Madrid an Katalonien: Seid ihr jetzt unabhängig oder nicht?

APA/AFP/JORGE GUERRERO
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Unabhängigkeit sei wie Schwangerschaft, erklärte der spanische Botschafter in Frankreich. Die spanische Regierung fordert Klarstellung von Katalonien und droht mit dem Entzug der Autonomierechte.

Spaniens Zentralregierung geht im Streit um die Unabhängigkeit Kataloniens einen Schritt weiter: Madrid fordert die Regionalregierung in Barcelona auf, formal klarzustellen, ob sie die Unabhängigkeit der Region erklärt hat oder nicht. Die Antwort auf die Frage sei entscheidend für das weitere Vorgehen, sagte Rajoy. Dies schließe explizit die Anwendung des Artikels 155 der spanischen Verfassung ein.

Artikel 155 ermöglicht den Entzug der Autonomierechte der nordspanischen Region durch die Zentralregierung. Dadurch könnte die Regionalregierung von Carles Puigdemont entmachtet werden.

"Wenn Puigdemont das Gesetz respektiert, werden wir eine Ära der Unsicherheit beenden", sagte Rajoy. "Das ist das, was wir alle hoffen, um die schwierigen Zeiten in Katalonien zu beenden." Nach der spanischen Verfassung ist eine Abspaltung einer Region nicht möglich. Artikel 155 sieht vor, dass die Zentralregierung eine Regionalregierung absetzen kann, wenn diese gegen die Verfassung verstößt.

Das spanische Kabinett will deshalb eine offizielle Anfrage an die Regionalregierung richten - ob sie die Unabhängigkeit der Region erklärt hat oder nicht. Die Klärung dieser Frage sei nötig, um über das weitere Vorgehen gegenüber der Regionalregierung zu entscheiden.

Der katalanische Ministerpräsident Carles Puigdemont hatte am Dienstagabend zwar eine Unabhängigkeitserklärung unterzeichnet, diese aber sofort für ausgesetzt erklärt. Dadurch will er nach eigenen Worten einen "Dialog" mit der Zentralregierung anstoßen. Die Unterzeichnung sei nur ein "symbolischer Akt", ließ der Regierungssprecher Jordi Turull am Mittwochvormittag wissen. Eine Unabhängigkeitserklärung müsse durch das Regionalparlament Kataloniens erfolgen, was aber nicht der Fall gewesen sei.

Wenn Puigdemont sich weigern sollte, zur Legalität zurückzukehren, würde Rajoy den Senat einschalten, in dem seine konservative Volkspartei PP über eine absolute Mehrheit verfügt und die den Artikel somit aller Voraussicht nach billigen würde. Welche Maßnahmen durch den Artikel 155 konkret ergriffen werden können, ist nicht festgelegt. Theoretisch wäre auch ein militärisches Eingreifen möglich, aber Beobachter halten dies bisher für unwahrscheinlich.

"Unabhängigkeit ist wie eine Schwangerschaft"

Der Schritt Puigdemonts hatten am Mittwoch bei spanischen Politikern für Empörung gesorgt: Der spanische Außenminister Alfonso Dastis fand scharfe Worte und bezeichnete das Vorgehen der katalanischen Führung als "Täuschungsmanöver". Dastis kritisierte am Mittwoch im französischen Radiosender Europe 1 "die Winkelzüge, die sie machen, um eine Sache und ihr Gegenteil zu sagen". Zugleich warnte der Chefdiplomat vor "wirtschaftlichen und sozialen Auseinandersetzungen" in Katalonien. Auch der Chef der Sozialisten in Katalonien, Miquel Iceta, entrüstete sich: "Man kann keine Erklärung aussetzen, die man gar nicht abgegeben hat".

Der spanische Botschafter in Frankreich, Fernando Carderera, warf Puigdemont sogar einen "Staatsstreich" vor. "Die Unabhängigkeit ist wie eine Schwangerschaft: Entweder Sie sind schwanger, oder Sie sind es nicht", sagte er dem Radiosender RTL.

Die katalanische Regionalregierung beruft sich bei ihrem Abspaltungsvorhaben auf die Ergebnisse des umstrittenen Referendums vom 1. Oktober, bei dem sich rund 90 Prozent in Katalonien für eine Trennung ausgesprochen hatten. Die Abstimmung war allerdings vom Verfassungsgericht untersagt worden.

EU-Kommission "behält Spanien im Auge"

Die Europäische Union rief am Mittwoch erneut dazu auf, die Spaltung in Spanien zu überwinden. Der Vizepräsident der EU-Kommission, Valdis Dombrovskis, sagte, die Europäische Kommission "behalte Spanien im Auge". Wesentlich sei, dass die spanische Verfassung "voll und ganz eingehalten" werden müsse.

Die SPÖ-Europaabgeordnete Evelyn Regner mahnte indes eine "Abrüstung der Worte auf beiden Seiten" ein, um die "Eskalationsspirale" zu stoppen. Es sei die "Aufgabe der EU einzugreifen, wenn es Spaltungstendenzen innerhalb der Union gibt. Ich erwarte mir, dass am kommenden Europäischen Rat der Ratspräsident (Donald) Tusk die Konfliktparteien an einem Tisch zusammenbringt und als Mediator für eine friedliche Lösung hinarbeitet", so Regner in einem Statement für die Austria Presse Agentur.

Nach Einschätzung des deutschen EU-Parlamentariers David McAllister düfte die EU auch vermitteln - aber nur auf ausdrücklichen Wunsch beider Seiten, und bisher hat Madrid dies abgelehnt.

Zentrale Passagen der Unabhängigkeitserklärung

"Wir, demokratische Vertreter des Volks von Katalonien, in freier Ausübung unseres Rechts auf Selbstbestimmung und in Übereinstimmung mit dem von den Bürgern Kataloniens erteilten Mandat

GRÜNDEN die katalanische Republik als unabhängigen und souveränen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat

BESCHLIESSEN das Inkrafttreten des Gesetzes des rechtlichen Übergangs zur Gründung der Republik

INITIIEREN den verfassunggebenden demokratischen Prozess, gestützt auf die Bürger, horizontal, partizipativ und bindend

ERKLÄREN den Willen zur Eröffnung von Verhandlungen mit dem spanischen Staat ohne Vorbedingungen, um zu einer für beide Seiten zuträglichen Zusammenarbeit zu kommen. Die Verhandlungen werden notwendigerweise auf gleicher Augenhöhe stattfinden müssen.

BRINGEN ZUR KENNTNIS der internationalen Gemeinschaft und der Behörden der Europäischen Union die Gründung der katalanische Republik und das Angebot zu Verhandlungen mit dem spanischen Staat.

(...)

BITTEN die Regierung der Generalitat, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, damit die Wirksamkeit dieser Unabhängigkeitserklärung und die Bestimmungen des Gesetzes des rechtlichen Übergangs zur Gründung der Republik ermöglicht werden können. (...)"

(APA/AFP/dpa)

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