Großbritanniens Premierministerin kündigt den Abschied aus dem Binnenmarkt an. London will eine Einigung mit der EU, aber „besser keinen Deal als einen schlechten“.
London. Verbindlich im Ton, hart in der Aussage. In ihrer lang erwarteten Grundsatzrede zum Brexit hat die britische Premierministerin, Theresa May, gestern, Dienstag, in London keinen Zweifel daran gelassen, dass die Würfel gefallen sind: „Was ich vorschlage, kann keine weitere Mitgliedschaft im EU-Binnenmarkt bedeuten.“ Die Briten hätten sich in der Volksabstimmung am 23. Juni „mit weit offenen Augen“ gegen den bisherigen Kurs der vier Grundfreiheiten ausgesprochen. Daher werde ihr Land nicht mehr dem Europäischen Gerichtshof unterstehen und aus dem Binnenmarkt austreten.
May erklärte: „Im Binnenmarkt zu bleiben würde bedeuten, dass wir uns weiterhin den Gesetzen und Regulierungen der EU unterwerfen müssen, ohne in der Zukunft ein Mitspracherecht zu haben.“ Sie habe in ihrer Zeit als Innenministerin die Erfahrung gemacht, dass „es keine volle Kontrolle über die Grenzen innerhalb des EU-Binnenmarktes“ gebe, und Großbritannien habe mit dem Brexit-Votum daraus die Konsequenz zu ziehen.
Das bedeute aber keine Abkehr von Europa: „Wir verlassen die Europäische Union, nicht Europa“, betonte May. Sie erklärte ausdrücklich, dass ihr Land „den Erfolg Europas“ wolle und den bisherigen Partnern durch enge Kooperation etwa im Sicherheitsbereich verbunden bleiben wolle. „Wir wollen nicht die Uhr zurückdrehen zu einer Zeit, als Europa weniger friedvoll war, weniger sicher und weniger frei. Was wir wollen, ist, unsere parlamentarische Demokratie und unsere nationale Selbstbestimmung wiederherstellen und noch globaler und internationalistischer werden.“
Dieses „globale Großbritannien“, das May in ihrer Rede wiederholt beschwor, werde frei sein, mit der ganzen Welt Handel nach seinen eigenen Vorstellungen zu treiben. Die Premierministerin erklärte, London strebe mit der EU ein zollfreies Handelsabkommen an, legte sich aber nicht auf Einzelheiten fest. Stattdessen warnte sie: Die Verlockung, Großbritannien für den Austritt aus der EU „bestrafen“ zu wollen, wäre „ein Eigentor“ der Union.
In den Verhandlungen über den EU-Austritt, die Ende März eingeleitet werden sollen, werde man sich um „größtmöglichen Zugang“ zum Binnenmarkt bemühen. May schloss auch „weitere Beiträge“ zum EU-Haushalt nicht aus. Für das Inkrafttreten der Ausstiegsbestimmungen kann sich London Übergangsphasen vorstellen, allerdings: „Wir wollen keinen unendlichen Prozess“, sondern klare Verhältnisse so rasch wie möglich.
London gehe jedenfalls entschlossen in die Brexit-Verhandlungen und werde sich keinem Druck beugen: „Es ist besser für Großbritannien, kein Abkommen zu haben als ein schlechtes“, drohte May unverhohlen. Sollte dieser Fall eintreten, werde man die EU-Verhandlungen ohne Einigung beenden. Sie wiederholte auch die von Schatzkanzler Philip Hammond vorgebrachte Position, dass man sich dann „gezwungen sehen könnte, über ein anderes Wirtschaftsmodell nachzudenken“. Mit niedrigen Steuern könnte versucht werden, Investitionen anzulocken.
Schranken für Zuwanderung
Kein Entgegenkommen dürfen die EU-Verhandler von den Briten auch in der Frage der Zuwanderung erwarten. May machte klar, dass ihr Land die „volle Kontrolle“ über die Grenzen anstrebe, gleichzeitig aber „für die Besten und Fleißigsten offen bleiben“ wolle. Über die künftige Gestaltung der Einwanderungspolitik wird in der Regierung dem Vernehmen nach derzeit heftig gerungen. Zur Debatte stehen entweder die Einführung eines Zeitschemas oder eines Punktesystems nach Qualifikation. Die Premierministerin machte den mehr als drei Millionen EU-Bürgern im Land jedenfalls gestern kein Zugeständnis. Ein Regelung werde es erst geben, wenn es auch eine Regelung für heute in der EU lebende Briten gebe.
Ein großes Zugeständnis machte May hingegen ihren politischen Gegnern. Sie sicherte zu, dass beide Häuser des Parlaments über das Abkommen mit der EU werden abstimmen dürfen.
AUF EINEN BLICK
May-Rede. Die britische Premierministerin will nicht nur die EU verlassen, sondern auch den Binnenmarkt. Sie strebt keine Anbindung wie die Schweiz oder Norwegen an, sondern will, dass Großbritannien künftig selbst über Marktregeln bestimmt und sich über Handelsverträge variable Wirtschaftsverbindungen schafft. Mit der EU strebt sie ein zollfreies Handelsabkommen an.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2017)