Die Europäische Union steht vor großen Hürden, daran zerbrechen wird sie aber nicht, sagt Michael O'Flaherty, Direktor der EU-Grundrechteagentur. Dank der Menschenrechte.
Es gibt ihn nicht, den einen Schlüssel, der die Tür zur gelungenen Integration aufsperrt. Es gibt auch kein Rezept, wie Menschen friedlich mit- und nebeneinander leben lernen, ohne je in Konflikt zu geraten. Doch es gibt Werte, die uns alle verbinden. Die Brücken schlagen über sinnbildliche und tatsächliche Abgründe zwischen Kulturen, Gesellschaften und Staaten. Zu ihnen zählen der Menschenrechtsschutz und die Rechtsstaatlichkeit sowie die Achtung voreinander, die Solidarität und das Streben nach Frieden. „Diese Werte sind es, die Europa ausmachen“, sagt Michael O'Flaherty, seit Dezember 2015 Direktor der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA). Und ohne die Europa nicht existieren würde.
„Die EU, Europa steht vor großen Herausforderungen“, verweist der irische Jurist und Theologe auf die Flüchtlingskrise, die den Kontinent in Atem hält, auf Terrorangriffe „verrückter“ Organisationen wie dem „Islamischen Staat“. Er verweist auf Gewalttaten in Belgien und das Brexit-Votum. „Das alles sind Themen, die uns bestürzt machen“, sagt er. „Aber es sind keine Krisen, an denen Europa zerbrechen wird.“
Auch der Burkini ist das nicht, respektive die Diskussion darüber in Frankreich. „Bewaffnete Männer weisen Frauen an, einen Großteil ihrer Kleider abzulegen und begründen das mit einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit“, empört sich O'Flaherty. „Das ist grotesk.“ Und eine Missachtung der Menschenrechte. „Es steht jeder Frau zu, zu tragen, wonach ihr gerade ist“, sagt er. „Gott sei Dank hat das französische Verwaltungsgericht das erkannt.“
Die Träger unserer Gesellschaft
Dass Grundrechte in Gefahr seien, sei nicht neu. „Neu ist aber, dass wir eine Kurzsichtigkeit pflegen und uns einreden, dass die Zeit, in der wir jetzt leben, die schlimmste je gewesene darstellt“, kritisiert der Menschenrechtsexperte. Tatsächlich aber hätten sich noch nie so viele Staaten gefunden, die auf die Achtung eben dieser Rechte pochen würden. „Unser gemeinsames Wertefundament war noch nie so stark wie heute“, meint O'Flaherty. Das zeige nicht zuletzt der Umgang mit Flüchtlingen: „Während manche Politiker versuchen, Ängste zu schüren, gibt es eine enorme Bereitschaft in der Bevölkerung, Migranten zu helfen und auf sie zuzugehen.“ Das zeige der monatlich von der FRA herausgegebene Bericht über die Menschenrechtslage von Schutzsuchenden in den relevanten EU-Staaten, darunter auch Österreich.
Dass sich die Mitgliedsstaaten trotzdem nach wie vor nicht auf eine gemeinsame Asylpolitik einigen konnten, die auch eingehalten wird, sei nicht seine größte Sorge: „Europa ist ein Gemisch aus nationalen Interessen, und das ist gut so“, sagt O'Flaherty. „Das bedeutet aber auch, dass es manchmal zu Enttäuschungen wie einem Mangel an Solidarität kommt“, meint er. „Derzeit schultern einzelne Staaten mehr Last als andere – aber nur, wenn wir die Last teilen, lässt sie sich wirklich tragen.“
In diesem Punkt seien die europäischen Staats- und Regierungschefs gefordert. „Es ist möglich, die Menschen- und Grundrechte zu wahren und gleichzeitig für die eigene Sicherheit und die Fremder zu sorgen.“ Immerhin habe Europa nicht umsonst den Friedensnobelpreis gewonnen.