Was Österreich von Deutschland lernen könnte

Symbolbild: Arztpraxis
Symbolbild: Arztpraxis(c) Clemens Fabry (Presse)
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Disease Management. Joachim Henkel von der AOK Hessen rät zu engerer Kooperation von Patienten, Hausärzten und Spezialisten.

„Wir haben in der Medizin die Situation, dass alles recht einfach wäre, gäbe es den Patienten nicht.“ So lautet der Befund von Joachim Henkel. Das Problem: Jeder Einzelne ist auch Patient und trägt Eigenverantwortung, sagt der Hauptabteilungsleiter für Integratives Leistungsmanagement der AOK Hessen, eine der größten deutschen Krankenversicherungen. „Die Leute glauben, so lange sie keine Beschwerden haben, sind sie gesund, das ist leider nicht immer der Fall.“

Ein Beispiel: Diabetes Mellitus. Weltweit wird die Zahl der Betroffenen auf rund 415 Millionen geschätzt. Laut österreichischem Diabetesbericht leiden zwischen 515.000 und 809.000 Personen an der Stoffwechselerkrankung, zwei bis vier Prozent davon, ohne es zu wissen. „Anfangs tut Diabetes nicht weh, das macht die Entdeckung und Behandlung so schwierig“, sagt Henkel. „Die Betroffenen glauben, sie nehmen eine halbe Tablette und essen die Torte weiter – es zwickt ja nirgends.“ Doch die Folgen können dramatisch sein: Eine schlechte Blutzuckereinstellung kann zu Nierenversagen, Erblinden, Herzinfarkt oder Schlaganfall führen. „Viele nehmen ihre Erkrankung erst ernst, wenn sie wegen Atemnot die Treppen nicht hoch kommen“, bedauert Henkel.

Ganzheitlich versorgt

Um derartiger Lethargie vorzubeugen, plädiert er fürflächendeckende Disease Management Programme (DMP). Ein Punkt, „in dem Österreich Nachholbedarf hat“. In Deutschland sind DMP für Diabetes Mellitus Typ1 und Typ2, Brustkrebs, Koronare Herzkrankheit, Asthma und COPD („Raucherlunge“, Anm.) etabliert. Dadurch sollen Patienten stärker in die Therapie eingebunden werden.

Während die Versorgungssysteme in Deutschland per Gesetz verordnet sind, gibt es hierzulande erst regionale Projekte. In diesem Sinn: „Hier könnte Österreich durchaus ein bisschen Deutschland werden wollen.“ Henkels Argument: Teure Diabetes-Folgeerkrankungen gingen im Nachbarland seit Einführung der DMP2002 nachweislich zurück.

Was aber steckt hinter der Buchstabenreihe DMP? Gemeint sind regelmäßige Untersuchungen anhand standardisierter Dokumentationsbögen, sowie eine enge Kooperation zwischen Hausarzt und Spezialisten.

Den Optimalzustand hätten die deutschen DMP noch nicht erreicht. Denn sie sind großteils analog. An App-Hilfen arbeitet die AOK Hessen gerade mit Joanneum Research. Die Vision: „Insulinpflichtige Patienten geben ein, was sie gegessen und wie viel sie sich bewegt haben, ihr Blutzuckerwert wird via Bluetooth übertragen. Die App berechnet daraus die nötige Insulinmenge“, sagt Henkel. Die Daten werden automatisch in die Datenbank des Diabetologen übermittelt. „In einer weiteren Ausbaustufe wäre es möglich, dass der Arzt eine Push-Nachricht auf sein Handy bekommt, wenn der Patient in eine Hypoglykämie rutscht.“

Debatte um Datenschutz

Eine „Bombardierung“ der Ärzte mit Nachrichten befürchtet Henkel nicht. Datenschutz-Bedenken hegt er ebenfalls keine: „Meiner Ansicht nach ist die Datenschutzdiskussion ein Stück weit vorgeschoben, weil die Ärzte befürchten, durch die Technologie in ihrer Therapiefreiheit eingeschränkt zu werden.“

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