Fallbeispiel Justin Trudeau: Der Absturz eines Shootingstars

Justin Trudeau im Februar 2018 auf Staatsbesuch in Indien.
Justin Trudeau im Februar 2018 auf Staatsbesuch in Indien.REUTERS
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Kanadas Premier, ein Sunnyboy und Trump-Antipode, hat sich entzaubert: Der Wunderknabe ist in einer Justizaffäre zum Normalo-Politiker mutiert.

So jung, so smart, so cool: Wie Justin Trudeau, der zu seinem Amtsantritt als kanadischer Premier vor dreieinhalb Jahren, gleichsam als politischer Erbe Barack Obamas und seines Vaters, Pierre Trudeau, die Herzen im Sturm eroberte, wollten sich viele modellieren. Umso mehr, als nach der Wahl Donald Trumps alle Welt ihn als den besseren Amerikaner sah, als Idealtypus des liberalen, aufgeschlossenen Politikers, der alles richtig zu machen schien und der selbst Trump und vor allem dessen Tochter Ivanka bei seiner Visite im Weißen Haus mit seinem Charme bezirzte. Und der sich obendrein als Vorzeigevater präsentierte, als Jogger, als ein „Gesamtkunstwerk“ samt lustig-originellen Socken und Yogaübungen auf dem Schreibtisch, und so einen Lebensstil vorführte, der so gar nicht zu dem eines konventionellen Politikers passen wollte.

Eingangs gleich die Aussöhnung mit den indigenen Ureinwohnern, die Forcierung einer Klima- und Umweltpolitik, die Besetzung seiner Regierung nach ethnischen und geschlechtsparitätischen Prinzipien, dazu eine Flüchtlingspolitik nach vernünftigen Maßstäben und kanadischem Zuschnitt und die Freigabe von Cannabis, nicht zuletzt eine Außenpolitik mit Fokus auch auf die Menschenrechte, die Saudiarabien erregte: So machte Kanada in der Welt Furore. Angela Merkel schloss den Shootingstar und Sunnyboy ein wenig in ihr Herz, und beim G20-Gipfel in Québec im Vorjahr boten sie dem US-Präsidenten gemeinsam die Stirn.
Es ist eine Märchenstory, die mit einem Mal eine Wendung ins Negative nimmt: Ein Sohn, am Weihnachtstag 1971 geboren zum Präsidenten, wie US-Präsident Nixon dem kanadischen Premier Pierre Trudeau prophezeite. Knapp 44 Jahre später löste der Junior das Versprechen ein.

Ein halbes Jahr vor den Wahlen hat sich Justin Trudeau indessen nun selbst entzaubert, und er sieht sich mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. Er mutierte zum „Normalo“-Politiker, der in einer Korruptionsaffäre um den Baukonzern SNC-Lavalin, der in den 2000er-Jahren den Gaddafi-Clan in Libyen in großem Stil bestochen hatte, mit althergebrachten Mitteln Druck zur Einstellung der Ermittlungen ausübte. Die vermeintlich neue und vorgeblich offene Politik bediente sich uralter Methoden.

Trudeau bedrängte die Justizministerin Jody Wilson-Raybould, eine Aktivistin der sogenannten First Nation – der indigenen Bevölkerung –, degradierte sie, bis sie resigniert aufgab. Eine zweite Ministerin folgte dem Rücktritt ihrer Freundin, weil sie das „Vertrauen“ in die Regierung verloren habe, wie sie sagte. Es ist so etwas wie eine moralische Bankrotterklärung. Auch ein Intimus Trudeaus, ein enger Berater, war nicht länger zu halten. Der Chef schob die Verantwortung zunächst auf seinen Adlatus ab. Ob der Premier damit durchkommt?

Trudeau im Trudeln: Das ist das Fazit angesichts der ersten Regierungskrise des zum Wunderknaben, zum „Überflieger“ hochgejazzten Premiers. Dabei hat sich sein Sturz abgezeichnet – erstmals, als er im Weihnachtsurlaub sich auf Staatskosten im Hubschrauber auf die Privatinsel des Aga Khan in der Karibik einfliegen ließ, und im Vorjahr, als er seine Familie auf einwöchigem Staatsbesuch in Indien wie einen Maharadscha-Clan ausstattete: jeden Tag in wechselnder Kostümierung, in Sari und Turban.

Da war die Hybris spürbar, die Shootingstars wie moderne Ikarus oft befällt. Da verlor einer Maß und Bodenhaftung, wofür das Volk ein feines Gespür hat. Womöglich präsentiert es ihm bei der Wahl im Herbst die Quittung dafür – sofern er sich nicht aus dem Abwärtsstrudel herauszieht, wie es talentierten Politikern gelingt. Doch die Zeiten sind schnelllebiger geworden, der Hype ist rasch verflogen – und verkehrt sich zuweilen ins Gegenteil.

Justin Trudeau ist ein Fallbeispiel für moderne, unkonventionelle Politiker: Ihr Stern kann schnell verglühen. So ist es Matteo Renzi in Italien ergangen, so könnte es mit Matteo Salvini gehen, mit dem deutschen Grünen Robert Habeck – und selbst ein Emmanuel Macron steckt mitten in der Krise. Es ist auch eine Mahnung an Sebastian Kurz. Nur, der neigt nicht dazu abzuheben – zumindest bis dato nicht. Er fliegt ja auch zweite Klasse.

E-Mails an: thomas.vieregge@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2019)

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