Wie sich Xi Jinping in die Köpfe seiner Bürger spielt

REUTERS/David Gray
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Ein Propagandaprogramm, das das Gedankengut von Staatschef Xi bewirbt, ist derzeit die populärste Smartphone-App in China. Doch der Erfolg ist nicht zufällig.

Was Pekings Propagandasprachrohr "People's Daily" heute zu berichten hat? Oder die tägliche "Zeit im Bild" Chinas, "Xinwen Lianbo", vermeldet? Bis jetzt konnten die 1,4 Milliarden Bewohner der Volksrepublik der politischen Indoktrinierung durch die KP-Führung noch relativ gut entweichen. Sie fanden die wenigen Schlupflöcher, die hinter der Online-Zensurmauer, der Great Firewall, existieren, um kritische Inhalte zu verbreiten oder flüchteten sich in eine von Softnews geprägte Internetwelt.

Diese Zeiten sind nun vorbei. Chinas Internet ist zwar schon seit jeher streng kontrolliert. Doch Staats- und Parteichef Xi Jinping versucht mit allen Mitteln, die weltgrößte Internetbevölkerung im größten Smartphonemarkt der Welt auf Linie zu bringen. Erst kürzlich rief er seine Propagandisten und Ideologen zu den Waffen, um sicherzustellen, dass „die Stimme der Partei alle Nutzergeräte direkt erreichen kann“ - auch oder gerade im digitalen Zeitalter.

Das Ziel sei eine dem „Mainstream entsprechende öffentliche Meinung“ zu schaffen. Übersetzt: eine Meinung im Sinne der Parteilinie. Und um die ideologische Gleichschaltung der tech-affinen Bevölkerung zu ermöglichen, wird die Partei immer kreativer. Sie setzt auf Soziale Medien. Seit Kurzem auch mit einer eigenen App.

Strafen bei fehlendem Engagement

Xuexi Qiangguo (学习强国), auf Deutsch „Studiere die starke Nation“, heißt die Smartphone-Applikation, die seit ihrem Start Anfang des Jahres einen sensationellen Erfolg eingefahren hat. Sie ist mittlerweile die am meisten heruntergeladene App im chinesischen Apple Store und bei mehreren App-Anbietern für Android-Geräte.

Der Name ist geschickt gewählt. Denn die Silbe „xi“ (习) bedeutet auf Chinesisch nicht nur „lernen“. Das gleiche Zeichen trägt Parteichef Xi als Nachname. Und der ist Programm. Im Zentrum der App steht Xis ideologisches Lebenswerk, die „Xi Jinping Gedanken“, die seit vergangenem Jahr in Partei- und Staatsverfassung verankert sind.

Mit Xuexi Qiangguo können sich Chinesen nun Artikel über Xis neueste politische Maßnahmen einverleiben, Xis Zitat des Tages lesen, die Fernsehsendung „Xi Time“ ansehen, Beiträge kommentieren oder ihr Xi-Wissen in einem Quiz testen. Zum Vergnügen ist das Programm allerdings nicht. Behörden im ganzen Land haben die digitale Propagandamaßnahme massiv beworben. Einige Arbeitsgruppen sollen ihren Angestellten sogar Strafen angedroht haben, sollten sie die App nicht nutzen.

In die Privatsphäre der Bürger eindringen

Das Engagement der User ist leicht nachzuweisen: Die App vergibt „Xi Lernpunkte“. Je mehr Zeit Nutzer auf der Plattform verbringen, desto mehr Punkte gibt es. Doch austricksen lässt sich das Programm nicht so einfach. Das reine Öffnen eines Videos oder Artikels reicht nicht, um Punkte zu ergattern. Xuexi Qiangguo verlangt die volle Aufmerksamkeit des Publikums für die Lehren der Partei.

Richtig absahnen können Chinesen, die der App ihre Zeit zur abendlichen Prime Time oder am Wochenende widmen: Wer diese wertvollen Stunden seiner Freizeit lieber Xis Gedankengut als Familie und Freunden spendet, ergattert gleich die doppelte Punktezahl.

Die KP-Führung versucht damit nicht nur, Xis Macht zu konsolidieren, indem sie seine Ideologie allgegenwärtig macht. Sie will ihre ideologische Dominanz in die letzten Ecken des Privatlebens ihrer Bürger ausdehnen. Das soll wohl nicht nur durch das spielerische Element gelingen. Mit der App können Nutzer ihren Kalender verwalten, Nachrichten versenden, Videoanrufe tätigen und kleine Geldgeschenke verschicken. Möglich werden diese Zusatzfunktionen durch eine Kooperation mit dem chinesischen E-Commerce-Giganten Alibaba.

"Willkommen in der digitalen Diktatur"

Mit Xuexi Qiangguo sei die Mao-Bibel revolutioniert worden, schreibt der Sinologe und Medienwissenschafter David Bandurski in seinem Blog. „Es interagiert mit dir und vermisst dich. Es kann bestimmen, wie 'smart' du bist, wenn es um deine Hingabe für die ideologischen Grundlagen geht. Willkommen in der digitalen Diktatur.“

(me)

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