Aleida Assmann: Geschichte in die Gegenwart holen

(c) Katharina Fröschl-Roßboth
  • Drucken

Das geplante Haus der Geschichte ist für Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann „ein Akt der Selbstaufklärung“. Österreich könne damit seine „Geschichtsabstinenz“ ablegen.

Noch ist es schwer zu glauben. Dass das seit Jahren geplante Haus der Geschichte (HGÖ) wirklich im Jahr 2019 – und somit ein Jahr später als geplant – eröffnen wird. Auf einer Fläche von 3000m2 soll das Museum in der Neuen Burg entstehen und organisatorisch in die Nationalbibliothek eingegliedert werden. 35 bis 50 Millionen Euro wird das kosten, die Regierung hat dem Projekt im Frühjahr zugestimmt. Doch seither sind die Vorbereitungen für das Geschichtsmuseum ein wenig ins Stocken geraten.

Das liegt zu allererst am Geld. Finanzminister Hans Jörg Schelling muss der Finanzierung erst zustimmen. Aber auch die Ausschreibung der Leitung des Museums wurde noch einmal in den Herbst verschoben. Immerhin, der sechsköpfige, wissenschaftliche Beirat ist bestellt. Er wird gemeinsam mit der Chefin der Nationalbibliothek, Johanna Rachinger, einen Dreiervorschlag für die Museumsleitung erstellen. In dem Beirat vertreten ist auch die deutsche Kulturwissenschaftlerin und Professorin an der Uni Konstanz, Aleida Assmann. Am Donnerstagabend diskutierte sie mit ihrem Beiratskollegen und einem der wesentlichen Motivatoren des HGÖ, Oliver Rathkolb, und dem früheren Kulturminister Josef Ostermayer im Erwin-Schrödinger-Saal über Idee und Nutzen des neuen Museums.

Immer noch ein „Kaiserwetter“

Für Aleida Assmann ist die Umsetzung des Geschichtsmuseums „ein Akt der Selbstaufklärung“. Ein dringend notwendiger – so viel sanfte Kritik schwingt da schon mit. Museen sind Orte, an denen man die Vergangenheit in die Gegenwart holen könne, sagt sie. Wien sei zwar reich an (Kunst-)Museen, aber einen Ort, an dem man Geschichte fühlen könne, gebe es noch nicht. Das Heeresgeschichtliche Museum werbe zwar mit dem treffenden Spruch „Kriege gehören ins Museum“, sei jedoch mehr ein Technik- als ein Geschichtsmuseum. „Österreich hat in den vergangenen Jahrzehnten eine gewisse Geschichtsabstinenz gezeigt“, sagt Assmann. Da schwang die Haltung mit, man brauche sich nicht um die Geschichte kümmern, schließlich sei man politisch neutral.

Obwohl 1918 die Monarchie abgeschafft wurde, sei das Imperium immer noch präsent, sagt die Kulturwissenschaftlerin, die gerade erst einige Monate in Wien verbracht hat. Das zeige sich beispielsweise bei Begriffen wie „Kaiserwetter“ oder Backwaren wie der „Kaisersemmel“. „Das wäre in Deutschland völlig undenkbar. Der Kaiser ist dort genauso lange weg, aber er hat keine Spuren hinterlassen.“ Mit dem Haus der Geschichte könne Österreich die Komfortzone der Behaglichkeit verlassen. Seit 1919 wird an der Idee für ein solches Museum gearbeitet. Es gab unzählige Anläufe und Ideengeber, von Karl Renner bis Caspar Einem. Ex-Minister Josef Ostermayer blieb schließlich hartnäckig und stellte 2015 mit Unterstützung von Oliver Rathkolb die Weichen für das Projekt. Dabei gab und gibt es Kritik genug. Am Standort, der Verkleinerung des Weltmuseums (das ehemalige Völkerkundemuseum), die Frage, was mit der dort beheimateten Sammlung historischer Musikinstrumente passiert und an der Schwerpunktsetzung des Museums (1918 bis zur Gegenwart – das ist manchen zu wenig). Für Assmann sind die meisten vorgebrachten Argumente Scheinprobleme.

Dass ein Haus der Geschichte wichtig und richtig sei, sei unbestritten. Dabei erinnert sie sich an eine ganz ähnliche Debatte in ihrer Heimat Deutschland vor mehr als zwanzig Jahren. Damals wollte Kanzler Helmut Khol, selbst studierter Historiker, der Nation ein Haus der Geschichte geben – und Zeithistoriker hatten die Befürchtung, er verordne ein Geschichtsbild. Das geschah nicht. Das Haus eröffnete 1994 an der Museumsmeile in Bonn. „Und es ist ein Erfolg geworden. Geschichte verkauft sich einfach gut, die Menschen gehen da hinein. Die Sorgen der Historiker haben sich aufgelöst.“

Das Land der Museen: Polen

Innerhalb Europas setzt sich übrigens Polen am intensivsten mit seiner Geschichte auseinander. „Das Land hat ganz viele Geschichtsmuseen. Daran sieht man, Polen hat offenbar eine wichtige Botschaft an Europa und die Welt zu vermitteln und möchte sich präsentieren. Natürlich als eine Leidensnation.“ Aber auch in anderen, ehemals sowjetischen Ländern wie Estland, Lettland oder Litauen gibt es Geschichtshäuser oder Museen des Genozids. „Dort werden fast immer Opfergeschichten erzählt.“

Mit dem neuen Geschichtshaus in Wien soll vor allem jüngeren Menschen die Geschichte ihres Landes näher gebracht werden. Als Erinnerungsforscherin ist Aleida Assmann bewusst, wie wichtig es ist, dass historische Ereignisse aufgearbeitet werden und Zeitzeugen erzählen. Mit dem Haus der Geschichte wolle man dem Satz von Ingeborg Bachmann entgegen wirken, erklärte Oliver Rathkolb am Donnerstag im Erwin-Schrödinger-Saal: „Die Geschichte lehrt andauernd, sie findet nur keine Schüler.“

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.