Immer mehr Menschen weltweit werden durch fehlerhafte Implantate getötet

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Künstliche Hüft- oder Kniegelnke, Brustimplantate und Insulinpumpen: Das Geschäft mit Medizinprodukten ist gigantisch. Doch die Hersteller stellten Profit vor ihre Patienten, schreibt ein Internationales Recherchenetzwerk.

In Deutschland und anderen Teilen der Welt werden laut einer internationalen Recherche immer mehr Menschen durch Implantate verletzt oder getötet. In Deutschland seien allein im vergangenen Jahr 14.034 Mal Verletzungen, Todesfälle und andere Probleme im Zusammenhang mit Medizinprodukten wie künstlichen Hüft- oder Kniegelenken, Brustimplantaten oder Insulinpumpen gemeldet worden.

Denn im Gegensatz zu Medikamenten müssten die Hersteller keine aufwendigen klinischen Studien durchführen, mit denen die Wirksamkeit nachgewiesen wird. Auch die Überwachung der Produkte, wenn sie eingesetzt sind, habe Lücken. Zudem seien öffentliche Daten ausgesprochen spärlich.

Das berichteten am Sonntag die Sender NDR und WDR sowie die "Süddeutsche Zeitung". Die drei Medien haben gemeinsam mit dem internationalen Konsortium für Investigativen Journalisten (ICIJ) zahlreiche Unterlagen zu dem Thema, die sogenannten Implant Files, ausgewertet. Mehr als 250 Journalisten von 59 Medien aus 36 Ländern arbeiteten dabei zusammen.

Das deutsche Gesundheitsministerium bestätigte laut NDR, dass das zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einen Anstieg von Fällen registriert habe, bei denen eine "produktbezogene Ursache" vorgelegen habe. Das Ministerium betonte dem Bericht zufolge jedoch, dass nicht bei jedem dieser Vorkommnisse der Tod oder eine schwerwiegende Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Betroffenen eingetreten sei.

Implantate kaum getestet

Die Dunkelziffer dürfte laut den Recherchen von NDR, WDR und "SZ" noch "erheblich höher" sein, da Hersteller, Ärzte und Krankenhäuser den Behörden nur wenige Fälle meldeten, obwohl sie dazu verpflichtet seien. Als Beispiel wurden Brustimplantate genannt: So seien 2017 in deutschen Kliniken 3170 Implantate allein wegen schmerzhafter Vernarbungen des Gewebes rund um die Silikonkissen herausoperiert worden. Gemeldet worden seien aber nur 141 Fälle.

Weiter hieß es in dem Bericht, die Behörden überließen es den Herstellern in der Regel selbst, fehlerhafte Produkte zurückzurufen oder Sicherheitswarnungen auszusprechen. Seit 2010 hätten die Hersteller dies pro Jahr rund tausend Mal getan, die Behörden hätten im gleichen Zeitraum offenbar nur sechs Mal einen Rückruf angeordnet.

Unter Berufung auf interne Unterlagen des Gesundheitsministeriums berichteten NDR, WDR und "SZ", dass in Deutschland regelmäßig Produkte implantiert würden, die kaum getestet worden seien. Lediglich für eines von zehn Medizinprodukten der höchsten Risikostufe gebe es nach Einschätzung des Ministeriums klinische Daten.

US-Konzern Medtronic größter Profiteur

Schäden durch Medizinprodukte würden allerdings selten publik, da die Hersteller Entschädigungszahlungen an Verschwiegenheitsverpflichtungen der Betroffenen knüpften, heißt es in dem Bericht. In den vergangenen zehn Jahren mussten Medizinprodukthersteller demnach außerdem mehr als 1,6 Milliarden Dollar (1,4 Milliarden Euro) zahlen, um Korruptions- und Betrugsvorwürfe beizulegen, wie aus Daten der US-Börsenaufsicht SEC und des US-Justizministeriums hervorgehe.

Ein besonderer Profiteur sei der US-Hersteller Medtronic, nach Marktanteilen das größte Medizintechnik-Unternehmen weltweit. Die Vorwürfe gegen den Konzern sind lang: Steuerhinterziehung, Preistreiberei, Bestechung. Kein anderer Konzern zahle so viel Geld an Ärzte, die Aufsätze und Studien zu seinen Produkten schreiben, heißt es in der "Süddeutschen".

Das Geschäft mit künstlichen Gelenken, Schrittmachern, Hörgeräten oder anderen Medizinprodukten sei laut Gesundheitsministerium mittlerweile auf einen Umfang von 282 Milliarden Euro weltweit gewachsen. Deutsche Unternehmen setzten etwa 30 Milliarden Euro mit diesen Produkten um.

Das BfArM wisse zwar, welche Produkte in den vergangenen Jahren zu den meisten Todesfällen und Verletzungen geführt hätten. Sowohl die Aufsichtsbehörde als auch das Bundesgesundheitsministerium verweigerten aber Auskunft darüber, weil es sich um vertrauliche Informationen handle.

>>> Bericht in der "Süddeutschen".

>>> "Implant Files"-Projekt.

(APA/AFP/red.)

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