn daran gewöhne, „nie“ antwortet, ist wohl nur halb scherzhaft gemeint.

Anfängliche Beschwerden

Zumindest die anfänglichen Gehbeschwerden sind den beiden nicht ganz neu. Kennengelernt hatten sie sich auf dem Jakobsweg, den sie vor sieben Jahren beide gegangen waren. Und zwar – weil der Jakobsweg ja eigentlich vor der Haustüre beginnt – jeweils von ihrem Heimatort aus. Irgendwo mitten in Frankreich trafen sie sich zum ersten Mal, etappenweise marschierten sie gemeinsam, dann auch wieder nicht. Sie blieben in Kontakt, auch nachdem sie das Ziel, das spanische Santiago de Compostela erreichten. Und als sie sich 2013 in Alpbach wieder trafen, hatten sie beide so eine Idee im Kopf: Warum nicht in die andere Richtung, also ostwärts gehen? Simon Niggli hatte schon längere Zeit Lust, sein „World Vision“-Patenkind Xuan Khang Le in Vietnam zu besuchen. Christoph Obmascher dachte an die Seidenstraße. Zwei Jahre später kündigten der Schweizer Elektrotechniker und der Alpbacher Kellner ihre Jobs, um zu einem Fußmarsch rund um die halbe Welt aufzubrechen. Unter dem Motto „The Walk of our Life“ würden sie von der Schweiz nach Westchina gehen. Von dort dann weiter nach Vietnam fahren, wo auch Obmascher inzwischen ein Patenkind hatte, den elfjährigen Phang A Tua. Und gleichzeitig würden sie Geld für „World Vision“ sammeln.

„Das war der Tenor“

„Als ich das gehört habe, habe ich mir gedacht: Die spinnen“, sagt der niederländische Soziologe Friso D. Heyt, langjähriges Kuratoriumsmitglied, der im Schatten der Terrasse von Journalistin Hanna Molden die heutige Veranstaltung vorbespricht (siehe Faktenkasten). „Ja, das war der Tenor“, bestätigt Simon Niggli. „Wenn du sagst, du gehst zu Fuß nach China, dann glauben die Leute, das ist unmöglich.“ Nicht nur die Freunde und Bekannten zu Hause, sondern auch die Menschen, die die zwei am Weg getroffen haben. „Eines war schon lustig“, sagt Obmascher. „In den Augen vieler war immer das folgende Land viel zu gefährlich.“ Die Ungarn warnten vor Serbien, die Serben vor Bulgarien, die Bulgaren vor der Türkei.
Aber letztlich hätten sie auf ihrer ganzen Reise nie echte Probleme gehabt. Ja, harte Etappen wie die oben genannten. Ja, den Spitalsaufenthalt in Aserbaidschan.

Aber auch darüber wollen sie nicht klagen: Da seien sie von einer aserbaidschanischen Familie beherbergt worden, die sie von vorne bis hinten verwöhnt hatte. Überhaupt seien sie oft die Gäste der Menschen gewesen, die sie am Weg getroffen hätten. Und Gast, das wird in vielen jener Länder, durch das sie marschierten, wörtlich genommen.

Einladung zu Hochzeit

Ein usbekischer Schlüsselmacher sperrte sofort sein Geschäft zu, um sich um die Gäste zu kümmern. Ein anderer quartierte Familienmitglieder aus, um Platz zu schaffen. Der nächste lud die beiden zu einer Hochzeit ein. Ebenfalls in Usbekistan stritten sich in einem Dorf zwei Familien regelrecht darum, wer die beiden Weitwanderer beherbergen dürfe. „Und wenn wir in der Türkei jede Einladung zum Tee angenommen hätten, dann wären wir heute noch dort“, sagt Obmascher.

Und das alles mit Händen und Füßen und mit Brocken von Türkisch oder Russisch. Ein bisschen etwas beherrschte Niggli schon vorher, ein bisschen etwas brachten sie sich beim Marschieren mittels Audiokurs bei. Smalltalk und ein paar Sätze seien dann schon ganz gut gegangen, sagt Obmascher. Nur am Schluss in China habe das nicht mehr so gut funktioniert. „Ich habe zwar immer wieder ein paar Sätze gesagt, aber die Leute haben mich immer nur so fragend angeschaut“, sagt Niggli. „Chinesisch, das kannst vergessen“, sagt sein Kollege.

Winterlicher Start

China erreichten die beiden am 9. Oktober 2015 nach fast neun Monaten Fußmarsch. Über die bergige kirgisisch-chinesische Grenze hatten sie es noch vor dem Wintereinbruch geschafft – daher der winterliche Start im Jänner in der Schweiz („Wir dachten uns, lieber der Arlberg im Winter als der Irkeschtam-Pass“). „Es ist toll, es ist vollbracht, es ist für uns nur noch nicht ganz greifbar“, posteten sie in ihrem Blog. Der erste Akt in China? Nach einem „Grenzschnaps“ und sehr viel Reis in den Ländern davor: eine Nudelsuppe.

Und – über Tibet und Nepal – weiter nach Vietnam, nun nicht mehr zu Fuß. Wo sie überlegten, was mit den rund 27.000 Euro geschehen sollte, die während ihres Marschs gespendet wurden: Rund 10.000 Euro gehen an ein Schulprojekt. Die anderen 17.000 fließen nach Rücksprache mit „World Vision“ in den Bau von gemauerten Öfen im kühleren Norden von Vietnam. Die seien effizienter und sicherer als die offenen Feuerstellen, die dort oft als einzige Wärmequelle dienen. Ihre Patenkinder trafen sie auch. Die seien am Anfang allerdings etwas schüchtern gewesen.

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