Dorfleben

Wenn der Glücksbringer ins Bergdorf kommt

Martin Stiefmüller in seinem natürlichen Lebensraum: auf dem Dach eines Alpbacher Hauses.
Martin Stiefmüller in seinem natürlichen Lebensraum: auf dem Dach eines Alpbacher Hauses. Katharina Roßboth
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Martin Stiefmüller hat das „Rauchfangkehrer-Gen“ vererbt bekommen. Für seine Kunden plagt er sich nicht nur durch meterhohen Schnee auf den Alpbacher Dächern, sondern füllt ihnen auf Wunsch auch Lottoscheine aus.

In Alpbach wurde bereits eine Fernsehserie gedreht, es gilt als „Schönstes Blumendorf Europas“ und ist Heimat des gleichnamigen Forums. Eines aber hat Alpbach nicht: einen Rauchfangkehrer. „Es gab nie einen eigenen Kaminkehrer, der Bereich wäre zu klein“, sagt Adolf Moser, Amtsleiter der Gemeinde. Die „Glücksbringer“, die man hie und da auf den Straßen erblickt, sind somit im doppelten Sinne gern gesehen.
„Seit 25 Jahren bin ich als Rauchfangkehrermeister zuständig für die Gemeinden Alpbach, Kundl, Radfeld, Rattenberg, Brixlegg und Reith“, erzählt Martin Stiefmüller. Der 50-Jährige, seine sechs Gesellen und ein Lehrling sind damit für gut 5000 Haushalte verantwortlich. Und zwar dreifach: „Zu unseren Aufgaben gehört schon lange nicht mehr nur das Ausputzen des Kamins, wir sorgen vor allem für Brand- und Naturschutz sowie Energieeinsparung.“

Holzkamin nach Mondphase

Ersteres umfasst das klassische Reinigen der Rauchfänge. „Bei pechigen Kaminen kann es sehr gefährlich werden.“ Gemeint sind Kohlenwasserstoffverbindungen, die beim Heizen durch einen Funken getroffen werden. „Dieser Ruß entsteht durch die unvollständige Verbrennung von Holz“, sagt Stiefmüller. „Wird mit nassen oder feuchten Scheiten geheizt oder werden Fette verbrannt, kann es binnen Sekunden zum Kaminbrand kommen.“ Um das „Pechige“ loszuwerden, bedarf es Spezialreinigungen. Um dem vorzubeugen, finden alle drei Monate bis einmal jährlich Überprüfungen statt. „Früher hatten die Alpbacher Holzkamine“, erzählt Stiefmüller. „Das Holz wurde zu bestimmten Mondphasen gefällt und fing fortan kein Feuer.“ Heute seien derartige Konstrukte verboten, nur noch in wenigen Bauernhäusern stünde ein solcher Kamin – rein aus optischen Gründen. Stiefmüller selbst hat in seinem Haus drei Kamine – „deren Pflege ist Chefsache“. Gleiches gilt für die Kundenberatung: „Will jemand ein Haus mit Kamin bauen, kommt er zu mir.“ Nachträgliche Einbauarbeiten seien oft sehr schwierig und mit hohen Kosten verbunden.

Dass er Rauchfangkehrer werden wolle, war für den begeisterten Radfahrer schon vor dem Eintritt in die Volksschule klar. „Ich habe das in den Genen.“ Schon sein Großvater sei dieser Profession nachgegangen. „Als Bub durfte ich meinen Vater manchmal zur Kundschaft begleiten, das hat mich fasziniert.“ Keine sieben Jahre alt, stand für ihn fest: „Ich werde Kaminkehrermeister.“ Die dazugehörige Prüfung legte er mit 24 Jahren ab – seither darf er den Zylinder tragen, das Kennzeichen der „Schwarzen“, wie der Tiroler sich und seine Kollegen nennt. „Dabei sind wir heute gar nicht mehr so arg rußverschmiert, wie das früher einmal war.“ Das liegt zum einen an der Schutzmaske, die bei der Arbeit getragen wird – früher war es ein weißes Halstuch, das nach dem ersten Kaminputz kaum wiederzuerkennen war. Zum anderen an den Schornsteinen selbst. „Heute haben wir für jede Kamingröße eigene Bürsten, Sauger und Messgeräte. Wir steigen auf das Dach, kehren fünf- bis sechsmal von oben hinunter, gehen dann ins Hausinnere und saugen den Ruß aus dem Kaminfuß heraus“. Früher hieß es bei besonders großen Kaminen „hinaufschluffen“. Konkret: Der Rauchfangkehrer robbte sich mit Schulter- und Kniekraft den Schlot hinauf und kratzte den Ruß ab. „Das war eine Knochenarbeit, ich habe es versucht.“

Auch die Arbeitszeiten waren andere: „Mein Vater fuhr montags um 5 Uhr früh mit den Gesellen im Postbus nach Alpbach, ging zu Fuß zu den Bauern und kam Samstagmittag mit dem Postbus wieder zurück.“ Bis dahin wurde in den Stuben oder Heustöcken der Kunden übernachtet. Auch Stiefmüller musste beruflich schon außer Haus nächtigen: „Vor einigen Jahren fiel in Alpbach extrem viel Schnee, Bäume knickten auf die Straßen, wir waren eingeschlossen.“

Alpbach im Winter sei überhaupt so eine Sache: „Es ist nicht selten, dass wir uns den Weg über das Dach zum Rauchfang durch den meterhohen Schnee frei schaufeln müssen.“ Der Glaube an das Glück ist hier ebenfalls stark: „Die Leute glauben daran, dass es Glück bringt, uns die Hand zu geben, auf die Schulter zu klopfen oder an den goldenen Knöpfen der Galauniform zu drehen.“ Mancher hat noch speziellere Bitten am Herzen: „Ich habe Kunden, denen fülle ich immer wieder den Lottoschein aus“ – ob der erhoffte Goldregen eingetreten ist, verrät er nicht. Das ist ein „Rauchfangkehrergeheimnis“.

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