Hochschulgespräche

„Die Stimme der Vernunft ist leise“

Symbolbild: Blick in einen Uni-Hörsaal
Symbolbild: Blick in einen Uni-Hörsaal(c) Clemens Fabry (Presse)
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Der Klagenfurter Kommunikationsforscher Matthias Karmasin über Möglichkeiten, wie die Universitäten im Kampf gegen das „postfaktische Zeitalter“ die Wissenschaft hoch halten können.

Das Gerede über über das angeblich angebrochene „postfaktische Zeitalter“ hält Matthias Karmasin zwar für stark übertrieben. „Auch die Leute, die behaupten, der Klimawandel sei eine Erfindung, verlassen sich beim Autofahren darauf, dass die Bremsen nach den Gesetzen der Naturwissenschaften konstruiert sind. Und ich nehme auch an, dass sogar Donald Trump, wenn er sich operieren lässt, die Frage, ob der Blinddarm links oder rechts ist, nicht über Facebook ausdiskutieren lässt“, ist der Kommunikationswissenschaftler an der Universität Klagenfurt überzeugt.

Doch etwas habe sich in jüngster Zeit schon verändert: „Wir müssen feststellen, dass die Leitdifferenzen der Moderne unter Druck geraten.“ Damit meint er unter anderem den Unterschied zwischen Fakten und Fiktionen, den Unterschied zwischen Expertinnen bzw. Experten und Laien oder die Differenz zwischen Privatheit und Öffentlichkeit. „Der Kern der wissenschaftlichen Weltauffassung ist es, Grenzen zu ziehen und Differenzen deutlich zu machen.“

Diesen Kern sieht er bedroht: „In der Wissenschaft operiert man mit den besten zur Verfügung stehenden Wahrheiten und nicht mit Überzeugung. Es geht um die Trennung von Meinung und Person statt Personalisierung. Es geht um ,audiatur et altera pars‘ statt um Diskursverweigerung. Und es geht um öffentlichen Vernunftgebrauch statt um Empörungsbewirtschaftung“, zählt Karmasin auf. Damit durchzukommen, ist aber heute nicht leicht: „Sigmund Freud hat so schön gesagt: Die Stimme der Vernunft ist leise.“ Sie sei im Social-Media-Geschrei nicht gerade besser hörbar geworden.

„Wenn wir das System Wissenschaft aufgeben, dann geben wir auch ein zentrales Element unserer Gesellschaft auf. Dann haben wir eine andere Gesellschaft“, so der Forscher. „Man darf jetzt nicht fatalistisch sagen: Das ist halt so.“ Von selber werde sich die Situation nicht verbessern. „Im Gegenteil: Man muss etwas tun!“

Den Universitäten kommt in Karmasins Augen eine wichtige Rolle beim Kampf gegen diese Entwicklung zu. „Die Universitäten müssen auf die geänderte gesellschaftliche Lage auf vielfältige Weise reagieren. Und ich meine, das können sie auch.“ Universitäten hätten sich immer durch eine gewisse Autonomie ausgezeichnet, die es ihnen möglich gemacht hat, kritisch auf bestimmte Entwicklungen zu reflektieren.

Ruf nach einem „studium generale“

In der Lehre schlägt Karmasin vor, die heute sehr spezialisierten Bachelor-Curricula zu öffnen und etwas stärker in Richtung eines „studium generale“ zu entwickeln. So wie es etwa in Harvard geschah. „Die Harvard University, der man sicher nicht vorwerfen kann, dass sie zu wenig spezialisiert wäre, hat in ihre Bachelor-Curricula acht essenzielle Bereiche integriert, die allen Leuten beigebracht werden – zum Beispiel ,empirical reasoning‘, ,ethical reasoning‘ oder ,science of the world‘.“

Für extrem wichtig hält Karmasin es auch, Medienkompetenz zu vermitteln. „Ich stelle bei den Studierenden fest, dass es eine absolute Wasserscheide gibt, wie die Menschen sich in dem kommunikativen Umfeld behaupten oder nicht: Wer weiß, wie Medien und wie Kommunikation funktionieren, wie ein Algorithmus bei Google arbeitet und dass Facebook davon lebt, Werbung zu verkaufen, geht souverän und gelassen damit um. Wenn ich das hingegen nicht weiß, habe ich ein Problem.“

In der Lehre könnte man weiters darüber nachdenken, ob nicht bei Berufungsverfahren auch soziale und kommunikative Kompetenzen in den Blick genommen werden – und nicht nur die fachliche Exzellenz.
Und schließlich spiele auch die sogenannte „third mission“ der Universitäten ein wichtige Rolle, etwa Themen wie „public participation“ oder „responsible science“, die auch neue Herausforderungen für die Steuerung, die Governance und die Budgetierung von Universitäten bringen.

Aber auch in der Forschung sieht Karmasin Handlungsbedarf: „Die Wissenschaft muss sich selbstkritisch mit den eigenen Qualitätssicherungssystemen beschäftigen.“ So müsse man sich etwa die Frage stellen, ob wegen des Drucks, eine geforderte Zahl von Publikationen zu erreichen, oder wegen der Auflage, dass immer mehr Drittmittel erwirtschaftet werden sollen, nicht der Verdacht entstehen könnte, dass vielleicht Ergebnisse frisiert werden. Die Grenze zwischen rein interessensgetriebener Forschung und Auftragsforschung sei „höchstwahrscheinlich da oder dort überzogen“ worden – wodurch sich die Frage nach der wissenschaftlichen Autonomie stelle.

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